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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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richtsministers Duruy (1869) und des Marschalls Canrvbert in Wien alle ihre
Rivalen schlug, hat ihre früheren Leistungen durch neue nicht in den Schatten
gestellt, und doch verstand sie es noch am besten unter den französischen Por¬
traitmalern dem geistigen Charakter eines Individuums gerecht zu werden.
Vollends flach und geistlos, mehr Rvbenporträts als Menschenbilder, sind die
Bildnisse von Cabanel und Robert-Fleury, und gerade sie -- das ist charak¬
teristisch -- gehören zu deu bevorzugtesten Portraitmalern von Paris, insbe¬
sondere der offiziellen Welt.

Cabanel ist, wie ich schon bei Besprechung der historischen Malerei ange¬
deutet habe, der ausgeprägteste Typus des Akademikers, den man sich denken
kann, und obwohl Robert-Fleury noch nicht die Ehre hat, zu den Nsmbrss
alö 1'IriLtiwt zu zählen, ist er um seiner Kunst willen dieser Ehre längst würdig.
Keiner unter den modernen französischen Malern erinnert so lebhaft wie er an
den Vater des akademischen Stils, an L. F. David, den Jakobiner und
Historienmaler, der zugleich als der geistige Vater der gegenwärtigen Historien¬
malerei Frankreich's angesehen werden muß. Die echte, die wahre Große, wie
sie sich in Delacroix offenbart hat, findet in Frankreich keine Nachfolger mehr.
Nur das Gespreizte, das Theatralische, das Komödiantenhafte findet seine Ver¬
ehrer. Die großen Bilder David's, die jetzt fast sämmtlich in den Sälen des
Louvre vereinigt sind, werden von den Franzosen als leibhaftige Evangelien
klassischer Kunst angestaunt, diese hohlen, frostigen Deklamationen, diese wohl-
arrangirten Theaterszenen, denen nicht die leiseste Spur von Wahrheit und
Empfindung innewohnt. Während der Republikaner in seiner Formengebung
noch ziemlich streng und ehrbar war, merkt man es den Bildern Robert-
Fleury's an, daß ihr Maler die Lotterschnle des zweiten Kaiserreichs mit Er¬
folg durchgemacht hat. Sein riesiges, figurenreiches Gemälde "Der letzte Tag
von Korinth", der schon auf der Wiener Weltausstellung paradirte und zum
großen Theil dazu beitrug, dem französischen Salon einen Namen einzutragen,
den wir hier uicht wiederholen wollen, ist für würdig befunden worden, dem
Museum des Luxemburg einverleibt zu werden. Wir sehen ihn jetzt wiederum
auf dem Marsfelde: es ist nicht viel mehr als ein Ragout nackter, üppiger
Frauenleiber, die in wollüstigen Stellungen zu einer großen Gruppe vereinigt
sind. Man würde eher an ein Bacchanal, jedenfalls an alles andere eher
denken als an die Schrecken einer Eroberung. Nur der Konsul Mummius, der
mit seinen Kriegern von links her angeritten kommt, erinnert uns daran, daß
den schönen Damen im Vordergrunde kein angenehmes Schicksal bevorsteht.
Neuerdings ist Robert-Fleury asketischer geworden. Er hat die Ueppigkeit
Korinth's vergessen und ist zu den Schrecken eines Irrenhauses herabgestiegen.


richtsministers Duruy (1869) und des Marschalls Canrvbert in Wien alle ihre
Rivalen schlug, hat ihre früheren Leistungen durch neue nicht in den Schatten
gestellt, und doch verstand sie es noch am besten unter den französischen Por¬
traitmalern dem geistigen Charakter eines Individuums gerecht zu werden.
Vollends flach und geistlos, mehr Rvbenporträts als Menschenbilder, sind die
Bildnisse von Cabanel und Robert-Fleury, und gerade sie — das ist charak¬
teristisch — gehören zu deu bevorzugtesten Portraitmalern von Paris, insbe¬
sondere der offiziellen Welt.

Cabanel ist, wie ich schon bei Besprechung der historischen Malerei ange¬
deutet habe, der ausgeprägteste Typus des Akademikers, den man sich denken
kann, und obwohl Robert-Fleury noch nicht die Ehre hat, zu den Nsmbrss
alö 1'IriLtiwt zu zählen, ist er um seiner Kunst willen dieser Ehre längst würdig.
Keiner unter den modernen französischen Malern erinnert so lebhaft wie er an
den Vater des akademischen Stils, an L. F. David, den Jakobiner und
Historienmaler, der zugleich als der geistige Vater der gegenwärtigen Historien¬
malerei Frankreich's angesehen werden muß. Die echte, die wahre Große, wie
sie sich in Delacroix offenbart hat, findet in Frankreich keine Nachfolger mehr.
Nur das Gespreizte, das Theatralische, das Komödiantenhafte findet seine Ver¬
ehrer. Die großen Bilder David's, die jetzt fast sämmtlich in den Sälen des
Louvre vereinigt sind, werden von den Franzosen als leibhaftige Evangelien
klassischer Kunst angestaunt, diese hohlen, frostigen Deklamationen, diese wohl-
arrangirten Theaterszenen, denen nicht die leiseste Spur von Wahrheit und
Empfindung innewohnt. Während der Republikaner in seiner Formengebung
noch ziemlich streng und ehrbar war, merkt man es den Bildern Robert-
Fleury's an, daß ihr Maler die Lotterschnle des zweiten Kaiserreichs mit Er¬
folg durchgemacht hat. Sein riesiges, figurenreiches Gemälde „Der letzte Tag
von Korinth", der schon auf der Wiener Weltausstellung paradirte und zum
großen Theil dazu beitrug, dem französischen Salon einen Namen einzutragen,
den wir hier uicht wiederholen wollen, ist für würdig befunden worden, dem
Museum des Luxemburg einverleibt zu werden. Wir sehen ihn jetzt wiederum
auf dem Marsfelde: es ist nicht viel mehr als ein Ragout nackter, üppiger
Frauenleiber, die in wollüstigen Stellungen zu einer großen Gruppe vereinigt
sind. Man würde eher an ein Bacchanal, jedenfalls an alles andere eher
denken als an die Schrecken einer Eroberung. Nur der Konsul Mummius, der
mit seinen Kriegern von links her angeritten kommt, erinnert uns daran, daß
den schönen Damen im Vordergrunde kein angenehmes Schicksal bevorsteht.
Neuerdings ist Robert-Fleury asketischer geworden. Er hat die Ueppigkeit
Korinth's vergessen und ist zu den Schrecken eines Irrenhauses herabgestiegen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/352>, abgerufen am 22.07.2024.