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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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werfen. Die ganze Gesellschaft ist in volles goldiges Sonnenlicht förmlich
gebadet. Alles auf dem Bilde, so kann man mit einer erlaubten Metapher
sagen, jauchzt: die Farbe, das Licht, die Natur und die Menschen. Die Tracht
der Mädchen ist der japanischen am meisten ähnlich. Vielleicht hat der Maler
einen Küstenstrich dieses von der Natur verschwenderisch begabten Jnselreichs
darstellen wollen, vielleicht auch eine Gegend am Mittelmeer, die er dann mit
Gestalten seiner Phantasie bevölkert hat. Aber japanisch ist nnn einmal der
Charakter des ganzen Bildes, der kaum spannenlangen Figürchen, die mit einer
bewunderungswürdigen Grazie und Feinheit modellirt find.

Zu dem merkwürdigen Bilde gehört ein merkwürdiger Nahmen. Er ist
braun bemalt und mit allerlei seltsamem Gethier versehen, das auf einer frei¬
gearbeiteten Stange hockt, welche die innere, dem Bilde zugekehrte Seite des
Rahmens umgibt. Da sitzen Vögel und Krebse, da ringelt sich eine grnn-
bronzirte Schlange heran, und darüber sieht man silberne Sterne und in der
Luft herumfliegende Figürchen -- in Summa, eine groteske Phantasie, deren
Reiz dnrch das Geheimnißvolle und Räthselhafte nur noch erhöht wird.

Im Uebrigen ist die italienische Malerei in vollständiger Abhängigkeit
von Frankreich befangen. Sie hat sich von der großen künstlerischen Ver¬
gangenheit ihres Landes vollständig freigemacht und kokettirt, wie die französische
Malerei, mit koloristischen Bravourstücken, denen jeder geistige Inhalt fehlt.
Sie theilt zwar nicht mit ihr die Vorliebe für das Grauenhafte und Bizarre;
dafür fehlt ihr aber die Malerei großen Stils, die vom Staate nicht protegirt,
ans der Ausstellung anch nicht vertreten ist. Trotzdem hat sie einen mehr volks-
thümlichen Charakter. Das Leben der Landleute, die Volksfeste, die religiöse"
Zeremonien finden liebevolle Schilderer, die scharf zu beobachten und charakte¬
ristisch darzustellen wissen. Da kommt ihnen freilich, besonders wenn sie das
Getümmel rauschender Volksfeste darstellen wollen, der prickelnde Kolorismus
der modernen französischen Schule sehr zu statten.

Ans dieser Abhängigkeit von Frankreich erklärt es sich, weshalb die ver¬
schiedenen Malerschulen Italien's die mailändische, die florentinische, die römische
und die neapolitanische, keine besondere Physiognomie besitzen. Während sich
in Deutschland unter völlig ähnlichen Verhältnissen scharf gesonderte Schulen
gebildet haben, die nicht wenig zu der großartigen Vielseitigkeit der deutschen
Malerei beitragen, sind die italienischen Malerschulen sämmtlich Filialen von
Paris. Nur die venetianische hat sich einen eigenen, augenscheinlich von Wien,
zum Theil auch von unserem Passini beeinflußten Charakter gewahrt. In
Mailand siud neben den französischen wenigstens noch deutsche Einflüsse be¬
merkbar, besonders an den beiden Jndnno's. Der eine, Domenico, hat ein
figurenreiches Bild ausgestellt, welches die Grundsteinlegung der (Zs-Ioria Viktors


werfen. Die ganze Gesellschaft ist in volles goldiges Sonnenlicht förmlich
gebadet. Alles auf dem Bilde, so kann man mit einer erlaubten Metapher
sagen, jauchzt: die Farbe, das Licht, die Natur und die Menschen. Die Tracht
der Mädchen ist der japanischen am meisten ähnlich. Vielleicht hat der Maler
einen Küstenstrich dieses von der Natur verschwenderisch begabten Jnselreichs
darstellen wollen, vielleicht auch eine Gegend am Mittelmeer, die er dann mit
Gestalten seiner Phantasie bevölkert hat. Aber japanisch ist nnn einmal der
Charakter des ganzen Bildes, der kaum spannenlangen Figürchen, die mit einer
bewunderungswürdigen Grazie und Feinheit modellirt find.

Zu dem merkwürdigen Bilde gehört ein merkwürdiger Nahmen. Er ist
braun bemalt und mit allerlei seltsamem Gethier versehen, das auf einer frei¬
gearbeiteten Stange hockt, welche die innere, dem Bilde zugekehrte Seite des
Rahmens umgibt. Da sitzen Vögel und Krebse, da ringelt sich eine grnn-
bronzirte Schlange heran, und darüber sieht man silberne Sterne und in der
Luft herumfliegende Figürchen — in Summa, eine groteske Phantasie, deren
Reiz dnrch das Geheimnißvolle und Räthselhafte nur noch erhöht wird.

Im Uebrigen ist die italienische Malerei in vollständiger Abhängigkeit
von Frankreich befangen. Sie hat sich von der großen künstlerischen Ver¬
gangenheit ihres Landes vollständig freigemacht und kokettirt, wie die französische
Malerei, mit koloristischen Bravourstücken, denen jeder geistige Inhalt fehlt.
Sie theilt zwar nicht mit ihr die Vorliebe für das Grauenhafte und Bizarre;
dafür fehlt ihr aber die Malerei großen Stils, die vom Staate nicht protegirt,
ans der Ausstellung anch nicht vertreten ist. Trotzdem hat sie einen mehr volks-
thümlichen Charakter. Das Leben der Landleute, die Volksfeste, die religiöse»
Zeremonien finden liebevolle Schilderer, die scharf zu beobachten und charakte¬
ristisch darzustellen wissen. Da kommt ihnen freilich, besonders wenn sie das
Getümmel rauschender Volksfeste darstellen wollen, der prickelnde Kolorismus
der modernen französischen Schule sehr zu statten.

Ans dieser Abhängigkeit von Frankreich erklärt es sich, weshalb die ver¬
schiedenen Malerschulen Italien's die mailändische, die florentinische, die römische
und die neapolitanische, keine besondere Physiognomie besitzen. Während sich
in Deutschland unter völlig ähnlichen Verhältnissen scharf gesonderte Schulen
gebildet haben, die nicht wenig zu der großartigen Vielseitigkeit der deutschen
Malerei beitragen, sind die italienischen Malerschulen sämmtlich Filialen von
Paris. Nur die venetianische hat sich einen eigenen, augenscheinlich von Wien,
zum Theil auch von unserem Passini beeinflußten Charakter gewahrt. In
Mailand siud neben den französischen wenigstens noch deutsche Einflüsse be¬
merkbar, besonders an den beiden Jndnno's. Der eine, Domenico, hat ein
figurenreiches Bild ausgestellt, welches die Grundsteinlegung der (Zs-Ioria Viktors


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[0374] werfen. Die ganze Gesellschaft ist in volles goldiges Sonnenlicht förmlich gebadet. Alles auf dem Bilde, so kann man mit einer erlaubten Metapher sagen, jauchzt: die Farbe, das Licht, die Natur und die Menschen. Die Tracht der Mädchen ist der japanischen am meisten ähnlich. Vielleicht hat der Maler einen Küstenstrich dieses von der Natur verschwenderisch begabten Jnselreichs darstellen wollen, vielleicht auch eine Gegend am Mittelmeer, die er dann mit Gestalten seiner Phantasie bevölkert hat. Aber japanisch ist nnn einmal der Charakter des ganzen Bildes, der kaum spannenlangen Figürchen, die mit einer bewunderungswürdigen Grazie und Feinheit modellirt find. Zu dem merkwürdigen Bilde gehört ein merkwürdiger Nahmen. Er ist braun bemalt und mit allerlei seltsamem Gethier versehen, das auf einer frei¬ gearbeiteten Stange hockt, welche die innere, dem Bilde zugekehrte Seite des Rahmens umgibt. Da sitzen Vögel und Krebse, da ringelt sich eine grnn- bronzirte Schlange heran, und darüber sieht man silberne Sterne und in der Luft herumfliegende Figürchen — in Summa, eine groteske Phantasie, deren Reiz dnrch das Geheimnißvolle und Räthselhafte nur noch erhöht wird. Im Uebrigen ist die italienische Malerei in vollständiger Abhängigkeit von Frankreich befangen. Sie hat sich von der großen künstlerischen Ver¬ gangenheit ihres Landes vollständig freigemacht und kokettirt, wie die französische Malerei, mit koloristischen Bravourstücken, denen jeder geistige Inhalt fehlt. Sie theilt zwar nicht mit ihr die Vorliebe für das Grauenhafte und Bizarre; dafür fehlt ihr aber die Malerei großen Stils, die vom Staate nicht protegirt, ans der Ausstellung anch nicht vertreten ist. Trotzdem hat sie einen mehr volks- thümlichen Charakter. Das Leben der Landleute, die Volksfeste, die religiöse» Zeremonien finden liebevolle Schilderer, die scharf zu beobachten und charakte¬ ristisch darzustellen wissen. Da kommt ihnen freilich, besonders wenn sie das Getümmel rauschender Volksfeste darstellen wollen, der prickelnde Kolorismus der modernen französischen Schule sehr zu statten. Ans dieser Abhängigkeit von Frankreich erklärt es sich, weshalb die ver¬ schiedenen Malerschulen Italien's die mailändische, die florentinische, die römische und die neapolitanische, keine besondere Physiognomie besitzen. Während sich in Deutschland unter völlig ähnlichen Verhältnissen scharf gesonderte Schulen gebildet haben, die nicht wenig zu der großartigen Vielseitigkeit der deutschen Malerei beitragen, sind die italienischen Malerschulen sämmtlich Filialen von Paris. Nur die venetianische hat sich einen eigenen, augenscheinlich von Wien, zum Theil auch von unserem Passini beeinflußten Charakter gewahrt. In Mailand siud neben den französischen wenigstens noch deutsche Einflüsse be¬ merkbar, besonders an den beiden Jndnno's. Der eine, Domenico, hat ein figurenreiches Bild ausgestellt, welches die Grundsteinlegung der (Zs-Ioria Viktors

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/374>, abgerufen am 22.07.2024.