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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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mehr und mehr zum allgemeinen Bewußtsein gebracht" worden ist, mit der
Thronrede sich dahin entscheiden müssen, "daß es außerordentlicher Maßregeln
bedarf, um der weitern Ausbreitung des eingerissenen Uebels Einhalt zu thun
und den Boden für eine allmälige Heilung zu bereiten". Mit Recht spricht
am Schlüsse die Thronrede "die Zuversicht" aus, "daß die neugewählten Ver¬
treter der Nation die Mittel nicht versagen werden, welche nothwendig sind,
um die friedliche Entwickelung des Reiches gegen innere Angriffe ebenso sicher
zu stellen, als gegen äußere". Wir hoffen, an der Bereitwilligkeit zur Ge¬
währung wird es der Reichstag um so weniger fehlen lassen, als anch vom
Thron herab die Versicherung des halbamtlichen Blattes wiederholt worden ist,
daß die verbündeten Regierungen "festhalten an der Auffassung, daß die zu
wählenden Mittel die staatsbürgerliche Freiheit im Allgemeinen zu schonen und
nur dem Mißbrauch derselbe:? entgegenzuwirken haben, mit dem eine verderb¬
liche Agitation die Grundlagen unseres staatlichen und Kulturlebens bedroht".

Von der Wichtigkeit dieser Hauptfrage, deren Entscheidung dem Reichstag
obliegt, und über welche die Generaldebatte voraussichtlich bereits abgeschlossen
sein wird, wenn diese Zeilen an die Öffentlichkeit gelangen*), treten die Ange¬
legenheiten weit zurück, welche den Reichstag in seiner ersten Woche beschäftigten.
Namentlich gilt dies von der Präsidentenwahl, obwohl ja nicht geleugnet werden
soll, daß dieser Wahlakt bei einem neugewählten Parlament immer einen inter¬
essanten Kraftmesser für die äußere und innere Stärke der einzelnen Parteien
abgibt, und daß der Sieg, den in diesem Wahlgang die nationalen Parteien
über das Zentrum erfochten, von großem moralischem Werthe ist. Es hätte
uns vor der ganzen Welt Ausgestellt, wenn ein ultramontaner Vizepräsident
gewählt worden wäre. Es war daher durchaus richtig, daß alle nationalen
Parlamentarischen Fraktionen jedes Kompromiß mit dem Zentrum bei der
Präsidentenwahl ablehnten. Ebenso natürlich war andrerseits das Kompromiß
derselben Fraktionen über die Wahl des trefflichen ersten und zweiten Vize-
Präsidenten und die Ablehnung der Forderung der Dentschkonservativen, diesen
den ersten Vizepräsidenten zuzugestehen. Ihrer Stärke nach hätte ja diese Partei
Anspruch auf diesen Ehrensitz erheben können. Nicht aber nach ihrer politischen,
namentlich nicht nach ihrer nationalen Haltung. Die deutschkonservative Partei
ist das unnatürlichste Konglomerat von Ansichten, welches jemals in einer
deutschen Fraktion vereinigt worden ist. Neben Männern von zweifellosestem
Patriotismus und den größten Verdiensten um unsere nationale Entwickelung
sitzt eine große Masse rein reaktionärer, rein antinationaler Geister, welche die
unsaubersten agrarischen, junkerlichen und welfischen Blätter, und das scham-



Das ist der Fall. Das Gosch wurde am 17. d. nach Schluß der Generaldebatte
D. Red. an eine Kvmmiswn von 21 Mitgliedern überwiesen.

mehr und mehr zum allgemeinen Bewußtsein gebracht" worden ist, mit der
Thronrede sich dahin entscheiden müssen, „daß es außerordentlicher Maßregeln
bedarf, um der weitern Ausbreitung des eingerissenen Uebels Einhalt zu thun
und den Boden für eine allmälige Heilung zu bereiten". Mit Recht spricht
am Schlüsse die Thronrede „die Zuversicht" aus, „daß die neugewählten Ver¬
treter der Nation die Mittel nicht versagen werden, welche nothwendig sind,
um die friedliche Entwickelung des Reiches gegen innere Angriffe ebenso sicher
zu stellen, als gegen äußere". Wir hoffen, an der Bereitwilligkeit zur Ge¬
währung wird es der Reichstag um so weniger fehlen lassen, als anch vom
Thron herab die Versicherung des halbamtlichen Blattes wiederholt worden ist,
daß die verbündeten Regierungen „festhalten an der Auffassung, daß die zu
wählenden Mittel die staatsbürgerliche Freiheit im Allgemeinen zu schonen und
nur dem Mißbrauch derselbe:? entgegenzuwirken haben, mit dem eine verderb¬
liche Agitation die Grundlagen unseres staatlichen und Kulturlebens bedroht".

Von der Wichtigkeit dieser Hauptfrage, deren Entscheidung dem Reichstag
obliegt, und über welche die Generaldebatte voraussichtlich bereits abgeschlossen
sein wird, wenn diese Zeilen an die Öffentlichkeit gelangen*), treten die Ange¬
legenheiten weit zurück, welche den Reichstag in seiner ersten Woche beschäftigten.
Namentlich gilt dies von der Präsidentenwahl, obwohl ja nicht geleugnet werden
soll, daß dieser Wahlakt bei einem neugewählten Parlament immer einen inter¬
essanten Kraftmesser für die äußere und innere Stärke der einzelnen Parteien
abgibt, und daß der Sieg, den in diesem Wahlgang die nationalen Parteien
über das Zentrum erfochten, von großem moralischem Werthe ist. Es hätte
uns vor der ganzen Welt Ausgestellt, wenn ein ultramontaner Vizepräsident
gewählt worden wäre. Es war daher durchaus richtig, daß alle nationalen
Parlamentarischen Fraktionen jedes Kompromiß mit dem Zentrum bei der
Präsidentenwahl ablehnten. Ebenso natürlich war andrerseits das Kompromiß
derselben Fraktionen über die Wahl des trefflichen ersten und zweiten Vize-
Präsidenten und die Ablehnung der Forderung der Dentschkonservativen, diesen
den ersten Vizepräsidenten zuzugestehen. Ihrer Stärke nach hätte ja diese Partei
Anspruch auf diesen Ehrensitz erheben können. Nicht aber nach ihrer politischen,
namentlich nicht nach ihrer nationalen Haltung. Die deutschkonservative Partei
ist das unnatürlichste Konglomerat von Ansichten, welches jemals in einer
deutschen Fraktion vereinigt worden ist. Neben Männern von zweifellosestem
Patriotismus und den größten Verdiensten um unsere nationale Entwickelung
sitzt eine große Masse rein reaktionärer, rein antinationaler Geister, welche die
unsaubersten agrarischen, junkerlichen und welfischen Blätter, und das scham-



Das ist der Fall. Das Gosch wurde am 17. d. nach Schluß der Generaldebatte
D. Red. an eine Kvmmiswn von 21 Mitgliedern überwiesen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/483>, abgerufen am 22.07.2024.