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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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ein heidnischer König war, der den Orendel mit Roß und Waffen für den
Wettkampf versieht, fondern der Eisriese selbst, welcher der Rosse waltet, hat
den Helden mit einem Roß, dazu mit Speer und Schild ausgestattet, als er
den nach der Heimat sehnsüchtig verlangenden Mann gegen das Versprechen
fernerer Dienstbarkeit entließ.

Die Schilderung, die unser Spielmann von den Verhältnissen Jerusalem's bei
der Ankunft Orendel's giebt, müssen wir als ein treues Abbild jener Ueberlieferung
ansehen, welche die deutsche Volkssage von dem Zustande gab, in welchem der
nach langer Abwesenheit heimkehrende König sein Hauswesen vorfand. Orendel
erscheint in seiner Burg wie Odysseus auf Ithaka in entstellter Gestalt und
im elendesten Aufzuge: er ist bekleidet mit groben rindsledernen Schuhen und
dem unansehnlichen grauen Rocke. Man erkennt ihn nicht und nennt ihn
"Graurock". Wie jener griechische Jrrfahrer findet er sein Heim in völliger
Unordnung und seine Gattin von zahlreichen Freiern umworben. Denn jene
"Tempelherren" des Gedichtes, welche auf dein Burghofe in ritterlichem Turnier
kurzweilen, sind augenscheinlich in der ursprünglichen Sage fremde Herren¬
söhne, wie in der Odyssee, welche als Bewerber um die verwittwete
Breite, die deutsche Penelope, sich an dem Königshofe eingenistet haben
und dort in frechem Uebermuthe nach ihrem Gutdünken schalten und
walten. In dem "Graurock", der am Wettkampfe theilnimmt und alle über¬
windet, erkennt Frau Breite den lange entbehrten Gatten. Schön gepanzert
stellt sie sich im Rachekampfe ihm an die Seite und bewacht die Pforte,
während Orendel die Rache vollzieht. Auch ein Eumäos fehlt dieser deutschen
Odyssee nicht; denn wohl mit Recht hat Müllenhof mit jenem "göttlichen
Sauhirten" Homer's den treuen Pförtner und Kampfgenossen Unsitte ver¬
glichen, der "vor Alter weiß war wie der Schnee".

In dem Spielmannsgedichte erscheint, sobald der Granrock als König von
Jerusalem eingesetzt ist, Meister Eise, um seine Oberhoheit geltend zu machen,
wird aber mit einer Summe Goldes abgefunden. Ein solcher Loskauf des
Helden aus der Knechtschaft des Eisriesen wird auch dem Mythus von dem
Seekönig Orendel eine Art Abschluß gegeben haben.

Dies etwa ist der Umriß der deutschen Schiffersage, welche der Spiel¬
mann für sein Gedicht benutzte und leider so arg verunstaltete. Er schickt
seinen Helden auf eine Brautfahrt nach dem Orient und macht Jerusalem
zum Schauplatz seiner Geschichte, weil im Zeitalter der Kreuzzüge Aller Blicke
nach dem Osten gerichtet waren und die Neugierde des Publikums durch Nach¬
richten vom heiligen Lande und durch die Erzählung von Kämpfen mit den
Ungläubigen im Morgenlande befriedigt werden wollte. Trier aber wird ihm
zur Vaterstadt Orendel's, weil ihm einfiel, daß der von der Sage überlieferte


ein heidnischer König war, der den Orendel mit Roß und Waffen für den
Wettkampf versieht, fondern der Eisriese selbst, welcher der Rosse waltet, hat
den Helden mit einem Roß, dazu mit Speer und Schild ausgestattet, als er
den nach der Heimat sehnsüchtig verlangenden Mann gegen das Versprechen
fernerer Dienstbarkeit entließ.

Die Schilderung, die unser Spielmann von den Verhältnissen Jerusalem's bei
der Ankunft Orendel's giebt, müssen wir als ein treues Abbild jener Ueberlieferung
ansehen, welche die deutsche Volkssage von dem Zustande gab, in welchem der
nach langer Abwesenheit heimkehrende König sein Hauswesen vorfand. Orendel
erscheint in seiner Burg wie Odysseus auf Ithaka in entstellter Gestalt und
im elendesten Aufzuge: er ist bekleidet mit groben rindsledernen Schuhen und
dem unansehnlichen grauen Rocke. Man erkennt ihn nicht und nennt ihn
„Graurock". Wie jener griechische Jrrfahrer findet er sein Heim in völliger
Unordnung und seine Gattin von zahlreichen Freiern umworben. Denn jene
„Tempelherren" des Gedichtes, welche auf dein Burghofe in ritterlichem Turnier
kurzweilen, sind augenscheinlich in der ursprünglichen Sage fremde Herren¬
söhne, wie in der Odyssee, welche als Bewerber um die verwittwete
Breite, die deutsche Penelope, sich an dem Königshofe eingenistet haben
und dort in frechem Uebermuthe nach ihrem Gutdünken schalten und
walten. In dem „Graurock", der am Wettkampfe theilnimmt und alle über¬
windet, erkennt Frau Breite den lange entbehrten Gatten. Schön gepanzert
stellt sie sich im Rachekampfe ihm an die Seite und bewacht die Pforte,
während Orendel die Rache vollzieht. Auch ein Eumäos fehlt dieser deutschen
Odyssee nicht; denn wohl mit Recht hat Müllenhof mit jenem „göttlichen
Sauhirten" Homer's den treuen Pförtner und Kampfgenossen Unsitte ver¬
glichen, der „vor Alter weiß war wie der Schnee".

In dem Spielmannsgedichte erscheint, sobald der Granrock als König von
Jerusalem eingesetzt ist, Meister Eise, um seine Oberhoheit geltend zu machen,
wird aber mit einer Summe Goldes abgefunden. Ein solcher Loskauf des
Helden aus der Knechtschaft des Eisriesen wird auch dem Mythus von dem
Seekönig Orendel eine Art Abschluß gegeben haben.

Dies etwa ist der Umriß der deutschen Schiffersage, welche der Spiel¬
mann für sein Gedicht benutzte und leider so arg verunstaltete. Er schickt
seinen Helden auf eine Brautfahrt nach dem Orient und macht Jerusalem
zum Schauplatz seiner Geschichte, weil im Zeitalter der Kreuzzüge Aller Blicke
nach dem Osten gerichtet waren und die Neugierde des Publikums durch Nach¬
richten vom heiligen Lande und durch die Erzählung von Kämpfen mit den
Ungläubigen im Morgenlande befriedigt werden wollte. Trier aber wird ihm
zur Vaterstadt Orendel's, weil ihm einfiel, daß der von der Sage überlieferte


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[0232] ein heidnischer König war, der den Orendel mit Roß und Waffen für den Wettkampf versieht, fondern der Eisriese selbst, welcher der Rosse waltet, hat den Helden mit einem Roß, dazu mit Speer und Schild ausgestattet, als er den nach der Heimat sehnsüchtig verlangenden Mann gegen das Versprechen fernerer Dienstbarkeit entließ. Die Schilderung, die unser Spielmann von den Verhältnissen Jerusalem's bei der Ankunft Orendel's giebt, müssen wir als ein treues Abbild jener Ueberlieferung ansehen, welche die deutsche Volkssage von dem Zustande gab, in welchem der nach langer Abwesenheit heimkehrende König sein Hauswesen vorfand. Orendel erscheint in seiner Burg wie Odysseus auf Ithaka in entstellter Gestalt und im elendesten Aufzuge: er ist bekleidet mit groben rindsledernen Schuhen und dem unansehnlichen grauen Rocke. Man erkennt ihn nicht und nennt ihn „Graurock". Wie jener griechische Jrrfahrer findet er sein Heim in völliger Unordnung und seine Gattin von zahlreichen Freiern umworben. Denn jene „Tempelherren" des Gedichtes, welche auf dein Burghofe in ritterlichem Turnier kurzweilen, sind augenscheinlich in der ursprünglichen Sage fremde Herren¬ söhne, wie in der Odyssee, welche als Bewerber um die verwittwete Breite, die deutsche Penelope, sich an dem Königshofe eingenistet haben und dort in frechem Uebermuthe nach ihrem Gutdünken schalten und walten. In dem „Graurock", der am Wettkampfe theilnimmt und alle über¬ windet, erkennt Frau Breite den lange entbehrten Gatten. Schön gepanzert stellt sie sich im Rachekampfe ihm an die Seite und bewacht die Pforte, während Orendel die Rache vollzieht. Auch ein Eumäos fehlt dieser deutschen Odyssee nicht; denn wohl mit Recht hat Müllenhof mit jenem „göttlichen Sauhirten" Homer's den treuen Pförtner und Kampfgenossen Unsitte ver¬ glichen, der „vor Alter weiß war wie der Schnee". In dem Spielmannsgedichte erscheint, sobald der Granrock als König von Jerusalem eingesetzt ist, Meister Eise, um seine Oberhoheit geltend zu machen, wird aber mit einer Summe Goldes abgefunden. Ein solcher Loskauf des Helden aus der Knechtschaft des Eisriesen wird auch dem Mythus von dem Seekönig Orendel eine Art Abschluß gegeben haben. Dies etwa ist der Umriß der deutschen Schiffersage, welche der Spiel¬ mann für sein Gedicht benutzte und leider so arg verunstaltete. Er schickt seinen Helden auf eine Brautfahrt nach dem Orient und macht Jerusalem zum Schauplatz seiner Geschichte, weil im Zeitalter der Kreuzzüge Aller Blicke nach dem Osten gerichtet waren und die Neugierde des Publikums durch Nach¬ richten vom heiligen Lande und durch die Erzählung von Kämpfen mit den Ungläubigen im Morgenlande befriedigt werden wollte. Trier aber wird ihm zur Vaterstadt Orendel's, weil ihm einfiel, daß der von der Sage überlieferte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/232>, abgerufen am 22.07.2024.