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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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eine verwegene Sozialpolitik, welche der Sozialdemokrntie so ähnlich ist, wie
ein faules El dem andern. Jene Richtung vertritt vornehmlich Engen Richter,
diese Max Hirsch. Wenn Letzterer beispielsweise in seinem "Gewerkverein" die
Gründung von Produktivgenossenschaften empfiehlt, "welche die Erlösung der
Arbeiterklasse aus dem Lohnverhältnisse herbeiführen sollen", so ist das Wort
für Wort und Silbe für Silbe der reine Lassalle. Die Erlösung der Arbeiter¬
klasse aus dem Lohnverhältnisse ist die reinste Quintessenz der Sozialdemokratie
und wenn man die totale Umwälzung der heutigen Wirthschaftsordnung ein¬
mal als Ziel aufstellt, so ist es allerdings klar wie die Sonne, daß nur der
mächtige Arm des Staats und nicht die Sparbüchse des einzelnen Arbeiters
dies Ziel erreichen kann. Man sieht an diesem Beispiele recht deutlich, wes¬
halb so viele Tausende von Arbeitern Lassalle für logischer halten, wie Max
Hirsch und in dichten Schaaren von der Fortschrittspartei zur Sozialdemokratie
überlaufen. Auch die Hauptsätze des Programms, auf Grund dessen Max
Hirsch sich vor einem Jahre auf einem Geraer Kongresse selbst zum General-
feldmarschall des "vereinigten Liberalismus" im "geistigen Kampfe gegen die
Sozialdemokratie" proklamirte, die Sätze: "Gleichberechtigung der Arbeiter mit
allen andern Staatsbürgern, daher das allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht"
und "Bekämpfung aller Klassenherrschaft" waren wörtlich die Kampfschreie
Lassalle's, mit welchen er seine Arbeiteragitation einleitete. Manchmal zwar
weicht Herr Hirsch von den Pfaden des großen Agitator's ab; so als er vier
Wochen vor Hödel's Attentat einer Berliner Volksversammlung die "Arbeiter-
seindlichkeit" der preußischen Monarchie demonstrirte. Für solche historischen
F--einheiten war Lassalle allerdings zu ehrlich und zu unterrichtet und es war
denn auch einer seiner begeisterten Verehrer, Prof. Wagner, der Herrn Hirsch
in glänzender Rede abfertigte. Aber man muß es Herrn Hirsch nachrühmen,
daß er im "geistigen" Kampfe gegen die Sozialdemokratie immer auf dem
Posten ist. Im Februar 1877 beriefen die Berliner Sozialdemokraten an
einem Sonntage zugleich sechs Versammlungen, die über den damals äußerst
drückenden Nothstand berathen sollten. Flugs wollte auch Max Hirsch seine
Nothstandsversammlung haben; an der Spitze seiner Gewerkvereinler und be¬
gleitet von den Führern des Berliner Fortschritts erschien er im Saale der
"Urania" und man dekretirte, daß Gemeinde, Staat und Reich "mit größter
Energie" dem Nothstande abhelfen sollten. Herr Hirsch verlangte zu diesem
Zwecke unter Anderem wörtlich Nothstandskvmitcs, Nothstandskredite, wirksame
Parzellirung der Domänen, Bau des Reichstagsgebäudes, Beseitigung der Kon¬
kurrenz der Zuchthausarbeit, Abschaffung der Salzstener, Herr Eberty Verall¬
gemeinerung der Volksbildung, Herr Frentzel die progressive Einkommensteuer,
Herr Duncker Beseitigung des Militarismus. Fürwahr ein herrliches "Geistes"-


eine verwegene Sozialpolitik, welche der Sozialdemokrntie so ähnlich ist, wie
ein faules El dem andern. Jene Richtung vertritt vornehmlich Engen Richter,
diese Max Hirsch. Wenn Letzterer beispielsweise in seinem „Gewerkverein" die
Gründung von Produktivgenossenschaften empfiehlt, „welche die Erlösung der
Arbeiterklasse aus dem Lohnverhältnisse herbeiführen sollen", so ist das Wort
für Wort und Silbe für Silbe der reine Lassalle. Die Erlösung der Arbeiter¬
klasse aus dem Lohnverhältnisse ist die reinste Quintessenz der Sozialdemokratie
und wenn man die totale Umwälzung der heutigen Wirthschaftsordnung ein¬
mal als Ziel aufstellt, so ist es allerdings klar wie die Sonne, daß nur der
mächtige Arm des Staats und nicht die Sparbüchse des einzelnen Arbeiters
dies Ziel erreichen kann. Man sieht an diesem Beispiele recht deutlich, wes¬
halb so viele Tausende von Arbeitern Lassalle für logischer halten, wie Max
Hirsch und in dichten Schaaren von der Fortschrittspartei zur Sozialdemokratie
überlaufen. Auch die Hauptsätze des Programms, auf Grund dessen Max
Hirsch sich vor einem Jahre auf einem Geraer Kongresse selbst zum General-
feldmarschall des „vereinigten Liberalismus" im „geistigen Kampfe gegen die
Sozialdemokratie" proklamirte, die Sätze: „Gleichberechtigung der Arbeiter mit
allen andern Staatsbürgern, daher das allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht"
und „Bekämpfung aller Klassenherrschaft" waren wörtlich die Kampfschreie
Lassalle's, mit welchen er seine Arbeiteragitation einleitete. Manchmal zwar
weicht Herr Hirsch von den Pfaden des großen Agitator's ab; so als er vier
Wochen vor Hödel's Attentat einer Berliner Volksversammlung die „Arbeiter-
seindlichkeit" der preußischen Monarchie demonstrirte. Für solche historischen
F—einheiten war Lassalle allerdings zu ehrlich und zu unterrichtet und es war
denn auch einer seiner begeisterten Verehrer, Prof. Wagner, der Herrn Hirsch
in glänzender Rede abfertigte. Aber man muß es Herrn Hirsch nachrühmen,
daß er im „geistigen" Kampfe gegen die Sozialdemokratie immer auf dem
Posten ist. Im Februar 1877 beriefen die Berliner Sozialdemokraten an
einem Sonntage zugleich sechs Versammlungen, die über den damals äußerst
drückenden Nothstand berathen sollten. Flugs wollte auch Max Hirsch seine
Nothstandsversammlung haben; an der Spitze seiner Gewerkvereinler und be¬
gleitet von den Führern des Berliner Fortschritts erschien er im Saale der
„Urania" und man dekretirte, daß Gemeinde, Staat und Reich „mit größter
Energie" dem Nothstande abhelfen sollten. Herr Hirsch verlangte zu diesem
Zwecke unter Anderem wörtlich Nothstandskvmitcs, Nothstandskredite, wirksame
Parzellirung der Domänen, Bau des Reichstagsgebäudes, Beseitigung der Kon¬
kurrenz der Zuchthausarbeit, Abschaffung der Salzstener, Herr Eberty Verall¬
gemeinerung der Volksbildung, Herr Frentzel die progressive Einkommensteuer,
Herr Duncker Beseitigung des Militarismus. Fürwahr ein herrliches „Geistes"-


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[0472] eine verwegene Sozialpolitik, welche der Sozialdemokrntie so ähnlich ist, wie ein faules El dem andern. Jene Richtung vertritt vornehmlich Engen Richter, diese Max Hirsch. Wenn Letzterer beispielsweise in seinem „Gewerkverein" die Gründung von Produktivgenossenschaften empfiehlt, „welche die Erlösung der Arbeiterklasse aus dem Lohnverhältnisse herbeiführen sollen", so ist das Wort für Wort und Silbe für Silbe der reine Lassalle. Die Erlösung der Arbeiter¬ klasse aus dem Lohnverhältnisse ist die reinste Quintessenz der Sozialdemokratie und wenn man die totale Umwälzung der heutigen Wirthschaftsordnung ein¬ mal als Ziel aufstellt, so ist es allerdings klar wie die Sonne, daß nur der mächtige Arm des Staats und nicht die Sparbüchse des einzelnen Arbeiters dies Ziel erreichen kann. Man sieht an diesem Beispiele recht deutlich, wes¬ halb so viele Tausende von Arbeitern Lassalle für logischer halten, wie Max Hirsch und in dichten Schaaren von der Fortschrittspartei zur Sozialdemokratie überlaufen. Auch die Hauptsätze des Programms, auf Grund dessen Max Hirsch sich vor einem Jahre auf einem Geraer Kongresse selbst zum General- feldmarschall des „vereinigten Liberalismus" im „geistigen Kampfe gegen die Sozialdemokratie" proklamirte, die Sätze: „Gleichberechtigung der Arbeiter mit allen andern Staatsbürgern, daher das allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht" und „Bekämpfung aller Klassenherrschaft" waren wörtlich die Kampfschreie Lassalle's, mit welchen er seine Arbeiteragitation einleitete. Manchmal zwar weicht Herr Hirsch von den Pfaden des großen Agitator's ab; so als er vier Wochen vor Hödel's Attentat einer Berliner Volksversammlung die „Arbeiter- seindlichkeit" der preußischen Monarchie demonstrirte. Für solche historischen F—einheiten war Lassalle allerdings zu ehrlich und zu unterrichtet und es war denn auch einer seiner begeisterten Verehrer, Prof. Wagner, der Herrn Hirsch in glänzender Rede abfertigte. Aber man muß es Herrn Hirsch nachrühmen, daß er im „geistigen" Kampfe gegen die Sozialdemokratie immer auf dem Posten ist. Im Februar 1877 beriefen die Berliner Sozialdemokraten an einem Sonntage zugleich sechs Versammlungen, die über den damals äußerst drückenden Nothstand berathen sollten. Flugs wollte auch Max Hirsch seine Nothstandsversammlung haben; an der Spitze seiner Gewerkvereinler und be¬ gleitet von den Führern des Berliner Fortschritts erschien er im Saale der „Urania" und man dekretirte, daß Gemeinde, Staat und Reich „mit größter Energie" dem Nothstande abhelfen sollten. Herr Hirsch verlangte zu diesem Zwecke unter Anderem wörtlich Nothstandskvmitcs, Nothstandskredite, wirksame Parzellirung der Domänen, Bau des Reichstagsgebäudes, Beseitigung der Kon¬ kurrenz der Zuchthausarbeit, Abschaffung der Salzstener, Herr Eberty Verall¬ gemeinerung der Volksbildung, Herr Frentzel die progressive Einkommensteuer, Herr Duncker Beseitigung des Militarismus. Fürwahr ein herrliches „Geistes"-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/472>, abgerufen am 22.07.2024.