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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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hammedcmische Albanesen eingerückt, welche durch neue Kolonien noch in unsern:
Jahrhundert verstärkt, fast die ganze Westhälfte der serbischen Gebietsver¬
größerung inne haben, während die östlichen Grenzstriche, namentlich die Kreise
von Leskvwcch und Ak-Palanka, sowie Pirol zwar von slavischen Christen, aber
mit bulgarischer Sprache, bewohnt sind. Nur bei Pirol wohnen auch einige
Türken, die sich aber durch Auswanderung der serbischen Herrschaft entziehen
dürften. Serbien wird an der Assimilation der neuen Gebietstheile, soweit sie
von mohammedanischen Albanesen bewohnt sind, jedenfalls ein schweres Stück
Arbeit haben.

Der dritte, vollständig von der Türkei unabhängig gewordene Staat ist
Rumänien. Es hat nicht, wie Serbien, einen seiner Gebietsvergrößerung
entsprechenden Theil der türkischen Staatsschuld übernehmen müssen, dafür aber
jenen Theil des bessarabischen Gebietes an Rußland zurückgegeben, der Ru߬
land 1356 im Pariser Vertrag abgenommen worden war. Dieser im Westen
durch den Prut, im Süden durch den Kill-Arm der Donau begrenzte Theil
Bessarabien's umfaßt freilich nur 154 Quadratmeilen mit 140,000 Einwohnern;
da aber letztere zum größten Theil Rumänen sind, so war die Abtretung eine
besonders schmerzliche. Entschädigt wird dafür Rumänien durch die Dobrudscha
mit der Siidgrenze Silistria-Mangalia, ein Gebiet, das etwa 280 Quadrat¬
meilen mit 200,000 Einwohnern umfaßt. Gleichwie aber die an Serbien und
Montenegro fallenden Gebietsvergrößeruugeu eine sehr gemischte Nationalität
aufweisen, so ist dasselbe mit der Dobrndscha der Fall. Rumänien war bisher
in nationaler Beziehung ein einheitlicher Staat; in der Dobrudscha aber bil¬
den die Türken die Gruudbevölkerung; zu ihnen kommen im Donaudelta und
an der Donau selbst Rumänen; ferner Bulgaren, Kleinrussen, Tscherkessen und
in der Umgebung von Tultscha und Atmatscha fleißige deutsche Kolonisten,
jedenfalls in ethnischer Beziehung der beste Zuwachs, den Rumänien hier
erhält.

Die Aenderungen, welche in Bezug auf Montenegro, Serbien und Rumänien
am Frieden von San Stefano vorgenommen wurden, können im Ganzen als
untergeordneter Natur bezeichnet werden. Vergleicht man die Karte vom
3. März mit der Karte vom 13. Juli, so erscheinen bei diesen drei Ländern
die Grenzverschiebungen nicht sehr auffallend. Anders liegen aber die Dinge,
wenn wir das Bulgarien vou San Stefano mit dem Bulgarien von Berlin
vergleichen. Nirgends hat der beschreibende Einfluß der englischen Diplomaten
bei der Umgestaltung des Friedens von San Stefano sich fühlbarer gemacht,
als gerade hier; denn von 3000 Quadratmeilen, die der Neuschöpfung zuge¬
dacht waren, ist dieselbe auf nur 1000 zusammengeschrumpft. Es umfaßt nur
noch das ehemalige Tuna-Milajut zwischen der Donau und dem Balkan, sowie


hammedcmische Albanesen eingerückt, welche durch neue Kolonien noch in unsern:
Jahrhundert verstärkt, fast die ganze Westhälfte der serbischen Gebietsver¬
größerung inne haben, während die östlichen Grenzstriche, namentlich die Kreise
von Leskvwcch und Ak-Palanka, sowie Pirol zwar von slavischen Christen, aber
mit bulgarischer Sprache, bewohnt sind. Nur bei Pirol wohnen auch einige
Türken, die sich aber durch Auswanderung der serbischen Herrschaft entziehen
dürften. Serbien wird an der Assimilation der neuen Gebietstheile, soweit sie
von mohammedanischen Albanesen bewohnt sind, jedenfalls ein schweres Stück
Arbeit haben.

Der dritte, vollständig von der Türkei unabhängig gewordene Staat ist
Rumänien. Es hat nicht, wie Serbien, einen seiner Gebietsvergrößerung
entsprechenden Theil der türkischen Staatsschuld übernehmen müssen, dafür aber
jenen Theil des bessarabischen Gebietes an Rußland zurückgegeben, der Ru߬
land 1356 im Pariser Vertrag abgenommen worden war. Dieser im Westen
durch den Prut, im Süden durch den Kill-Arm der Donau begrenzte Theil
Bessarabien's umfaßt freilich nur 154 Quadratmeilen mit 140,000 Einwohnern;
da aber letztere zum größten Theil Rumänen sind, so war die Abtretung eine
besonders schmerzliche. Entschädigt wird dafür Rumänien durch die Dobrudscha
mit der Siidgrenze Silistria-Mangalia, ein Gebiet, das etwa 280 Quadrat¬
meilen mit 200,000 Einwohnern umfaßt. Gleichwie aber die an Serbien und
Montenegro fallenden Gebietsvergrößeruugeu eine sehr gemischte Nationalität
aufweisen, so ist dasselbe mit der Dobrndscha der Fall. Rumänien war bisher
in nationaler Beziehung ein einheitlicher Staat; in der Dobrudscha aber bil¬
den die Türken die Gruudbevölkerung; zu ihnen kommen im Donaudelta und
an der Donau selbst Rumänen; ferner Bulgaren, Kleinrussen, Tscherkessen und
in der Umgebung von Tultscha und Atmatscha fleißige deutsche Kolonisten,
jedenfalls in ethnischer Beziehung der beste Zuwachs, den Rumänien hier
erhält.

Die Aenderungen, welche in Bezug auf Montenegro, Serbien und Rumänien
am Frieden von San Stefano vorgenommen wurden, können im Ganzen als
untergeordneter Natur bezeichnet werden. Vergleicht man die Karte vom
3. März mit der Karte vom 13. Juli, so erscheinen bei diesen drei Ländern
die Grenzverschiebungen nicht sehr auffallend. Anders liegen aber die Dinge,
wenn wir das Bulgarien vou San Stefano mit dem Bulgarien von Berlin
vergleichen. Nirgends hat der beschreibende Einfluß der englischen Diplomaten
bei der Umgestaltung des Friedens von San Stefano sich fühlbarer gemacht,
als gerade hier; denn von 3000 Quadratmeilen, die der Neuschöpfung zuge¬
dacht waren, ist dieselbe auf nur 1000 zusammengeschrumpft. Es umfaßt nur
noch das ehemalige Tuna-Milajut zwischen der Donau und dem Balkan, sowie


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[0245] hammedcmische Albanesen eingerückt, welche durch neue Kolonien noch in unsern: Jahrhundert verstärkt, fast die ganze Westhälfte der serbischen Gebietsver¬ größerung inne haben, während die östlichen Grenzstriche, namentlich die Kreise von Leskvwcch und Ak-Palanka, sowie Pirol zwar von slavischen Christen, aber mit bulgarischer Sprache, bewohnt sind. Nur bei Pirol wohnen auch einige Türken, die sich aber durch Auswanderung der serbischen Herrschaft entziehen dürften. Serbien wird an der Assimilation der neuen Gebietstheile, soweit sie von mohammedanischen Albanesen bewohnt sind, jedenfalls ein schweres Stück Arbeit haben. Der dritte, vollständig von der Türkei unabhängig gewordene Staat ist Rumänien. Es hat nicht, wie Serbien, einen seiner Gebietsvergrößerung entsprechenden Theil der türkischen Staatsschuld übernehmen müssen, dafür aber jenen Theil des bessarabischen Gebietes an Rußland zurückgegeben, der Ru߬ land 1356 im Pariser Vertrag abgenommen worden war. Dieser im Westen durch den Prut, im Süden durch den Kill-Arm der Donau begrenzte Theil Bessarabien's umfaßt freilich nur 154 Quadratmeilen mit 140,000 Einwohnern; da aber letztere zum größten Theil Rumänen sind, so war die Abtretung eine besonders schmerzliche. Entschädigt wird dafür Rumänien durch die Dobrudscha mit der Siidgrenze Silistria-Mangalia, ein Gebiet, das etwa 280 Quadrat¬ meilen mit 200,000 Einwohnern umfaßt. Gleichwie aber die an Serbien und Montenegro fallenden Gebietsvergrößeruugeu eine sehr gemischte Nationalität aufweisen, so ist dasselbe mit der Dobrndscha der Fall. Rumänien war bisher in nationaler Beziehung ein einheitlicher Staat; in der Dobrudscha aber bil¬ den die Türken die Gruudbevölkerung; zu ihnen kommen im Donaudelta und an der Donau selbst Rumänen; ferner Bulgaren, Kleinrussen, Tscherkessen und in der Umgebung von Tultscha und Atmatscha fleißige deutsche Kolonisten, jedenfalls in ethnischer Beziehung der beste Zuwachs, den Rumänien hier erhält. Die Aenderungen, welche in Bezug auf Montenegro, Serbien und Rumänien am Frieden von San Stefano vorgenommen wurden, können im Ganzen als untergeordneter Natur bezeichnet werden. Vergleicht man die Karte vom 3. März mit der Karte vom 13. Juli, so erscheinen bei diesen drei Ländern die Grenzverschiebungen nicht sehr auffallend. Anders liegen aber die Dinge, wenn wir das Bulgarien vou San Stefano mit dem Bulgarien von Berlin vergleichen. Nirgends hat der beschreibende Einfluß der englischen Diplomaten bei der Umgestaltung des Friedens von San Stefano sich fühlbarer gemacht, als gerade hier; denn von 3000 Quadratmeilen, die der Neuschöpfung zuge¬ dacht waren, ist dieselbe auf nur 1000 zusammengeschrumpft. Es umfaßt nur noch das ehemalige Tuna-Milajut zwischen der Donau und dem Balkan, sowie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/245>, abgerufen am 22.07.2024.