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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Trotzdem trat nach dein Tode des Königs um oberster Stelle ein kirchlicher
Umschwung ein, welcher die Toleranz von neuem in Frage zu stellen schien.
Friedrich Wilhelm II. war schmerzlich berührt durch die Stellung seines
Vorfahren zur Kirche. Er wollte dem Christenthum wieder aufhelfen.
Diese kirchliche Reaktion hatte ihre Berechtigung. Das Traurige war
nur, daß sie ausging von einem in Sinnlichkeit versunkenen Regenten unter
dem Einflüsse sittenloser und heuchlerischer Menschen. Das berüchtigte
Wöllner'sche Neligionsedikt von 1788 enthält Grundsätze, welche der To¬
leranz in keiner Weise widersprechen. Es hebt im Eingange ausdrücklich her¬
vor, daß im preußischen Staate alle Konfessionen der christlichen Religion in
ihrer bisherigen Verfassung erhalten und beschützt werden sollen. Nach wie
vor soll Toleranz in Glaubenssachen herrschen, Jedem soll gestattet sein, von
der christlichen Lehre und ihren Satzungen zu glauben, was er wolle, wenn
er nur als guter Staatsbürger seine Pflicht erfülle. Sodann heißt es, die
evangelische Kirche anlangend: der König habe bereits vor seiner Thron¬
besteigung mit großem Schmerz wahrgenommen, daß manche Geistliche der
protestantischen Kirche sich ganz zügellose Freiheiten in Absicht des Lehrbegriffs
ihrer Konfession erlauben, verschiedene Grundwahrheiten der protestantischen
Kirche und der christlichen Kirche überhaupt wegleugnen und einen Modeton an¬
nehmen, der dem Geiste des Christenthums zuwider sei und die Grundstücken
des Christenglaubens am Ende wankend machen würde. Man entblöde sich
nicht, in der Kirche das Ansehen der Bibel, als des geoffenbarten Wortes
Gottes, immer mehr herabzuwürdigen und diese göttliche Urkunde der Wohl¬
fahrt des Menschengeschlechts zu verdrehen oder gar wegzuwerfen, den Glauben
an die Geheimnisse der geoffenbarten Religion überhaupt und vornehmlich an
das Geheimniß des Versöhnungswerkes und der Genugthuung des Welterlösers
den Leuten verdächtig oder doch überflüssig, mithin sie darin irre zu machen
und auf diese Weise dem Christenthum auf dem ganzen Erdboden gleichsam
Hohn zu spreche". Deshalb befiehlt der König als Landesherr und Summ-
episeopus, daß hinfüro kein Geistlicher, Prediger oder Schullehrer der pro¬
testantischen Religion bei unausbleiblicher Kassation und nach Befinden noch
härterer Strafe und Ahndung die namhaft gemachten oder noch mehrere Irr¬
thümer bei Führung seines Amtes auszubreiten sich unterfangen solle, denn
der König dürfe nicht zugeben, daß ein jeder Geistliche in Religionssachen
nach eigenem Kopfe handle und es ihm freistehen könne, die einmal in der
Kirche angenommenen Grundwahrheiten des Christenthums das Volk so oder
anders zu lehren. Uebrigens gestatte der König den Geistlichen gleiche Ge¬
wissensfreiheit, wie allen andern Unterthanen und wolle ihnen bei ihrer innern
Ueberzeugung keinen Zwang anthun. Welcher Lehrer der christlichen Religion


Trotzdem trat nach dein Tode des Königs um oberster Stelle ein kirchlicher
Umschwung ein, welcher die Toleranz von neuem in Frage zu stellen schien.
Friedrich Wilhelm II. war schmerzlich berührt durch die Stellung seines
Vorfahren zur Kirche. Er wollte dem Christenthum wieder aufhelfen.
Diese kirchliche Reaktion hatte ihre Berechtigung. Das Traurige war
nur, daß sie ausging von einem in Sinnlichkeit versunkenen Regenten unter
dem Einflüsse sittenloser und heuchlerischer Menschen. Das berüchtigte
Wöllner'sche Neligionsedikt von 1788 enthält Grundsätze, welche der To¬
leranz in keiner Weise widersprechen. Es hebt im Eingange ausdrücklich her¬
vor, daß im preußischen Staate alle Konfessionen der christlichen Religion in
ihrer bisherigen Verfassung erhalten und beschützt werden sollen. Nach wie
vor soll Toleranz in Glaubenssachen herrschen, Jedem soll gestattet sein, von
der christlichen Lehre und ihren Satzungen zu glauben, was er wolle, wenn
er nur als guter Staatsbürger seine Pflicht erfülle. Sodann heißt es, die
evangelische Kirche anlangend: der König habe bereits vor seiner Thron¬
besteigung mit großem Schmerz wahrgenommen, daß manche Geistliche der
protestantischen Kirche sich ganz zügellose Freiheiten in Absicht des Lehrbegriffs
ihrer Konfession erlauben, verschiedene Grundwahrheiten der protestantischen
Kirche und der christlichen Kirche überhaupt wegleugnen und einen Modeton an¬
nehmen, der dem Geiste des Christenthums zuwider sei und die Grundstücken
des Christenglaubens am Ende wankend machen würde. Man entblöde sich
nicht, in der Kirche das Ansehen der Bibel, als des geoffenbarten Wortes
Gottes, immer mehr herabzuwürdigen und diese göttliche Urkunde der Wohl¬
fahrt des Menschengeschlechts zu verdrehen oder gar wegzuwerfen, den Glauben
an die Geheimnisse der geoffenbarten Religion überhaupt und vornehmlich an
das Geheimniß des Versöhnungswerkes und der Genugthuung des Welterlösers
den Leuten verdächtig oder doch überflüssig, mithin sie darin irre zu machen
und auf diese Weise dem Christenthum auf dem ganzen Erdboden gleichsam
Hohn zu spreche». Deshalb befiehlt der König als Landesherr und Summ-
episeopus, daß hinfüro kein Geistlicher, Prediger oder Schullehrer der pro¬
testantischen Religion bei unausbleiblicher Kassation und nach Befinden noch
härterer Strafe und Ahndung die namhaft gemachten oder noch mehrere Irr¬
thümer bei Führung seines Amtes auszubreiten sich unterfangen solle, denn
der König dürfe nicht zugeben, daß ein jeder Geistliche in Religionssachen
nach eigenem Kopfe handle und es ihm freistehen könne, die einmal in der
Kirche angenommenen Grundwahrheiten des Christenthums das Volk so oder
anders zu lehren. Uebrigens gestatte der König den Geistlichen gleiche Ge¬
wissensfreiheit, wie allen andern Unterthanen und wolle ihnen bei ihrer innern
Ueberzeugung keinen Zwang anthun. Welcher Lehrer der christlichen Religion


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/190>, abgerufen am 22.07.2024.