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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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einen eminent dramatischen oder vielmehr theatralischen Charakter zur Schan
trägt, hat die englische einen stark epischen Zug. Die englischen Künstler malen
keine dramatisch bewegten Situationen, keine grellen Effektseenen, die durch Stoff
und Colorit gleichmäßig die Nerven der Beschauer aufregen, sondern sie malen
die ruhige Existenz, das behagliche Dasein, welches an Herz und Gemüth appel-
lirt. Während die offizielle Protektion, deren sich die Kunst in Frankreich von
Staatswegen zu erfreuen hat, die französischen Maler zur Entwicklung großer
Mittel, zur Historienmalerei in großem Stile veranlaßt, zieht sich die englische
Kunst mehr in das Haus des Bürgers zurück. Bei den Engländern wird die
monumentale Malerei wenig oder gar nicht gepflegt, bei ihnen gilt das Bild
als der edelste Schmuck der menschlichen Behausung. Wenn deshalb die eng¬
lische Malerei nicht zu der höchsten Entwicklung gediehen ist, deren die Malerei
überhaupt fähig ist, so hat sie sich auf der anderen Seite in der umfassendsten
Weise die Vortheile zu Nutze gemacht, welche ihr der stetige Verkehr mit dein
Leben, mit den wechselnden Anschauungen und Bedürfnissen der Nation bietet.
Während sich die französische Malerei fast ganz dem Leben entfremdet hat, steht
keine zweite Kunst der Welt in so inniger Harmonie mit dem Leben wie die
englische. Am nächsten kommt ihr dann die Deutsche. Aber den deutschen
Malern fehlt im allgemeinen jene souveräne Herrschaft über die technischen
Mittel ihrer Kunst, welche die englischen Maler nicht minder wie die franzö¬
sischen in vollstem Maaße besitzen, in solchem Maaße, daß in England und
Frankreich diese vollkommene Beherrschung als etwas durchaus Selbstverständ¬
liches betrachtet wird. Es ist dort ganz undenkbar, daß Stümper, die weder
zeichnen noch modelliren können, zu Ansehn und Ruf gelangen, wie es leider
in Deutschland an der Tagesordnung ist. Da giebt es keine Maler, die wie
Makart und Böcklin mit "genialen" Verkürzungen, mit verkrüppelten Beinen
und Armen, mit Verzeichnungen und sonstigen Verschrobenheiten kokettiren. In
England giebt es keine Maler, die, um sich interessant zu machen, wie Gabriel
Max, blan, gelb und grün angelaufene Leichname für lebendige Menschen
ausgeben.

Der Grund, weshalb Engländer und Franzosen zu einer solchen Beherr¬
schung der Technik gelangt sind, liegt einerseits in der ästhetischen Erziehung,
andrerseits in der Methode des Zeichenunterrichtes und in der Fürsorge, welche
diesem Zweige des öffentlichen Unterrichts gewidmet wird. Aus der Pflege
des Zeichenunterrichts erklärt sich der gewaltige Aufschwung, welcher das Kunst¬
gewerbe in Frankreich und England genommen, erklärt es sich, weshalb das
deutsche Kunstgewerbe trotz aller Anstrengungen von Seiten des Staates und
der Privaten nicht emporkommen will. Solange das Uebel in Deutschland


einen eminent dramatischen oder vielmehr theatralischen Charakter zur Schan
trägt, hat die englische einen stark epischen Zug. Die englischen Künstler malen
keine dramatisch bewegten Situationen, keine grellen Effektseenen, die durch Stoff
und Colorit gleichmäßig die Nerven der Beschauer aufregen, sondern sie malen
die ruhige Existenz, das behagliche Dasein, welches an Herz und Gemüth appel-
lirt. Während die offizielle Protektion, deren sich die Kunst in Frankreich von
Staatswegen zu erfreuen hat, die französischen Maler zur Entwicklung großer
Mittel, zur Historienmalerei in großem Stile veranlaßt, zieht sich die englische
Kunst mehr in das Haus des Bürgers zurück. Bei den Engländern wird die
monumentale Malerei wenig oder gar nicht gepflegt, bei ihnen gilt das Bild
als der edelste Schmuck der menschlichen Behausung. Wenn deshalb die eng¬
lische Malerei nicht zu der höchsten Entwicklung gediehen ist, deren die Malerei
überhaupt fähig ist, so hat sie sich auf der anderen Seite in der umfassendsten
Weise die Vortheile zu Nutze gemacht, welche ihr der stetige Verkehr mit dein
Leben, mit den wechselnden Anschauungen und Bedürfnissen der Nation bietet.
Während sich die französische Malerei fast ganz dem Leben entfremdet hat, steht
keine zweite Kunst der Welt in so inniger Harmonie mit dem Leben wie die
englische. Am nächsten kommt ihr dann die Deutsche. Aber den deutschen
Malern fehlt im allgemeinen jene souveräne Herrschaft über die technischen
Mittel ihrer Kunst, welche die englischen Maler nicht minder wie die franzö¬
sischen in vollstem Maaße besitzen, in solchem Maaße, daß in England und
Frankreich diese vollkommene Beherrschung als etwas durchaus Selbstverständ¬
liches betrachtet wird. Es ist dort ganz undenkbar, daß Stümper, die weder
zeichnen noch modelliren können, zu Ansehn und Ruf gelangen, wie es leider
in Deutschland an der Tagesordnung ist. Da giebt es keine Maler, die wie
Makart und Böcklin mit „genialen" Verkürzungen, mit verkrüppelten Beinen
und Armen, mit Verzeichnungen und sonstigen Verschrobenheiten kokettiren. In
England giebt es keine Maler, die, um sich interessant zu machen, wie Gabriel
Max, blan, gelb und grün angelaufene Leichname für lebendige Menschen
ausgeben.

Der Grund, weshalb Engländer und Franzosen zu einer solchen Beherr¬
schung der Technik gelangt sind, liegt einerseits in der ästhetischen Erziehung,
andrerseits in der Methode des Zeichenunterrichtes und in der Fürsorge, welche
diesem Zweige des öffentlichen Unterrichts gewidmet wird. Aus der Pflege
des Zeichenunterrichts erklärt sich der gewaltige Aufschwung, welcher das Kunst¬
gewerbe in Frankreich und England genommen, erklärt es sich, weshalb das
deutsche Kunstgewerbe trotz aller Anstrengungen von Seiten des Staates und
der Privaten nicht emporkommen will. Solange das Uebel in Deutschland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/115>, abgerufen am 26.06.2024.