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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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kommen. -- Ein Ueberblick über die rein historischen Nesnltcite und eine
kritische Werthung derselben würde aber an dieser Stelle zu weit führen, weil
die Assyriologie selbst in dieser Beziehung noch nicht zu einem Abschluß ge¬
kommen, ist und die Wissenschaft über den geschichtlichen Bestätiguugswerth der
Monumente sich noch nicht im Klaren ist.

Welche Ergebnisse liefern nun jene Parallelen? Sind sie wirklich, wie sie
anfänglich begrüßt worden sind, eine aus einer ganz unabhängig fließenden
Quelle stammende sog. Bestätigung des biblischen Berichtes?

Es ergiebt sich da auf den ersten Blick, daß einer objektiven histori¬
schen Bestätigung nur diejenigen Partien des alten Testamentes unterliegen
können, welche geschichtlichen Charakters sind. In dieser Beziehung kommen
bekanntlich für die Aegyptologie diejenigen Theile des Exodus in Frage, welche
von der mächtigsten, alttestamentlichen Persönlichst, von Moses beherrscht werden;
für die Assyriologie wesentlich die jüdische Königsgeschichte, die Gefangenschaften,
die Zurückführung, mit einem Worte die Urkunden über die wechselseitigen Be¬
ziehungen beider Nationen. -- Die so in Frage kommende Ausbeute an
historischen Falle" bestätigenden Charakters ist unzweifelhaft eine bedeutende
und wird der alttestcimenilichen Apologetik allezeit eine willkommene Gabe sein.
Eine Anzahl chronologischer, religiöser, kulturhistorischer Notizen der Bibel, z.
Th. von der Kritik angefochtener, haben neues Licht, neue Bestätigung empfangen;
auf die Einzelheiten einzugehen, gehört indessen nicht in den Rahmen dieser
Mittheilungen.

Dennoch sind diese historischen Bestätigungen in ihrer Gesammtheit noch
von zweifelhaftem Werthe. Denn erstens sind noch lange nicht alle linguisti¬
schen Schwierigkeiten der assyrischen Entzifferung gelöst, und namentlich die
höchst wichtige Nomenklatur leidet unter dieser Unfertigst; und zweitens haben
sich bis jetzt doch auch eine Anzahl Differenzen ergeben, deren versöhnende Lösung
mit dem biblischen Berichte noch aussteht. Es ist ja möglich und zu hoffen, daß
die Vertiefung in, und die wachsende Vertrautheit mit deu Keilschriftgeheim¬
nissen auch diese Lösung bringen wird; inzwischen aber behalten für jenen
Standpunkt einer Bestätigungsnothwendigkeit doch auch die Differenzen ihr Recht.

Das freilich ist schon jetzt aus dem bisher Aufgefundenen abermals offen¬
bar geworden, daß die heiligen Urkunden der Jsraeliten eine kritische Konfron¬
tation mit den Aufzeichnungen der mächtigeren heidnischen Nachbarvölker nicht
zu scheuen brauchen und als allseitig zuverlässige Monumente sich erweisen;
nur daß sie die Bestätigung ihres Wahrheitsgehaltes von dieser Seite nicht so
bedürfen, wie ein vorzeitiger Enthusiasmus sie ihnen oft angewünscht hat.

Und was endlich die asshriologischen Ergebnisse für die assyrische
Geschichte selbst und ihre Beziehungen zu derjenigen der Nachbar-


kommen. — Ein Ueberblick über die rein historischen Nesnltcite und eine
kritische Werthung derselben würde aber an dieser Stelle zu weit führen, weil
die Assyriologie selbst in dieser Beziehung noch nicht zu einem Abschluß ge¬
kommen, ist und die Wissenschaft über den geschichtlichen Bestätiguugswerth der
Monumente sich noch nicht im Klaren ist.

Welche Ergebnisse liefern nun jene Parallelen? Sind sie wirklich, wie sie
anfänglich begrüßt worden sind, eine aus einer ganz unabhängig fließenden
Quelle stammende sog. Bestätigung des biblischen Berichtes?

Es ergiebt sich da auf den ersten Blick, daß einer objektiven histori¬
schen Bestätigung nur diejenigen Partien des alten Testamentes unterliegen
können, welche geschichtlichen Charakters sind. In dieser Beziehung kommen
bekanntlich für die Aegyptologie diejenigen Theile des Exodus in Frage, welche
von der mächtigsten, alttestamentlichen Persönlichst, von Moses beherrscht werden;
für die Assyriologie wesentlich die jüdische Königsgeschichte, die Gefangenschaften,
die Zurückführung, mit einem Worte die Urkunden über die wechselseitigen Be¬
ziehungen beider Nationen. — Die so in Frage kommende Ausbeute an
historischen Falle» bestätigenden Charakters ist unzweifelhaft eine bedeutende
und wird der alttestcimenilichen Apologetik allezeit eine willkommene Gabe sein.
Eine Anzahl chronologischer, religiöser, kulturhistorischer Notizen der Bibel, z.
Th. von der Kritik angefochtener, haben neues Licht, neue Bestätigung empfangen;
auf die Einzelheiten einzugehen, gehört indessen nicht in den Rahmen dieser
Mittheilungen.

Dennoch sind diese historischen Bestätigungen in ihrer Gesammtheit noch
von zweifelhaftem Werthe. Denn erstens sind noch lange nicht alle linguisti¬
schen Schwierigkeiten der assyrischen Entzifferung gelöst, und namentlich die
höchst wichtige Nomenklatur leidet unter dieser Unfertigst; und zweitens haben
sich bis jetzt doch auch eine Anzahl Differenzen ergeben, deren versöhnende Lösung
mit dem biblischen Berichte noch aussteht. Es ist ja möglich und zu hoffen, daß
die Vertiefung in, und die wachsende Vertrautheit mit deu Keilschriftgeheim¬
nissen auch diese Lösung bringen wird; inzwischen aber behalten für jenen
Standpunkt einer Bestätigungsnothwendigkeit doch auch die Differenzen ihr Recht.

Das freilich ist schon jetzt aus dem bisher Aufgefundenen abermals offen¬
bar geworden, daß die heiligen Urkunden der Jsraeliten eine kritische Konfron¬
tation mit den Aufzeichnungen der mächtigeren heidnischen Nachbarvölker nicht
zu scheuen brauchen und als allseitig zuverlässige Monumente sich erweisen;
nur daß sie die Bestätigung ihres Wahrheitsgehaltes von dieser Seite nicht so
bedürfen, wie ein vorzeitiger Enthusiasmus sie ihnen oft angewünscht hat.

Und was endlich die asshriologischen Ergebnisse für die assyrische
Geschichte selbst und ihre Beziehungen zu derjenigen der Nachbar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/67>, abgerufen am 27.07.2024.