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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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die Lößstrecken für Niederschläge aus der offenen See erklärten, die sie zu
diesem Zwecke sich uoch einmal über ganz Mitteleuropa ausdehnen ließen,
andere glaubten, daß sich die genannte Erdart ans Süßwasserseen abgelagert
habe; als Vertreter einer dritten Erklärung endlich ist Charles Lyell zu
nennen, nach dessen Ausfassung die Flüsse das ganze Material, aus Gletscher-
schlamm bestehend, herbeigeschafft und nach und nach abgesetzt hätten. Während
bei den älteren Hypothesen die Phantasie in mehr als erlaubter Weise in An¬
spruch genommen und mit Vorgängen operirt wurde, die selbst noch gar nicht
erwiesen waren, zeichnet den Versuch Lyell's eine vorsichtige Prüfung der ein¬
schlägigen Thatsachen ans. Es kann hier nicht der Ort sein, alle die einzelnen
Auffassungen der älteren Forscher vorzubringen und zu widerlegen, nur das
sei gesagt, was sich auf alle bezieht und gegen alle den Ausschlag giebt. Jeder
Niederschlag, der aus Wasser erfolgt, zeigt eine deutliche Schichtung, indem eine
Lage sich über die andere hinwegdeckt, bei einem Querschnitt die Schichtungs¬
decke aber hervortritt, gerade so wie man bei einem Baume durch einen Quer¬
schnitt die Jahre erkennen kann; die Schichten zeigen stets horizontale Abson¬
derung. Diese Sedimente können nie ganz gleichmäßig auftreten, weder in
ihren Bestandtheilen noch in der Dicke der Schichtung, weil die Masse des
zugeführten Materials zeitlich wie stofflich ganz verschieden ist. Der Löß aber
ist stets ganz gleichartig gebaut; er besteht nämlich aus einer feinen, zerreiblichen,
gelbbraunen Erdmasse und zeigt nebeneinander in fast gerader vertikaler Richtung
nach unten sich fortsetzende Röhrchen, deren Wandungen mit Kalk inkrustirt sind.
Nehme man nun ein Stück aus dem oberen, mittleren oder unteren Theile der
ganzen Lößablagerung, überall wird man seine Struktur völlig gleich finden.
Was aber die Art der Absonderung betrifft, so neigt der Löß zu vertikaler und
bildet mit Vorliebe steil abstürzende Wände; besonders in China, wo der Löß
in größter Ausdehnung auftritt, finden sich schroffe Wände von 3 -- 400 Fuß
Höhe. Als zweiter Hauptgrund gegen die marinen Theorien möge der wichtige
Umstand angeführt werden, daß, in allen Theilen der Ablagerungen verstreut,
sich zahlreiche wohlerhaltene Gehäuse von Landschnecken vorfinden und zwar
in so großer Anzahl und so gut erhaltenem Zustande, daß an eine Hinein¬
spülung durch Wasser nicht gedacht werden kann. Alexander Braun unter¬
suchte mehr als 200,000 Gehäuse von Lößschnecken und fand, daß nur 33 nicht
Landschnecken angehörten. Alle diese Theorien können also für zureichend nicht
erachtet werden; gegen die von Lyell aufgestellte muß speziell gesagt werden,
daß sie bei aller Gründlichkeit und bei großem Scharfsinn auch noch an dem
Fehler leidet, daß sie zu einseitig auf den rheinischen Löß zugeschnitten ist.

Die Aufgabe eiues Geologen gehört freilich zu den heikelsten und schwie¬
rigsten. Er soll und will eine Geschichte der Bildung der Erdrinde geben,


die Lößstrecken für Niederschläge aus der offenen See erklärten, die sie zu
diesem Zwecke sich uoch einmal über ganz Mitteleuropa ausdehnen ließen,
andere glaubten, daß sich die genannte Erdart ans Süßwasserseen abgelagert
habe; als Vertreter einer dritten Erklärung endlich ist Charles Lyell zu
nennen, nach dessen Ausfassung die Flüsse das ganze Material, aus Gletscher-
schlamm bestehend, herbeigeschafft und nach und nach abgesetzt hätten. Während
bei den älteren Hypothesen die Phantasie in mehr als erlaubter Weise in An¬
spruch genommen und mit Vorgängen operirt wurde, die selbst noch gar nicht
erwiesen waren, zeichnet den Versuch Lyell's eine vorsichtige Prüfung der ein¬
schlägigen Thatsachen ans. Es kann hier nicht der Ort sein, alle die einzelnen
Auffassungen der älteren Forscher vorzubringen und zu widerlegen, nur das
sei gesagt, was sich auf alle bezieht und gegen alle den Ausschlag giebt. Jeder
Niederschlag, der aus Wasser erfolgt, zeigt eine deutliche Schichtung, indem eine
Lage sich über die andere hinwegdeckt, bei einem Querschnitt die Schichtungs¬
decke aber hervortritt, gerade so wie man bei einem Baume durch einen Quer¬
schnitt die Jahre erkennen kann; die Schichten zeigen stets horizontale Abson¬
derung. Diese Sedimente können nie ganz gleichmäßig auftreten, weder in
ihren Bestandtheilen noch in der Dicke der Schichtung, weil die Masse des
zugeführten Materials zeitlich wie stofflich ganz verschieden ist. Der Löß aber
ist stets ganz gleichartig gebaut; er besteht nämlich aus einer feinen, zerreiblichen,
gelbbraunen Erdmasse und zeigt nebeneinander in fast gerader vertikaler Richtung
nach unten sich fortsetzende Röhrchen, deren Wandungen mit Kalk inkrustirt sind.
Nehme man nun ein Stück aus dem oberen, mittleren oder unteren Theile der
ganzen Lößablagerung, überall wird man seine Struktur völlig gleich finden.
Was aber die Art der Absonderung betrifft, so neigt der Löß zu vertikaler und
bildet mit Vorliebe steil abstürzende Wände; besonders in China, wo der Löß
in größter Ausdehnung auftritt, finden sich schroffe Wände von 3 — 400 Fuß
Höhe. Als zweiter Hauptgrund gegen die marinen Theorien möge der wichtige
Umstand angeführt werden, daß, in allen Theilen der Ablagerungen verstreut,
sich zahlreiche wohlerhaltene Gehäuse von Landschnecken vorfinden und zwar
in so großer Anzahl und so gut erhaltenem Zustande, daß an eine Hinein¬
spülung durch Wasser nicht gedacht werden kann. Alexander Braun unter¬
suchte mehr als 200,000 Gehäuse von Lößschnecken und fand, daß nur 33 nicht
Landschnecken angehörten. Alle diese Theorien können also für zureichend nicht
erachtet werden; gegen die von Lyell aufgestellte muß speziell gesagt werden,
daß sie bei aller Gründlichkeit und bei großem Scharfsinn auch noch an dem
Fehler leidet, daß sie zu einseitig auf den rheinischen Löß zugeschnitten ist.

Die Aufgabe eiues Geologen gehört freilich zu den heikelsten und schwie¬
rigsten. Er soll und will eine Geschichte der Bildung der Erdrinde geben,


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[0455] die Lößstrecken für Niederschläge aus der offenen See erklärten, die sie zu diesem Zwecke sich uoch einmal über ganz Mitteleuropa ausdehnen ließen, andere glaubten, daß sich die genannte Erdart ans Süßwasserseen abgelagert habe; als Vertreter einer dritten Erklärung endlich ist Charles Lyell zu nennen, nach dessen Ausfassung die Flüsse das ganze Material, aus Gletscher- schlamm bestehend, herbeigeschafft und nach und nach abgesetzt hätten. Während bei den älteren Hypothesen die Phantasie in mehr als erlaubter Weise in An¬ spruch genommen und mit Vorgängen operirt wurde, die selbst noch gar nicht erwiesen waren, zeichnet den Versuch Lyell's eine vorsichtige Prüfung der ein¬ schlägigen Thatsachen ans. Es kann hier nicht der Ort sein, alle die einzelnen Auffassungen der älteren Forscher vorzubringen und zu widerlegen, nur das sei gesagt, was sich auf alle bezieht und gegen alle den Ausschlag giebt. Jeder Niederschlag, der aus Wasser erfolgt, zeigt eine deutliche Schichtung, indem eine Lage sich über die andere hinwegdeckt, bei einem Querschnitt die Schichtungs¬ decke aber hervortritt, gerade so wie man bei einem Baume durch einen Quer¬ schnitt die Jahre erkennen kann; die Schichten zeigen stets horizontale Abson¬ derung. Diese Sedimente können nie ganz gleichmäßig auftreten, weder in ihren Bestandtheilen noch in der Dicke der Schichtung, weil die Masse des zugeführten Materials zeitlich wie stofflich ganz verschieden ist. Der Löß aber ist stets ganz gleichartig gebaut; er besteht nämlich aus einer feinen, zerreiblichen, gelbbraunen Erdmasse und zeigt nebeneinander in fast gerader vertikaler Richtung nach unten sich fortsetzende Röhrchen, deren Wandungen mit Kalk inkrustirt sind. Nehme man nun ein Stück aus dem oberen, mittleren oder unteren Theile der ganzen Lößablagerung, überall wird man seine Struktur völlig gleich finden. Was aber die Art der Absonderung betrifft, so neigt der Löß zu vertikaler und bildet mit Vorliebe steil abstürzende Wände; besonders in China, wo der Löß in größter Ausdehnung auftritt, finden sich schroffe Wände von 3 — 400 Fuß Höhe. Als zweiter Hauptgrund gegen die marinen Theorien möge der wichtige Umstand angeführt werden, daß, in allen Theilen der Ablagerungen verstreut, sich zahlreiche wohlerhaltene Gehäuse von Landschnecken vorfinden und zwar in so großer Anzahl und so gut erhaltenem Zustande, daß an eine Hinein¬ spülung durch Wasser nicht gedacht werden kann. Alexander Braun unter¬ suchte mehr als 200,000 Gehäuse von Lößschnecken und fand, daß nur 33 nicht Landschnecken angehörten. Alle diese Theorien können also für zureichend nicht erachtet werden; gegen die von Lyell aufgestellte muß speziell gesagt werden, daß sie bei aller Gründlichkeit und bei großem Scharfsinn auch noch an dem Fehler leidet, daß sie zu einseitig auf den rheinischen Löß zugeschnitten ist. Die Aufgabe eiues Geologen gehört freilich zu den heikelsten und schwie¬ rigsten. Er soll und will eine Geschichte der Bildung der Erdrinde geben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/455>, abgerufen am 22.07.2024.