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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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selben Stelle, wo die Studenten in bunten Schnürjacken und Mützen mit den
Peitschen knallten, die Klingeln an den Schlitten läuteten, die Straßenjungen
lärmend und schreiend auf die Aeste der entlaubten Bäume kletterten, um Dich
besser sehen zu können; -- ganz Berlin war auf den Beinen, und Hurrah!
schrie alles mit; -- mußt Du jetzt so still dahinschleichen, wie ein Schatten,
wie ein Nachzügler von gestern? Was that ich? -- Ich ging auf ihn zu
und sagte: Liszt, speisen Sie einmal bei mir! Ich lade auf übermorgen einige
Freunde ein. Er nahm die Einladung an. Ich aber schickte Boten über
Boten durch die ganze Stadt; ließ einladen, was nur Namen hatte, Staats¬
männer, Offiziere, Gelehrte, und arrangirte ihm in meinem neuen Hause ein
Fest, von dem noch eine Woche lang alle Zeitungen berichteten. Ich sparte
nichts; ich wollte nur einem Opfer dessen, was man Berliner Popularität
nennt, über seinen Schmerz hinweg helfen, und im Stillen sagte ich mir selbst:
Ja, ich will Berlin Vergeßlichkeit lehren. Und wer weiß, ob ich Liszt nicht
wieder su vvAiis gebracht habe. -- Sehen Sie, bester Doktor, das ist mein
Trost. Wenn ich wieder nach Berlin komme, vielleicht erbarmt sich dann auch
Jemand meiner und bringt mich mit einer Tafel von fünfzig Gedecken wieder
in die Höhe!"

Aehnlich wie Liszt und Cornelius ging es dem einst so gefeierten belgi¬
schen Maler de Biefve, dessen Aufnahme in Berlin, wie wir oben gesehen,
Cornelius großes Mißvergnügen verursacht hatte. Im Herbste 1877 besuchte
de Biefve Berlin. Kein Mensch nahm Notiz von seiner Anwesenheit, obwohl
sich drei Bilder von seiner Hand auf der eben eröffneten akademischen Kunst¬
ausstellung befanden. Man beachtete diese Bilder kaum, und wer sie beachtete,
fand sie geziert, süßlich, langweilig.

Cornelius war kein Maler, sondern ein großartig veranlagter Dichter, in
dessen Geiste sich Eigenschaften eines Homer, eines Milton, eines Goethe ver¬
einigten. Daß er aus diesem Grunde kein Verständniß bei den Berlinern ge¬
funden, das zu behaupten, wäre ungerecht. Auch heute giebt es noch in Berlin
eine kleine, aber begeisterte Gemeinde, welche den großen Meister liebt und
verehrt. In jenen Eigenschaften liegt nur der Grund, weshalb er in Berlin
keine Schule bilden konnte. "Der Maler muß malen können" war zu Cor¬
nelius Zeiten bereits das Prinzip der Berliner Schule und ist es bis auf den
heutigen Tag geblieben.




selben Stelle, wo die Studenten in bunten Schnürjacken und Mützen mit den
Peitschen knallten, die Klingeln an den Schlitten läuteten, die Straßenjungen
lärmend und schreiend auf die Aeste der entlaubten Bäume kletterten, um Dich
besser sehen zu können; — ganz Berlin war auf den Beinen, und Hurrah!
schrie alles mit; — mußt Du jetzt so still dahinschleichen, wie ein Schatten,
wie ein Nachzügler von gestern? Was that ich? — Ich ging auf ihn zu
und sagte: Liszt, speisen Sie einmal bei mir! Ich lade auf übermorgen einige
Freunde ein. Er nahm die Einladung an. Ich aber schickte Boten über
Boten durch die ganze Stadt; ließ einladen, was nur Namen hatte, Staats¬
männer, Offiziere, Gelehrte, und arrangirte ihm in meinem neuen Hause ein
Fest, von dem noch eine Woche lang alle Zeitungen berichteten. Ich sparte
nichts; ich wollte nur einem Opfer dessen, was man Berliner Popularität
nennt, über seinen Schmerz hinweg helfen, und im Stillen sagte ich mir selbst:
Ja, ich will Berlin Vergeßlichkeit lehren. Und wer weiß, ob ich Liszt nicht
wieder su vvAiis gebracht habe. — Sehen Sie, bester Doktor, das ist mein
Trost. Wenn ich wieder nach Berlin komme, vielleicht erbarmt sich dann auch
Jemand meiner und bringt mich mit einer Tafel von fünfzig Gedecken wieder
in die Höhe!"

Aehnlich wie Liszt und Cornelius ging es dem einst so gefeierten belgi¬
schen Maler de Biefve, dessen Aufnahme in Berlin, wie wir oben gesehen,
Cornelius großes Mißvergnügen verursacht hatte. Im Herbste 1877 besuchte
de Biefve Berlin. Kein Mensch nahm Notiz von seiner Anwesenheit, obwohl
sich drei Bilder von seiner Hand auf der eben eröffneten akademischen Kunst¬
ausstellung befanden. Man beachtete diese Bilder kaum, und wer sie beachtete,
fand sie geziert, süßlich, langweilig.

Cornelius war kein Maler, sondern ein großartig veranlagter Dichter, in
dessen Geiste sich Eigenschaften eines Homer, eines Milton, eines Goethe ver¬
einigten. Daß er aus diesem Grunde kein Verständniß bei den Berlinern ge¬
funden, das zu behaupten, wäre ungerecht. Auch heute giebt es noch in Berlin
eine kleine, aber begeisterte Gemeinde, welche den großen Meister liebt und
verehrt. In jenen Eigenschaften liegt nur der Grund, weshalb er in Berlin
keine Schule bilden konnte. „Der Maler muß malen können" war zu Cor¬
nelius Zeiten bereits das Prinzip der Berliner Schule und ist es bis auf den
heutigen Tag geblieben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/99>, abgerufen am 06.10.2024.