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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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worden sein, bevor der Ruf erscholl: rss rsäiit g.ä tri^rios! Was bei der
Phalanx ausschließlich von mehr oder minder einsichtsvollen Anordnungen des
Feldherrn abhing: die Unterstützung der einzelnen Theile des Ganzen, das war
bei der Legion selbstverständliche Grundlage der Taktik. Das phalangitische
System sucht seine Kraft im Stoße, bezüglich im Abstoßen, das legionare da¬
gegen in dem Ineinandergreifen seiner Glieder; jenes sucht in der geschlossenen
Masse iKolonne oder Linie oder Kvlonnenlinie) den Erfolg, dies in dem Zu¬
sammenwirken selbständiger, stark individualisirter Einheiten. Alles in Allein
unterscheidet sich die Legion von der Phalanx dadurch, daß der Zusammenhalt
ihrer einzelnen Theile durch ein höheres statisches Gesetz bedingt wird.

Ich habe an anderer Stelle bereits die Phalanx dem griechischen Architrav- oder
Steiubalkenbau verglichen, der für den architektonischen Stil der Hellenen das
entscheidende Kriterium ist. Die legionare Stellung dagegen gleicht dem zuerst
von den Römern gepflegten Gewölbebau. Jeder einzelne Manipel trägt
den andern mit, wie die Steine eines Gewölbes sich untereinander halten und
tragen; und während die Tiefe der vhalangitischen Aufstellung ein für allemal
entschieden ist durch die Rottenzahl, gerade wie die Höhe eines griechischen
Tempels durch die Höhe der Säulen, über welche sich der starre abschließende
Steinbalken streckt, so erlaubt die legionare Treffenstellung je nach den Ab¬
ständen, welche man wählt, große Mannigfaltigkeit, ganz in derselben Weise,
wie man ein und denselben Raum mit einem elliptischen, einem Tonnen- oder
einem Kreuzgewölbe abschließen und ihm dadurch sehr verschiedene Höhen geben
kann. Durch die freie, wechselgestaltende Fügung und durch die nach der Tiefe
hin gliedernde Anordnung ihrer taktischen Theile stellt sich also die Legion un¬
mittelbar in Parallele zu der wichtigsten und fruchtbarsten Erfindung, welche
die Architektur den Römern verdankt. Und wie das Gewölbe für die Baukunst,
so wird die Legion für die Kriegskunst ein neues, aller Folgezeit unentbehr¬
liches Grundelement. Gewölbebau und Legionsstellung bieten eine den Griechen
unbekannte Mannigfaltigkeit, gewähren eine unberechenbare Fülle neuer Motive
und gestatten die Entfaltung einer großartigen Raumentwickelung, wie sie weder
Phalanx noch Architravban ermöglichten, wie sie jedoch für die weltgeschicht¬
lichen Aufgaben des Römerthums unerläßlich war. Mit Phalanx und Legion
hatte sich die Kriegskunst ihre großen, für immer giltigen klassischen Grund¬
formen geschlossener Kampfart ein für allemal geschaffen, geradeso wie die
Baukunst im Architravbau und im Gewölbebau.

Bei Pydna schlug die antike Phalanx, wie Hellas sie herausgebildet hatte,
ihre letzte große Schlacht. Auf makedonischem Boden erlag die Kampfesform,
mit welcher Alexander die Welt besiegt hatte, der römischen Fechtart und begrub
in ihrem Falle das makedonische Reich.




worden sein, bevor der Ruf erscholl: rss rsäiit g.ä tri^rios! Was bei der
Phalanx ausschließlich von mehr oder minder einsichtsvollen Anordnungen des
Feldherrn abhing: die Unterstützung der einzelnen Theile des Ganzen, das war
bei der Legion selbstverständliche Grundlage der Taktik. Das phalangitische
System sucht seine Kraft im Stoße, bezüglich im Abstoßen, das legionare da¬
gegen in dem Ineinandergreifen seiner Glieder; jenes sucht in der geschlossenen
Masse iKolonne oder Linie oder Kvlonnenlinie) den Erfolg, dies in dem Zu¬
sammenwirken selbständiger, stark individualisirter Einheiten. Alles in Allein
unterscheidet sich die Legion von der Phalanx dadurch, daß der Zusammenhalt
ihrer einzelnen Theile durch ein höheres statisches Gesetz bedingt wird.

Ich habe an anderer Stelle bereits die Phalanx dem griechischen Architrav- oder
Steiubalkenbau verglichen, der für den architektonischen Stil der Hellenen das
entscheidende Kriterium ist. Die legionare Stellung dagegen gleicht dem zuerst
von den Römern gepflegten Gewölbebau. Jeder einzelne Manipel trägt
den andern mit, wie die Steine eines Gewölbes sich untereinander halten und
tragen; und während die Tiefe der vhalangitischen Aufstellung ein für allemal
entschieden ist durch die Rottenzahl, gerade wie die Höhe eines griechischen
Tempels durch die Höhe der Säulen, über welche sich der starre abschließende
Steinbalken streckt, so erlaubt die legionare Treffenstellung je nach den Ab¬
ständen, welche man wählt, große Mannigfaltigkeit, ganz in derselben Weise,
wie man ein und denselben Raum mit einem elliptischen, einem Tonnen- oder
einem Kreuzgewölbe abschließen und ihm dadurch sehr verschiedene Höhen geben
kann. Durch die freie, wechselgestaltende Fügung und durch die nach der Tiefe
hin gliedernde Anordnung ihrer taktischen Theile stellt sich also die Legion un¬
mittelbar in Parallele zu der wichtigsten und fruchtbarsten Erfindung, welche
die Architektur den Römern verdankt. Und wie das Gewölbe für die Baukunst,
so wird die Legion für die Kriegskunst ein neues, aller Folgezeit unentbehr¬
liches Grundelement. Gewölbebau und Legionsstellung bieten eine den Griechen
unbekannte Mannigfaltigkeit, gewähren eine unberechenbare Fülle neuer Motive
und gestatten die Entfaltung einer großartigen Raumentwickelung, wie sie weder
Phalanx noch Architravban ermöglichten, wie sie jedoch für die weltgeschicht¬
lichen Aufgaben des Römerthums unerläßlich war. Mit Phalanx und Legion
hatte sich die Kriegskunst ihre großen, für immer giltigen klassischen Grund¬
formen geschlossener Kampfart ein für allemal geschaffen, geradeso wie die
Baukunst im Architravbau und im Gewölbebau.

Bei Pydna schlug die antike Phalanx, wie Hellas sie herausgebildet hatte,
ihre letzte große Schlacht. Auf makedonischem Boden erlag die Kampfesform,
mit welcher Alexander die Welt besiegt hatte, der römischen Fechtart und begrub
in ihrem Falle das makedonische Reich.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/338>, abgerufen am 22.07.2024.