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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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näher zu bringen, vielmehr nur die Kluft zwischen Gott und dem Menschen
befestigt?" (Die christliche Kirche vom Anfang des vierten bis zum Ende des
sechsten Jahrhunderts. S. 97--98,) Vielleicht daß diese Auffassung Baur's
Hanne doch veranlaßt hätte, die Frage nach der Entstehung des Dogmas von
der Gottheit Christi anders zu beantworten, als er es gethan hat. Der hat
doch nur sehr oberflächlich in die inneren Gründe desselben hineingeschaut,
welcher, wie Hanne, seine Ergebnisse dahin zusammenfaßt: "Eine heidnisch-
jüdische Philosophie war seine Mutter, bischöfliche Herrschsucht war sein Vater,
ein heidnischer Kaiser hat das Kind aus der Taufe gehoben, mit einem Fluche
ist es eingesegnet." (S. 38). Der Ton des Vortrags ist, wie diese Stelle schon
zeigt, nicht frei von einer an Fanatismus streifenden Bitterkeit gegenüber dem
Dogma von der Gottheit Christi und seinen Vertretern, dieselbe spricht sich
auch in dem Schlußworte: "Feget den alten Sauerteig aus" (nämlich das
Dogma von der Gottheit Christi) sehr kräftig aus. Der Geist der Toleranz
weht in diesem Vortrage nicht.

4. Der Vortrag von Professor Spieß in Jena orientirt uns zuerst geschicht¬
lich über die verschiedenen zur Anwendung gekommenen Bestattungsweisen und
wendet sich dann der Frage zu, ob Begräbniß oder Verbrennung des Leich¬
nams den Vorzug verdiene. Er entscheidet sich für das erstere, sowohl weil es
mit einer unserem inneren Leben engverwachseueu Gefühlsweise, die zu eiuer
heiligen Sitte der christlichen Völker geworden sei, übereinstimmt, als auch,
weil dasselbe gestattet, das Bild des Verstorbenen unverletzt im erinnernden
Bewußtsein zu bewahren. "Nur dann lebt das Bild der Persönlichkeit, zu
welcher der Leib wesentlich angehört, in seiner Totalität unversehrt, in heiligem
Gedächtnisse bei uns fort, und Erinnerung und Schmerz verwesen gleichsam
allmälig in dein Maße mit, als die Glieder sich in die Elemente auflösen
und in Staub zerfallen. Greifen wir aber dem Schicksal vor, so berauben wir
das Bild der abgeschiedenen Persönlichkeit seiner Umrisse und reißen es so zu
sagen geflissentlich aus dem Herzen." Stimmen wir insoweit vollkommen mit
dem Verfasser überein, so können wir ihm doch nicht folgen, wenn er das Be-
gräbniß nnr für die Glieder der christlichen Kirche obligatorisch gemacht, an¬
deren Volksangehörigeu aber die Feuerbestattung gestattet wissen will. Wir sind
vielmehr der Meinung, daß der Staat sich ein Verdienst erwirbt, wenn er der
Zerstörung geheiligter und in sich wohl begründeter Sitten entschiedenen Wider¬
stand leistet.


H. Jacoby.


näher zu bringen, vielmehr nur die Kluft zwischen Gott und dem Menschen
befestigt?" (Die christliche Kirche vom Anfang des vierten bis zum Ende des
sechsten Jahrhunderts. S. 97—98,) Vielleicht daß diese Auffassung Baur's
Hanne doch veranlaßt hätte, die Frage nach der Entstehung des Dogmas von
der Gottheit Christi anders zu beantworten, als er es gethan hat. Der hat
doch nur sehr oberflächlich in die inneren Gründe desselben hineingeschaut,
welcher, wie Hanne, seine Ergebnisse dahin zusammenfaßt: „Eine heidnisch-
jüdische Philosophie war seine Mutter, bischöfliche Herrschsucht war sein Vater,
ein heidnischer Kaiser hat das Kind aus der Taufe gehoben, mit einem Fluche
ist es eingesegnet." (S. 38). Der Ton des Vortrags ist, wie diese Stelle schon
zeigt, nicht frei von einer an Fanatismus streifenden Bitterkeit gegenüber dem
Dogma von der Gottheit Christi und seinen Vertretern, dieselbe spricht sich
auch in dem Schlußworte: „Feget den alten Sauerteig aus" (nämlich das
Dogma von der Gottheit Christi) sehr kräftig aus. Der Geist der Toleranz
weht in diesem Vortrage nicht.

4. Der Vortrag von Professor Spieß in Jena orientirt uns zuerst geschicht¬
lich über die verschiedenen zur Anwendung gekommenen Bestattungsweisen und
wendet sich dann der Frage zu, ob Begräbniß oder Verbrennung des Leich¬
nams den Vorzug verdiene. Er entscheidet sich für das erstere, sowohl weil es
mit einer unserem inneren Leben engverwachseueu Gefühlsweise, die zu eiuer
heiligen Sitte der christlichen Völker geworden sei, übereinstimmt, als auch,
weil dasselbe gestattet, das Bild des Verstorbenen unverletzt im erinnernden
Bewußtsein zu bewahren. „Nur dann lebt das Bild der Persönlichkeit, zu
welcher der Leib wesentlich angehört, in seiner Totalität unversehrt, in heiligem
Gedächtnisse bei uns fort, und Erinnerung und Schmerz verwesen gleichsam
allmälig in dein Maße mit, als die Glieder sich in die Elemente auflösen
und in Staub zerfallen. Greifen wir aber dem Schicksal vor, so berauben wir
das Bild der abgeschiedenen Persönlichkeit seiner Umrisse und reißen es so zu
sagen geflissentlich aus dem Herzen." Stimmen wir insoweit vollkommen mit
dem Verfasser überein, so können wir ihm doch nicht folgen, wenn er das Be-
gräbniß nnr für die Glieder der christlichen Kirche obligatorisch gemacht, an¬
deren Volksangehörigeu aber die Feuerbestattung gestattet wissen will. Wir sind
vielmehr der Meinung, daß der Staat sich ein Verdienst erwirbt, wenn er der
Zerstörung geheiligter und in sich wohl begründeter Sitten entschiedenen Wider¬
stand leistet.


H. Jacoby.


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[0429] näher zu bringen, vielmehr nur die Kluft zwischen Gott und dem Menschen befestigt?" (Die christliche Kirche vom Anfang des vierten bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts. S. 97—98,) Vielleicht daß diese Auffassung Baur's Hanne doch veranlaßt hätte, die Frage nach der Entstehung des Dogmas von der Gottheit Christi anders zu beantworten, als er es gethan hat. Der hat doch nur sehr oberflächlich in die inneren Gründe desselben hineingeschaut, welcher, wie Hanne, seine Ergebnisse dahin zusammenfaßt: „Eine heidnisch- jüdische Philosophie war seine Mutter, bischöfliche Herrschsucht war sein Vater, ein heidnischer Kaiser hat das Kind aus der Taufe gehoben, mit einem Fluche ist es eingesegnet." (S. 38). Der Ton des Vortrags ist, wie diese Stelle schon zeigt, nicht frei von einer an Fanatismus streifenden Bitterkeit gegenüber dem Dogma von der Gottheit Christi und seinen Vertretern, dieselbe spricht sich auch in dem Schlußworte: „Feget den alten Sauerteig aus" (nämlich das Dogma von der Gottheit Christi) sehr kräftig aus. Der Geist der Toleranz weht in diesem Vortrage nicht. 4. Der Vortrag von Professor Spieß in Jena orientirt uns zuerst geschicht¬ lich über die verschiedenen zur Anwendung gekommenen Bestattungsweisen und wendet sich dann der Frage zu, ob Begräbniß oder Verbrennung des Leich¬ nams den Vorzug verdiene. Er entscheidet sich für das erstere, sowohl weil es mit einer unserem inneren Leben engverwachseueu Gefühlsweise, die zu eiuer heiligen Sitte der christlichen Völker geworden sei, übereinstimmt, als auch, weil dasselbe gestattet, das Bild des Verstorbenen unverletzt im erinnernden Bewußtsein zu bewahren. „Nur dann lebt das Bild der Persönlichkeit, zu welcher der Leib wesentlich angehört, in seiner Totalität unversehrt, in heiligem Gedächtnisse bei uns fort, und Erinnerung und Schmerz verwesen gleichsam allmälig in dein Maße mit, als die Glieder sich in die Elemente auflösen und in Staub zerfallen. Greifen wir aber dem Schicksal vor, so berauben wir das Bild der abgeschiedenen Persönlichkeit seiner Umrisse und reißen es so zu sagen geflissentlich aus dem Herzen." Stimmen wir insoweit vollkommen mit dem Verfasser überein, so können wir ihm doch nicht folgen, wenn er das Be- gräbniß nnr für die Glieder der christlichen Kirche obligatorisch gemacht, an¬ deren Volksangehörigeu aber die Feuerbestattung gestattet wissen will. Wir sind vielmehr der Meinung, daß der Staat sich ein Verdienst erwirbt, wenn er der Zerstörung geheiligter und in sich wohl begründeter Sitten entschiedenen Wider¬ stand leistet. H. Jacoby.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/429>, abgerufen am 22.07.2024.