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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Die erstell beide" Bände des Werks liegen uns vor. Sie bezeugen, daß sich
der Verfasser mit dem größten Fleiß des umfangreichen Stoffes bemächtigt
hat, und daß es ihm gelungen ist, in leichter, fließender Form denselben dar¬
zustellen.

Es lassen sich in dein Werke zwei ungleichartige Elemente unterscheiden,
ein allgemein kulturgeschichtliches und ein speziell literaturgeschichtliches, das be¬
sonders die Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte berücksichtigt. Giebt
hier der Verfasser einen werthvollen Beitrag zur Geschichte der Theologie, ins¬
besondere zur Geschichte der Schriftauslegung, so wird dort ein Gebiet berührt,
welches das Interesse weiterer Kreise in Anspruch nimmt.

Doch auch die vorzugsweise theologisch zu nennenden Partien enthalten
wenigstens in einer Hinsicht Erörterungen, die anch für nichtthevlogische Leser
anziehend sein werden, indem Zöckler in jeder Periode untersucht, ob sich An¬
klänge an die moderne Entwicklungstheorie vorfinden. Daß die letztere, inso¬
weit sie mit atheistischen Naturalismus verschmolzen ist, in den hier charakte-
risirten Zeiten, in welchen die Kirche das geistige Leben beherrschte, nicht er¬
wartet werden kann, liegt in der nennr der Sache. Und ebenso ist es selbst-
verständlich, daß wir bei dein niedrigen Stande, auf dem sich die Naturwissen¬
schaften befanden, die Entwicklungstheorie nicht als in sich geschlossenes Shstem
suchen dürfen. Es kann sich nur um Anschauungen handeln, die mit derselben
im Zusammenhange stehen. An solchen fehlt es aber auch in der That nicht.
Wir rechnen hierher den weit verbreiteten Glauben an die ^susraiio as^uivoog.
und die ebenso häufige Annahme, die sich auf die Vulgata-Uebersetzung von
1. Mos. I, 20 stützt, daß die Vögel aus den Wasserthieren entstanden seien.
So sagt der Dichter Claudius Viktor (geht. gegen 450):


Und nicht genug, daß Fische in reichlicher Fülle dort wimmeln,
Daß sie mit schuppiger Haut an der oberen Fläche sich tummeln.
Nein erst flatternd im Wasser, wird allgemach droben im Aether
Zum Durchsegln der leichten Luft der gelehrige Vogel.

Aber auch allgemeinere Fassungen diese Richtung einschlagender Theorien finden
sich. So sagt Albertus Magnus (geht. 12L0): "Die Natur bringt keine
weit von einander abstehenden Geschlechter hervor, ohne ein gewisses Mittel¬
glied zwischen sie hinein zu bilden; sie geht von einem Extrem zum anderen
immer nur durch gewisse Medien über."

Die Fortsetzung und Vollendung des Werks, welche uns in die neuere
Zeit einführen wird, in die Zeit gesteigerter Entwicklung der Naturwissenschaften
und dadurch veranlaßter Spannung mit der Theologie, erwarten wir mit leb-
hciftem Interesse. Sie wird in noch höherem Maße, als die erste Abtheilung
es vermochte, die Theilnahme weiterer Kreise erregen.


H. Jacoby.


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von ". L. Hcrbig in Leipzig. - Druck von Hitthcl Herrmann in Leipzig.

Die erstell beide» Bände des Werks liegen uns vor. Sie bezeugen, daß sich
der Verfasser mit dem größten Fleiß des umfangreichen Stoffes bemächtigt
hat, und daß es ihm gelungen ist, in leichter, fließender Form denselben dar¬
zustellen.

Es lassen sich in dein Werke zwei ungleichartige Elemente unterscheiden,
ein allgemein kulturgeschichtliches und ein speziell literaturgeschichtliches, das be¬
sonders die Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte berücksichtigt. Giebt
hier der Verfasser einen werthvollen Beitrag zur Geschichte der Theologie, ins¬
besondere zur Geschichte der Schriftauslegung, so wird dort ein Gebiet berührt,
welches das Interesse weiterer Kreise in Anspruch nimmt.

Doch auch die vorzugsweise theologisch zu nennenden Partien enthalten
wenigstens in einer Hinsicht Erörterungen, die anch für nichtthevlogische Leser
anziehend sein werden, indem Zöckler in jeder Periode untersucht, ob sich An¬
klänge an die moderne Entwicklungstheorie vorfinden. Daß die letztere, inso¬
weit sie mit atheistischen Naturalismus verschmolzen ist, in den hier charakte-
risirten Zeiten, in welchen die Kirche das geistige Leben beherrschte, nicht er¬
wartet werden kann, liegt in der nennr der Sache. Und ebenso ist es selbst-
verständlich, daß wir bei dein niedrigen Stande, auf dem sich die Naturwissen¬
schaften befanden, die Entwicklungstheorie nicht als in sich geschlossenes Shstem
suchen dürfen. Es kann sich nur um Anschauungen handeln, die mit derselben
im Zusammenhange stehen. An solchen fehlt es aber auch in der That nicht.
Wir rechnen hierher den weit verbreiteten Glauben an die ^susraiio as^uivoog.
und die ebenso häufige Annahme, die sich auf die Vulgata-Uebersetzung von
1. Mos. I, 20 stützt, daß die Vögel aus den Wasserthieren entstanden seien.
So sagt der Dichter Claudius Viktor (geht. gegen 450):


Und nicht genug, daß Fische in reichlicher Fülle dort wimmeln,
Daß sie mit schuppiger Haut an der oberen Fläche sich tummeln.
Nein erst flatternd im Wasser, wird allgemach droben im Aether
Zum Durchsegln der leichten Luft der gelehrige Vogel.

Aber auch allgemeinere Fassungen diese Richtung einschlagender Theorien finden
sich. So sagt Albertus Magnus (geht. 12L0): „Die Natur bringt keine
weit von einander abstehenden Geschlechter hervor, ohne ein gewisses Mittel¬
glied zwischen sie hinein zu bilden; sie geht von einem Extrem zum anderen
immer nur durch gewisse Medien über."

Die Fortsetzung und Vollendung des Werks, welche uns in die neuere
Zeit einführen wird, in die Zeit gesteigerter Entwicklung der Naturwissenschaften
und dadurch veranlaßter Spannung mit der Theologie, erwarten wir mit leb-
hciftem Interesse. Sie wird in noch höherem Maße, als die erste Abtheilung
es vermochte, die Theilnahme weiterer Kreise erregen.


H. Jacoby.


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von «. L. Hcrbig in Leipzig. - Druck von Hitthcl Herrmann in Leipzig.
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[0488] Die erstell beide» Bände des Werks liegen uns vor. Sie bezeugen, daß sich der Verfasser mit dem größten Fleiß des umfangreichen Stoffes bemächtigt hat, und daß es ihm gelungen ist, in leichter, fließender Form denselben dar¬ zustellen. Es lassen sich in dein Werke zwei ungleichartige Elemente unterscheiden, ein allgemein kulturgeschichtliches und ein speziell literaturgeschichtliches, das be¬ sonders die Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte berücksichtigt. Giebt hier der Verfasser einen werthvollen Beitrag zur Geschichte der Theologie, ins¬ besondere zur Geschichte der Schriftauslegung, so wird dort ein Gebiet berührt, welches das Interesse weiterer Kreise in Anspruch nimmt. Doch auch die vorzugsweise theologisch zu nennenden Partien enthalten wenigstens in einer Hinsicht Erörterungen, die anch für nichtthevlogische Leser anziehend sein werden, indem Zöckler in jeder Periode untersucht, ob sich An¬ klänge an die moderne Entwicklungstheorie vorfinden. Daß die letztere, inso¬ weit sie mit atheistischen Naturalismus verschmolzen ist, in den hier charakte- risirten Zeiten, in welchen die Kirche das geistige Leben beherrschte, nicht er¬ wartet werden kann, liegt in der nennr der Sache. Und ebenso ist es selbst- verständlich, daß wir bei dein niedrigen Stande, auf dem sich die Naturwissen¬ schaften befanden, die Entwicklungstheorie nicht als in sich geschlossenes Shstem suchen dürfen. Es kann sich nur um Anschauungen handeln, die mit derselben im Zusammenhange stehen. An solchen fehlt es aber auch in der That nicht. Wir rechnen hierher den weit verbreiteten Glauben an die ^susraiio as^uivoog. und die ebenso häufige Annahme, die sich auf die Vulgata-Uebersetzung von 1. Mos. I, 20 stützt, daß die Vögel aus den Wasserthieren entstanden seien. So sagt der Dichter Claudius Viktor (geht. gegen 450): Und nicht genug, daß Fische in reichlicher Fülle dort wimmeln, Daß sie mit schuppiger Haut an der oberen Fläche sich tummeln. Nein erst flatternd im Wasser, wird allgemach droben im Aether Zum Durchsegln der leichten Luft der gelehrige Vogel. Aber auch allgemeinere Fassungen diese Richtung einschlagender Theorien finden sich. So sagt Albertus Magnus (geht. 12L0): „Die Natur bringt keine weit von einander abstehenden Geschlechter hervor, ohne ein gewisses Mittel¬ glied zwischen sie hinein zu bilden; sie geht von einem Extrem zum anderen immer nur durch gewisse Medien über." Die Fortsetzung und Vollendung des Werks, welche uns in die neuere Zeit einführen wird, in die Zeit gesteigerter Entwicklung der Naturwissenschaften und dadurch veranlaßter Spannung mit der Theologie, erwarten wir mit leb- hciftem Interesse. Sie wird in noch höherem Maße, als die erste Abtheilung es vermochte, die Theilnahme weiterer Kreise erregen. H. Jacoby. Verantwortlicher Redakteur: Dr. Haus Blum in Leipzig. Verlag von «. L. Hcrbig in Leipzig. - Druck von Hitthcl Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/488>, abgerufen am 03.07.2024.