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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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dem wahnsinnigen Mörder -- das erfahren wir aus dem erklärenden Kommentar
des Katalogs -- eine schlechte Botschaft gebracht haben.

Plutarch erzählt in seinem Leben des Pnblievla, daß nach der Vertreibung
der Tarquinier einige junge Männer aus den vornehmsten Familien Rom's
eine Verschwörung anzettelten, welche die Zurückführung der Vertriebenen zum
Zweck hatte. Um ihr Geheimniß durch einen schrecklichen Schwur zu sichern,
schlachteten sie einen Menschen, tranken von seinem Blute und leisteten den Eid,
indem sie die Hand auf die Eingeweide des Ermordeten legten. Sie hatten
sich zu ihrem finsteren Werke in einem abgelegenen Hause vereinigt; aber zu¬
gleich mit ihnen hatte sich ein Sklave eingeschlichen der später die Verschwörer
verrieth. Aus diesem gräuelvollen Vorgang hat der jüngere Glatze, ein Schüler
seines Vaters und Gcrome's, ein Gemälde geschaffen, das natürlich den Leich¬
nam des Geschlachteten zum Mittelpunkte hat.

Eine andere, nicht minder entsetzliche Szene hat wenigstens den Vorzug,
daß sie mit der jüngsten Vergangenheit im Zusammenhange steht. Sie zeigt
eine Episode aus der großen Überschwemmung bei Toulouse (Juni 1875).
Der Maler, Roll, ist ebenfalls aus der Schule Gerome's hervorgegangen. Er
besitzt ein ungewöhnliches dramatisches Talent, das sich auf der großen Lein¬
wand in vollem Maße entfalten konnte. Man sieht, wie ein paar muthige
Retter den Kampf mit dem tobenden Element aufnehmen, die sich in leichten
Nachen ans die unabsehbare Wasserfläche begeben haben. Halbnackte Weiber,
erstarrte Kinder und ertrunkene Körper füllen die Böte der Braven, die auf
das Dach eiues unter dem Wasser verschwundenen Hauses zusteuern,
von welchen: ein Häuflein Verzweifelter ihre Hülfe anruft. In der Pariser
Morgne, wo tagtäglich die Leichname Ertrunkener ausgestellt werden, wo die
schrecklich verzerrten Züge der in den Fluthen der Seine Angekommenen von
den Photographen fixirt werden, konnte der Maler freilich so grauenhafte
Naturstudien machen, wie er sie auf feinem riesigen Bilde verwerthet hat. Ich
nenne noch kurz die sujets einiger besonders die Nerven angreifender Sen-
sativnsgemälde ähnlichen Schlages. Da malt einer den blutigen Körper des
auf das Rad geflochtenen Ixion, welches sich in Flammen dreht, ein zweiter
schildert die Verheerungen der Pest in Rom, ein dritter malt die Giftmischerin
Locusta, wie sie vor Nero die Wirkung eines ihrer Höllensäfte an einem
Sklaven probirt, der sich in grauenvollen Windungen auf dem Erdboden wälzt
-- der Maler, Sylvester, hat für dieses Bild zur Aufmunterung zu fernerem
Streben den großen Preis des Salons von 1876 erhalten --, ein vierter,
Boulanger, zeigt uns den heiligen Sebastian, der nach seinem ersten Martyrium
über und über mit klaffenden Wunden bedeckt wie ein Gespenst ä'mrtro tomds


dem wahnsinnigen Mörder — das erfahren wir aus dem erklärenden Kommentar
des Katalogs — eine schlechte Botschaft gebracht haben.

Plutarch erzählt in seinem Leben des Pnblievla, daß nach der Vertreibung
der Tarquinier einige junge Männer aus den vornehmsten Familien Rom's
eine Verschwörung anzettelten, welche die Zurückführung der Vertriebenen zum
Zweck hatte. Um ihr Geheimniß durch einen schrecklichen Schwur zu sichern,
schlachteten sie einen Menschen, tranken von seinem Blute und leisteten den Eid,
indem sie die Hand auf die Eingeweide des Ermordeten legten. Sie hatten
sich zu ihrem finsteren Werke in einem abgelegenen Hause vereinigt; aber zu¬
gleich mit ihnen hatte sich ein Sklave eingeschlichen der später die Verschwörer
verrieth. Aus diesem gräuelvollen Vorgang hat der jüngere Glatze, ein Schüler
seines Vaters und Gcrome's, ein Gemälde geschaffen, das natürlich den Leich¬
nam des Geschlachteten zum Mittelpunkte hat.

Eine andere, nicht minder entsetzliche Szene hat wenigstens den Vorzug,
daß sie mit der jüngsten Vergangenheit im Zusammenhange steht. Sie zeigt
eine Episode aus der großen Überschwemmung bei Toulouse (Juni 1875).
Der Maler, Roll, ist ebenfalls aus der Schule Gerome's hervorgegangen. Er
besitzt ein ungewöhnliches dramatisches Talent, das sich auf der großen Lein¬
wand in vollem Maße entfalten konnte. Man sieht, wie ein paar muthige
Retter den Kampf mit dem tobenden Element aufnehmen, die sich in leichten
Nachen ans die unabsehbare Wasserfläche begeben haben. Halbnackte Weiber,
erstarrte Kinder und ertrunkene Körper füllen die Böte der Braven, die auf
das Dach eiues unter dem Wasser verschwundenen Hauses zusteuern,
von welchen: ein Häuflein Verzweifelter ihre Hülfe anruft. In der Pariser
Morgne, wo tagtäglich die Leichname Ertrunkener ausgestellt werden, wo die
schrecklich verzerrten Züge der in den Fluthen der Seine Angekommenen von
den Photographen fixirt werden, konnte der Maler freilich so grauenhafte
Naturstudien machen, wie er sie auf feinem riesigen Bilde verwerthet hat. Ich
nenne noch kurz die sujets einiger besonders die Nerven angreifender Sen-
sativnsgemälde ähnlichen Schlages. Da malt einer den blutigen Körper des
auf das Rad geflochtenen Ixion, welches sich in Flammen dreht, ein zweiter
schildert die Verheerungen der Pest in Rom, ein dritter malt die Giftmischerin
Locusta, wie sie vor Nero die Wirkung eines ihrer Höllensäfte an einem
Sklaven probirt, der sich in grauenvollen Windungen auf dem Erdboden wälzt
— der Maler, Sylvester, hat für dieses Bild zur Aufmunterung zu fernerem
Streben den großen Preis des Salons von 1876 erhalten —, ein vierter,
Boulanger, zeigt uns den heiligen Sebastian, der nach seinem ersten Martyrium
über und über mit klaffenden Wunden bedeckt wie ein Gespenst ä'mrtro tomds


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/160>, abgerufen am 22.07.2024.