Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kamen alle Raufbolde, Bummler und Räuber, kurz das roheste Gesindel der
Insel, um sich in Stanley's Musterrolle eintragen zu lassen. So massenhaft
die Abweisung derselben betrieben wurde, so wenig kann Stanley leugnen, daß
es einer großen Anzahl dieser gefährlichen Menschen gelang, von ihm ange¬
worben zu werden, vor Allen dem berüchtigten Raubmörder Msenna, der sich
bei seiner Anwerbung in meisterhafter Rhetorik und Mimik als narbenbedeckter
politischer Märtyrer zu drapiren wußte.' Ganz Zanzibar fühlte sich erleichtert,
durch die Nachricht, daß der berüchtigte Schinderhannes der Jusel an Stanley's
Seite dem Schauplatze seiner wilden Heldenthaten Lebewohl gesagt habe. Für
den Scharfblick und die Lokalkenntnisfe der übrigen "Führer", die Stanley
eingesetzt und mit deuen er vor der Abreise das große feierliche "Schcmri"
(Kriegsrath) hielt, und für die Offenheit derer, die ihm außerdem in Zanzibar
noch hätten rathen können, legt diese Thatsache gerade kein sehr glänzendes
Zeugniß ab. Dagegen war Stanley so glücklich, eine große Anzahl der Ein¬
geborenen anwerben zu können, welche schon bei der Aufsuchungsexpeditou 1K72
oder bei ihrer Absendung an Livingstone sich trefflich bewährt hatten. Zwei¬
undzwanzig von ihnen, die Stanley bei Namen aufzählt, wurden zu "Führern"
der neuen Forschungsreise ernannt. Am Ende des "Schauri" riefen die
Männer, nachdem ihnen Stanley seinen Reiseplan in großen Umrissen dar¬
gelegt, begeistert aus: "Ja, Kameraden, das ist eine Reise, die würdig ist, eine
Reise genannt zu werden!"

Endlich war nur noch eine Schwierigkeit zu überwinden, nicht die kleinste
von allen. Bei Ankunft der "I^Ä/ ^.lios", des großen, in England gebauten
Bootes, stellte sich nämlich heraus, daß jede der vier Sektionen, in die es zer¬
legt war, 280 Pfund wog, die fünfte sogar 310 Pfund. In diesem Zustande
hätte sein Transport, namentlich dnrch das dichte Gebüsch und Röhricht der
Niederungen, hundert starke Männer erfordert, um beim Vordringen in noch
unbekannte Gegenden, alle Schwierigkeiten und die auf ihrem Wege sich häu¬
fenden Hindernisse zu beseitigen. Ein sehr geschickter englischer Schiffsbauer
Namens Ferris, der eben nach England zurückkehren wollte, beseitigte die
Schwierigkeit und lieferte mit Hilfe der beiden Pocock innerhalb vierzehn Tagen
die von ihm verlangte Arbeit ab. Jede der Sektionen der Lady Alice war
jetzt abermals in zwei Theile zerlegt worden, die nur 91 Ca. breit waren.

Am Ende des Ramadan (Fastenmonats)*) erschienen, ihrem Versprechen
getreu, die angeworbenen Wangwcma, reisefertig mit ihren Bündeln und Matten,
um ihre Plätze auf deu Schiffen einzunehmen. Sie waren begleitet von einer
großen Masse ihrer Freunde und befanden sich infolge gewisser Reizmittel in



Grenzboten 1377, 4. Quartal,

kamen alle Raufbolde, Bummler und Räuber, kurz das roheste Gesindel der
Insel, um sich in Stanley's Musterrolle eintragen zu lassen. So massenhaft
die Abweisung derselben betrieben wurde, so wenig kann Stanley leugnen, daß
es einer großen Anzahl dieser gefährlichen Menschen gelang, von ihm ange¬
worben zu werden, vor Allen dem berüchtigten Raubmörder Msenna, der sich
bei seiner Anwerbung in meisterhafter Rhetorik und Mimik als narbenbedeckter
politischer Märtyrer zu drapiren wußte.' Ganz Zanzibar fühlte sich erleichtert,
durch die Nachricht, daß der berüchtigte Schinderhannes der Jusel an Stanley's
Seite dem Schauplatze seiner wilden Heldenthaten Lebewohl gesagt habe. Für
den Scharfblick und die Lokalkenntnisfe der übrigen „Führer", die Stanley
eingesetzt und mit deuen er vor der Abreise das große feierliche „Schcmri"
(Kriegsrath) hielt, und für die Offenheit derer, die ihm außerdem in Zanzibar
noch hätten rathen können, legt diese Thatsache gerade kein sehr glänzendes
Zeugniß ab. Dagegen war Stanley so glücklich, eine große Anzahl der Ein¬
geborenen anwerben zu können, welche schon bei der Aufsuchungsexpeditou 1K72
oder bei ihrer Absendung an Livingstone sich trefflich bewährt hatten. Zwei¬
undzwanzig von ihnen, die Stanley bei Namen aufzählt, wurden zu „Führern"
der neuen Forschungsreise ernannt. Am Ende des „Schauri" riefen die
Männer, nachdem ihnen Stanley seinen Reiseplan in großen Umrissen dar¬
gelegt, begeistert aus: „Ja, Kameraden, das ist eine Reise, die würdig ist, eine
Reise genannt zu werden!"

Endlich war nur noch eine Schwierigkeit zu überwinden, nicht die kleinste
von allen. Bei Ankunft der „I^Ä/ ^.lios", des großen, in England gebauten
Bootes, stellte sich nämlich heraus, daß jede der vier Sektionen, in die es zer¬
legt war, 280 Pfund wog, die fünfte sogar 310 Pfund. In diesem Zustande
hätte sein Transport, namentlich dnrch das dichte Gebüsch und Röhricht der
Niederungen, hundert starke Männer erfordert, um beim Vordringen in noch
unbekannte Gegenden, alle Schwierigkeiten und die auf ihrem Wege sich häu¬
fenden Hindernisse zu beseitigen. Ein sehr geschickter englischer Schiffsbauer
Namens Ferris, der eben nach England zurückkehren wollte, beseitigte die
Schwierigkeit und lieferte mit Hilfe der beiden Pocock innerhalb vierzehn Tagen
die von ihm verlangte Arbeit ab. Jede der Sektionen der Lady Alice war
jetzt abermals in zwei Theile zerlegt worden, die nur 91 Ca. breit waren.

Am Ende des Ramadan (Fastenmonats)*) erschienen, ihrem Versprechen
getreu, die angeworbenen Wangwcma, reisefertig mit ihren Bündeln und Matten,
um ihre Plätze auf deu Schiffen einzunehmen. Sie waren begleitet von einer
großen Masse ihrer Freunde und befanden sich infolge gewisser Reizmittel in



Grenzboten 1377, 4. Quartal,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140590"/>
          <p xml:id="ID_726" prev="#ID_725"> kamen alle Raufbolde, Bummler und Räuber, kurz das roheste Gesindel der<lb/>
Insel, um sich in Stanley's Musterrolle eintragen zu lassen. So massenhaft<lb/>
die Abweisung derselben betrieben wurde, so wenig kann Stanley leugnen, daß<lb/>
es einer großen Anzahl dieser gefährlichen Menschen gelang, von ihm ange¬<lb/>
worben zu werden, vor Allen dem berüchtigten Raubmörder Msenna, der sich<lb/>
bei seiner Anwerbung in meisterhafter Rhetorik und Mimik als narbenbedeckter<lb/>
politischer Märtyrer zu drapiren wußte.' Ganz Zanzibar fühlte sich erleichtert,<lb/>
durch die Nachricht, daß der berüchtigte Schinderhannes der Jusel an Stanley's<lb/>
Seite dem Schauplatze seiner wilden Heldenthaten Lebewohl gesagt habe. Für<lb/>
den Scharfblick und die Lokalkenntnisfe der übrigen &#x201E;Führer", die Stanley<lb/>
eingesetzt und mit deuen er vor der Abreise das große feierliche &#x201E;Schcmri"<lb/>
(Kriegsrath) hielt, und für die Offenheit derer, die ihm außerdem in Zanzibar<lb/>
noch hätten rathen können, legt diese Thatsache gerade kein sehr glänzendes<lb/>
Zeugniß ab. Dagegen war Stanley so glücklich, eine große Anzahl der Ein¬<lb/>
geborenen anwerben zu können, welche schon bei der Aufsuchungsexpeditou 1K72<lb/>
oder bei ihrer Absendung an Livingstone sich trefflich bewährt hatten. Zwei¬<lb/>
undzwanzig von ihnen, die Stanley bei Namen aufzählt, wurden zu &#x201E;Führern"<lb/>
der neuen Forschungsreise ernannt. Am Ende des &#x201E;Schauri" riefen die<lb/>
Männer, nachdem ihnen Stanley seinen Reiseplan in großen Umrissen dar¬<lb/>
gelegt, begeistert aus: &#x201E;Ja, Kameraden, das ist eine Reise, die würdig ist, eine<lb/>
Reise genannt zu werden!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_727"> Endlich war nur noch eine Schwierigkeit zu überwinden, nicht die kleinste<lb/>
von allen. Bei Ankunft der &#x201E;I^Ä/ ^.lios", des großen, in England gebauten<lb/>
Bootes, stellte sich nämlich heraus, daß jede der vier Sektionen, in die es zer¬<lb/>
legt war, 280 Pfund wog, die fünfte sogar 310 Pfund. In diesem Zustande<lb/>
hätte sein Transport, namentlich dnrch das dichte Gebüsch und Röhricht der<lb/>
Niederungen, hundert starke Männer erfordert, um beim Vordringen in noch<lb/>
unbekannte Gegenden, alle Schwierigkeiten und die auf ihrem Wege sich häu¬<lb/>
fenden Hindernisse zu beseitigen. Ein sehr geschickter englischer Schiffsbauer<lb/>
Namens Ferris, der eben nach England zurückkehren wollte, beseitigte die<lb/>
Schwierigkeit und lieferte mit Hilfe der beiden Pocock innerhalb vierzehn Tagen<lb/>
die von ihm verlangte Arbeit ab. Jede der Sektionen der Lady Alice war<lb/>
jetzt abermals in zwei Theile zerlegt worden, die nur 91 Ca. breit waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_728" next="#ID_729"> Am Ende des Ramadan (Fastenmonats)*) erschienen, ihrem Versprechen<lb/>
getreu, die angeworbenen Wangwcma, reisefertig mit ihren Bündeln und Matten,<lb/>
um ihre Plätze auf deu Schiffen einzunehmen. Sie waren begleitet von einer<lb/>
großen Masse ihrer Freunde und befanden sich infolge gewisser Reizmittel in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_188" place="foot"> Grenzboten 1377, 4. Quartal,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] kamen alle Raufbolde, Bummler und Räuber, kurz das roheste Gesindel der Insel, um sich in Stanley's Musterrolle eintragen zu lassen. So massenhaft die Abweisung derselben betrieben wurde, so wenig kann Stanley leugnen, daß es einer großen Anzahl dieser gefährlichen Menschen gelang, von ihm ange¬ worben zu werden, vor Allen dem berüchtigten Raubmörder Msenna, der sich bei seiner Anwerbung in meisterhafter Rhetorik und Mimik als narbenbedeckter politischer Märtyrer zu drapiren wußte.' Ganz Zanzibar fühlte sich erleichtert, durch die Nachricht, daß der berüchtigte Schinderhannes der Jusel an Stanley's Seite dem Schauplatze seiner wilden Heldenthaten Lebewohl gesagt habe. Für den Scharfblick und die Lokalkenntnisfe der übrigen „Führer", die Stanley eingesetzt und mit deuen er vor der Abreise das große feierliche „Schcmri" (Kriegsrath) hielt, und für die Offenheit derer, die ihm außerdem in Zanzibar noch hätten rathen können, legt diese Thatsache gerade kein sehr glänzendes Zeugniß ab. Dagegen war Stanley so glücklich, eine große Anzahl der Ein¬ geborenen anwerben zu können, welche schon bei der Aufsuchungsexpeditou 1K72 oder bei ihrer Absendung an Livingstone sich trefflich bewährt hatten. Zwei¬ undzwanzig von ihnen, die Stanley bei Namen aufzählt, wurden zu „Führern" der neuen Forschungsreise ernannt. Am Ende des „Schauri" riefen die Männer, nachdem ihnen Stanley seinen Reiseplan in großen Umrissen dar¬ gelegt, begeistert aus: „Ja, Kameraden, das ist eine Reise, die würdig ist, eine Reise genannt zu werden!" Endlich war nur noch eine Schwierigkeit zu überwinden, nicht die kleinste von allen. Bei Ankunft der „I^Ä/ ^.lios", des großen, in England gebauten Bootes, stellte sich nämlich heraus, daß jede der vier Sektionen, in die es zer¬ legt war, 280 Pfund wog, die fünfte sogar 310 Pfund. In diesem Zustande hätte sein Transport, namentlich dnrch das dichte Gebüsch und Röhricht der Niederungen, hundert starke Männer erfordert, um beim Vordringen in noch unbekannte Gegenden, alle Schwierigkeiten und die auf ihrem Wege sich häu¬ fenden Hindernisse zu beseitigen. Ein sehr geschickter englischer Schiffsbauer Namens Ferris, der eben nach England zurückkehren wollte, beseitigte die Schwierigkeit und lieferte mit Hilfe der beiden Pocock innerhalb vierzehn Tagen die von ihm verlangte Arbeit ab. Jede der Sektionen der Lady Alice war jetzt abermals in zwei Theile zerlegt worden, die nur 91 Ca. breit waren. Am Ende des Ramadan (Fastenmonats)*) erschienen, ihrem Versprechen getreu, die angeworbenen Wangwcma, reisefertig mit ihren Bündeln und Matten, um ihre Plätze auf deu Schiffen einzunehmen. Sie waren begleitet von einer großen Masse ihrer Freunde und befanden sich infolge gewisser Reizmittel in Grenzboten 1377, 4. Quartal,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/239>, abgerufen am 22.07.2024.