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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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wunderlicher Zug: die ersten feiern den Schöpfer der "napoleonischen Legende",
die letzten den Schöpfer der dritten Republik.

Die französischen Kritiker haben mit Recht gegen dieses seltsame Gemisch
von allegorischen, phantastischen und realen Elementen geeifert. Aber bei dieser
Kritik spielte der politische Standpunkt eine größere Rolle als der ästhetische.
Daß Vibert, der Kleinmaler, seinem ganzen künstlerischen Naturel nach nicht
im Stande sein konnte, eine monumentale Wirkung zu erzielen und daß er aus
diesem Grunde an seiner großen Aufgabe scheitern mußte, ist keinem von den
französischen Kritikern beigefallen.

Niemandem kam das Mißlingen der Vibert'schen Apotheose gelegener als
Meissonier. Er hatte schon im Voraus das Seinige gethan, um seinem Rivalen
alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg zu legen, da er die Glorifizirung
des Mr. Thiers sür seine ausschließliche Domäne hält. Vibert hatte Thiers
nicht persönlich gekannt. Er that Schritte bei seiner Wittwe, um authen¬
tische Portraits des Verstorbenen zu erlangen. Aber die Intriguen Meissonier's,
so erzählt man sich, wußten Madame Thiers zu bewegen, dem Maler seine
Bitte abzuschlagen. Nicht besser erging es ihm bei den intimen Freunden des
Präsidenten. Der "Figaro" hat wegen dieser Intriguen eine ebenso scharfe
wie geistvolle Satire gegen den großen Kleinmaler geschrieben, aus der ich
deu Schluß hier mittheilen will, weil er zugleich einen Beitrag zu der Charak¬
teristik eines Künstlers liefert, der die Regel, daß alle großen Künstler auch
große und edle Charaktere sind, dadurch bestätigt, daß er eine Ausnahme von
dieser Regel macht. Meissonier hatte ebenfalls die Absicht, eine Apotheose
Thiers' zu malen. Aber wie gewöhnlich war er über den Plan nicht hinaus¬
gekommen. Eines Tages, so erzählt "Figaro", interpellirte ihn einer seiner
Schüler, wie er denn den Gegenstand aufzufassen gedenke.

"Sie wollen wissen, mein theurer Freund, wie ich diesen nationalen Stoff
behandeln werde? So. Mr. Thiers war ein Mann von größter Einfachheit,
man muß ihn auch als solchen darstellen, um seinen Charakter festzuhalten.
Mein Gemälde wird das Sterbezimmer in Se. Germain darstellen; im Hinter¬
gründe, ganz im Hintergrunde liegt der Leichnam des berühmten Staatsmannes
auf seinem eisernen Bettgestell____"

- "Sehr gut, sagte der Freund, das ist vortrefflich. Und dann......?"
Herr Meissonier sah den Fragenden mit erstaunter Miene an.

- "Und dann?" wiederholte er. "Das ist sehr einfach. Ich sagte also,
daß man im Hintergrunde Herrn Thiers auf seinem eisernen Bette sehen wird,
und im Vordergrunde werde ich sitzen, im Begriffe ihn zu malen." --

Ungleich wirkungsvoller als Vibert's großes Gemälde ist ein zweites Bild,
das Thiers verherrlicht, ein Bild, das nicht über die bescheidenen Dimensionen


wunderlicher Zug: die ersten feiern den Schöpfer der „napoleonischen Legende",
die letzten den Schöpfer der dritten Republik.

Die französischen Kritiker haben mit Recht gegen dieses seltsame Gemisch
von allegorischen, phantastischen und realen Elementen geeifert. Aber bei dieser
Kritik spielte der politische Standpunkt eine größere Rolle als der ästhetische.
Daß Vibert, der Kleinmaler, seinem ganzen künstlerischen Naturel nach nicht
im Stande sein konnte, eine monumentale Wirkung zu erzielen und daß er aus
diesem Grunde an seiner großen Aufgabe scheitern mußte, ist keinem von den
französischen Kritikern beigefallen.

Niemandem kam das Mißlingen der Vibert'schen Apotheose gelegener als
Meissonier. Er hatte schon im Voraus das Seinige gethan, um seinem Rivalen
alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg zu legen, da er die Glorifizirung
des Mr. Thiers sür seine ausschließliche Domäne hält. Vibert hatte Thiers
nicht persönlich gekannt. Er that Schritte bei seiner Wittwe, um authen¬
tische Portraits des Verstorbenen zu erlangen. Aber die Intriguen Meissonier's,
so erzählt man sich, wußten Madame Thiers zu bewegen, dem Maler seine
Bitte abzuschlagen. Nicht besser erging es ihm bei den intimen Freunden des
Präsidenten. Der „Figaro" hat wegen dieser Intriguen eine ebenso scharfe
wie geistvolle Satire gegen den großen Kleinmaler geschrieben, aus der ich
deu Schluß hier mittheilen will, weil er zugleich einen Beitrag zu der Charak¬
teristik eines Künstlers liefert, der die Regel, daß alle großen Künstler auch
große und edle Charaktere sind, dadurch bestätigt, daß er eine Ausnahme von
dieser Regel macht. Meissonier hatte ebenfalls die Absicht, eine Apotheose
Thiers' zu malen. Aber wie gewöhnlich war er über den Plan nicht hinaus¬
gekommen. Eines Tages, so erzählt „Figaro", interpellirte ihn einer seiner
Schüler, wie er denn den Gegenstand aufzufassen gedenke.

„Sie wollen wissen, mein theurer Freund, wie ich diesen nationalen Stoff
behandeln werde? So. Mr. Thiers war ein Mann von größter Einfachheit,
man muß ihn auch als solchen darstellen, um seinen Charakter festzuhalten.
Mein Gemälde wird das Sterbezimmer in Se. Germain darstellen; im Hinter¬
gründe, ganz im Hintergrunde liegt der Leichnam des berühmten Staatsmannes
auf seinem eisernen Bettgestell____"

- „Sehr gut, sagte der Freund, das ist vortrefflich. Und dann......?"
Herr Meissonier sah den Fragenden mit erstaunter Miene an.

- „Und dann?" wiederholte er. „Das ist sehr einfach. Ich sagte also,
daß man im Hintergrunde Herrn Thiers auf seinem eisernen Bette sehen wird,
und im Vordergrunde werde ich sitzen, im Begriffe ihn zu malen." —

Ungleich wirkungsvoller als Vibert's großes Gemälde ist ein zweites Bild,
das Thiers verherrlicht, ein Bild, das nicht über die bescheidenen Dimensionen


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[0287] wunderlicher Zug: die ersten feiern den Schöpfer der „napoleonischen Legende", die letzten den Schöpfer der dritten Republik. Die französischen Kritiker haben mit Recht gegen dieses seltsame Gemisch von allegorischen, phantastischen und realen Elementen geeifert. Aber bei dieser Kritik spielte der politische Standpunkt eine größere Rolle als der ästhetische. Daß Vibert, der Kleinmaler, seinem ganzen künstlerischen Naturel nach nicht im Stande sein konnte, eine monumentale Wirkung zu erzielen und daß er aus diesem Grunde an seiner großen Aufgabe scheitern mußte, ist keinem von den französischen Kritikern beigefallen. Niemandem kam das Mißlingen der Vibert'schen Apotheose gelegener als Meissonier. Er hatte schon im Voraus das Seinige gethan, um seinem Rivalen alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg zu legen, da er die Glorifizirung des Mr. Thiers sür seine ausschließliche Domäne hält. Vibert hatte Thiers nicht persönlich gekannt. Er that Schritte bei seiner Wittwe, um authen¬ tische Portraits des Verstorbenen zu erlangen. Aber die Intriguen Meissonier's, so erzählt man sich, wußten Madame Thiers zu bewegen, dem Maler seine Bitte abzuschlagen. Nicht besser erging es ihm bei den intimen Freunden des Präsidenten. Der „Figaro" hat wegen dieser Intriguen eine ebenso scharfe wie geistvolle Satire gegen den großen Kleinmaler geschrieben, aus der ich deu Schluß hier mittheilen will, weil er zugleich einen Beitrag zu der Charak¬ teristik eines Künstlers liefert, der die Regel, daß alle großen Künstler auch große und edle Charaktere sind, dadurch bestätigt, daß er eine Ausnahme von dieser Regel macht. Meissonier hatte ebenfalls die Absicht, eine Apotheose Thiers' zu malen. Aber wie gewöhnlich war er über den Plan nicht hinaus¬ gekommen. Eines Tages, so erzählt „Figaro", interpellirte ihn einer seiner Schüler, wie er denn den Gegenstand aufzufassen gedenke. „Sie wollen wissen, mein theurer Freund, wie ich diesen nationalen Stoff behandeln werde? So. Mr. Thiers war ein Mann von größter Einfachheit, man muß ihn auch als solchen darstellen, um seinen Charakter festzuhalten. Mein Gemälde wird das Sterbezimmer in Se. Germain darstellen; im Hinter¬ gründe, ganz im Hintergrunde liegt der Leichnam des berühmten Staatsmannes auf seinem eisernen Bettgestell____" - „Sehr gut, sagte der Freund, das ist vortrefflich. Und dann......?" Herr Meissonier sah den Fragenden mit erstaunter Miene an. - „Und dann?" wiederholte er. „Das ist sehr einfach. Ich sagte also, daß man im Hintergrunde Herrn Thiers auf seinem eisernen Bette sehen wird, und im Vordergrunde werde ich sitzen, im Begriffe ihn zu malen." — Ungleich wirkungsvoller als Vibert's großes Gemälde ist ein zweites Bild, das Thiers verherrlicht, ein Bild, das nicht über die bescheidenen Dimensionen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/287>, abgerufen am 22.07.2024.