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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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bildes streitig zu machen. Der Unterschied scheint demnach nur im Costüm
zu liegen.

Die moderne Geschichte ist auf den Schlachtfeldern der letzten fünfzehn
Jahre geschrieben worden. Das ist ein Satz, der sich nicht umstoßen läßt, und
wenn man das schwerste Geschütz der Aesthetik dagegen ausführt. Folglich
muß der moderne Historienmaler, welcher der Nachwelt getreue Abbilder von
den welterschütternden Ereignissen seiner Zeit hinterlassen will, den Marsch¬
routen der Infanteriekolonnen folgen und nicht den Paragraphen der Aesthetiker.

Es ist bezeichnend für die deutsche Sucht zu generalisiren und zu klassifi-
ziren, daß es eiuer solchen Auseinandersetzung bedarf, um das Anrecht des
modernen Schlachtenbildes auf den Rang des Histvriengemäldes zu begründen.
In Frankreich füllt es keinem Menschen ein, eine solche Begründung zu ver¬
langen. Nicht der Stoff, sondern der Stil bildet dort das Kriterium für die
Beurtheilung und für die Klassifizirung eines Bildes. Und am Ende bleibt
doch der ewige Maßstab einer jeden Kritik die Frage: Gut oder schlecht?

Die französischen Kriegsmaler -- Iss xslutrss wilitairss -- sind, wie er¬
wähnt, von der Ausstellung auf dein Marsfelde sowohl wie von dem diesjährigen
"Salon" ausgeschlossen worden. Man sieht in den Sälen der Kunsthalle auf
dem Marsfelde nnr ein einziges Bild, dessen Motiv dem deutsch-französischen
Kriege entlehnt ist und das der Aufmerksamkeit der Jury entgangen zu sein
scheint, vielleicht auch zugelassen worden ist, weil es schlechterdings nichts
Offensives bietet. Es stellt das Innere einer Schanze und den Moment dar,
wo eben ein Geschütz abgefeuert worden ist und die umstehenden Offiziere und
Soldaten die Wirkung des Schusses beobachten. Da Offiziere und Soldaten
verschiedener Regimenter und Waffengattungen vereinigt sind, wird der Maler,
Berne-Belleeonr, ein sehr begabter Künstler, wohl eines der Forts von Paris
vor Augen gehabt haben.

Die französischen Kriegsmaler wußten sich indessen zu helfen. Sie ver¬
einigten sich zu einer Separatausstellnng, für welche der Kunsthändler Goupil
seine gastlichen Räume in der Rue Chaptal lieh. Am 20. Mai fand die Er¬
öffnung dieser Ausstellung statt. Das Publikum drängte sich selbstverständlich
in dichten Schaaren zu den "Ausgestoßenen", aber sein Patriotismus -- dies
muß ich nach mehrfacher Beobachtung hervorheben -- äußerte sich nur in
dieser respektvollen Theilnahme. Man hörte keinen Ausbruch nationaler Be¬
geisterung, geschweige denn, daß sich, wie zu befürchten stand, der Chauvi¬
nismus breit machte. Dieser zeigte sich erst in seiner alten, unverminderten
Größe, als das Fest vom 30. Juni den Parteiführern und -blättern den Anlaß
zu einer leidenschaftlichen Agitation bot. Und in der That waren die fran¬
zösischen Kriegsbilder, die man um ihres verfänglichen Stoffes willen ausge-


bildes streitig zu machen. Der Unterschied scheint demnach nur im Costüm
zu liegen.

Die moderne Geschichte ist auf den Schlachtfeldern der letzten fünfzehn
Jahre geschrieben worden. Das ist ein Satz, der sich nicht umstoßen läßt, und
wenn man das schwerste Geschütz der Aesthetik dagegen ausführt. Folglich
muß der moderne Historienmaler, welcher der Nachwelt getreue Abbilder von
den welterschütternden Ereignissen seiner Zeit hinterlassen will, den Marsch¬
routen der Infanteriekolonnen folgen und nicht den Paragraphen der Aesthetiker.

Es ist bezeichnend für die deutsche Sucht zu generalisiren und zu klassifi-
ziren, daß es eiuer solchen Auseinandersetzung bedarf, um das Anrecht des
modernen Schlachtenbildes auf den Rang des Histvriengemäldes zu begründen.
In Frankreich füllt es keinem Menschen ein, eine solche Begründung zu ver¬
langen. Nicht der Stoff, sondern der Stil bildet dort das Kriterium für die
Beurtheilung und für die Klassifizirung eines Bildes. Und am Ende bleibt
doch der ewige Maßstab einer jeden Kritik die Frage: Gut oder schlecht?

Die französischen Kriegsmaler — Iss xslutrss wilitairss — sind, wie er¬
wähnt, von der Ausstellung auf dein Marsfelde sowohl wie von dem diesjährigen
„Salon" ausgeschlossen worden. Man sieht in den Sälen der Kunsthalle auf
dem Marsfelde nnr ein einziges Bild, dessen Motiv dem deutsch-französischen
Kriege entlehnt ist und das der Aufmerksamkeit der Jury entgangen zu sein
scheint, vielleicht auch zugelassen worden ist, weil es schlechterdings nichts
Offensives bietet. Es stellt das Innere einer Schanze und den Moment dar,
wo eben ein Geschütz abgefeuert worden ist und die umstehenden Offiziere und
Soldaten die Wirkung des Schusses beobachten. Da Offiziere und Soldaten
verschiedener Regimenter und Waffengattungen vereinigt sind, wird der Maler,
Berne-Belleeonr, ein sehr begabter Künstler, wohl eines der Forts von Paris
vor Augen gehabt haben.

Die französischen Kriegsmaler wußten sich indessen zu helfen. Sie ver¬
einigten sich zu einer Separatausstellnng, für welche der Kunsthändler Goupil
seine gastlichen Räume in der Rue Chaptal lieh. Am 20. Mai fand die Er¬
öffnung dieser Ausstellung statt. Das Publikum drängte sich selbstverständlich
in dichten Schaaren zu den „Ausgestoßenen", aber sein Patriotismus — dies
muß ich nach mehrfacher Beobachtung hervorheben — äußerte sich nur in
dieser respektvollen Theilnahme. Man hörte keinen Ausbruch nationaler Be¬
geisterung, geschweige denn, daß sich, wie zu befürchten stand, der Chauvi¬
nismus breit machte. Dieser zeigte sich erst in seiner alten, unverminderten
Größe, als das Fest vom 30. Juni den Parteiführern und -blättern den Anlaß
zu einer leidenschaftlichen Agitation bot. Und in der That waren die fran¬
zösischen Kriegsbilder, die man um ihres verfänglichen Stoffes willen ausge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/202>, abgerufen am 22.07.2024.