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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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des Gymnasiums zu fordern, die nur mit einer Überlastung der Schüler zu
erreichen wäre.*)

Dabei ist ja eine gewisse Steigerung nicht ausgeschlossen. Der preußische
Gymnasiallehrplan schließt, wie Du Bois-Reymond klagt, die analytische Geo¬
metrie von dem mathematischen Unterricht der Gymnasien aus, der sächsische
dagegen schreibt sie vor, so gut wie das sächsische Regulativ sür die Realschulen,
die auch in Preußen sie behandeln. Was in dem einem Staate möglich ist,
muß doch bei gleicher Stundenzahl es auch in dem andern sein.

Es fehlt nun freilich nicht an Stimmen solcher, welche überhaupt deu
gegenwärtigen Betrieb der Mathematik auf dem Gymnasium wieder auf den
früheren Umfang beschränkt sehen möchten. Da dies aber das uns vorschwebende
Ziel der Einheit des höheren Unterrichts nur noch weiter hinaufrücken würde,
so kann von unserem Gesichtspunkte ans davon allerdings keine Rede sein.
Wohl aber halten wir etwas Anderes für erreichbar. Man könnte zunächst daran
denken, bei der Schlußzensur den Ersatz mangelhafter Leistungen in den klassischen
Sprachen durch hervorragende Tüchtigkeit in den exakten Fächern und umgekehrt
für möglich anzuerkennen, je nachdem der Schüler sich für die eine oder andere
Studienrichtung entscheiden zu wollen erklärt. Da dies aber in der Praxis
wahrscheinlich manchen Schwierigkeiten begegnen würde, so wäre auf der obersten
Stufe, in Oberprima, eine Parallelisirung des altklassischeu und des exakten
Unterrichtes derart zu erstreben, daß die humanistischen Fächern sich Zu¬
neigenden in der Mathematik erleichtert, die künftigen Mediziner und Mathe¬
matiker dagegen etwa von den schriftlichen Leistungen in den klassischen Sprachen
ganz entbunden würden. Man müßte dann künftige "Humanisten" und "Realisten"
in ganz getrennten Stunden in Mathematik und Naturwissenschaften unterrichten,
derart, daß die Anforderungen an die ersteren unter den jetzt durchgängig ge¬
stellten blieben, die an die letzteren sich entsprechend steigerten. Das Letztere
würde um so leichter erreichbar sein, als die Zahl der so zu Unterrichtenden
immer nur einen Theil der Schüler betragen und diese, weil sie aus freier
Wahl diesenMnterricht ergriffen, auch mit vermehrtem Eifer und also größerem
Erfolge arbeiten würden. Unser Prinzip der unbedingten Einheit des höheren
Bildungsganges wäre damit doch in allem Wesentlichen gewahrt.

Ueber die Naturwissenschaften können wir um so kürzer hinweggehen, als
für diese auch Du Bois-Reymond nur einige Erweiterungen fordert (die Anfangs¬
gründe der Astronomie und Mechanik, der mathematischen und physikalischen Geo¬
graphie, aber keine Chemie), welche nicht wesentlich über das Bisherige hinaus-



") Weshalb uns der Borschlag Du Bois-Reymonds, durch Entfernung des Religions¬
unterrichts aus den höheren Klassen einige Stunden mehr für Mathematik zu gewinnen,
unnnnchmvar erscheint, davon weiter unten. --

des Gymnasiums zu fordern, die nur mit einer Überlastung der Schüler zu
erreichen wäre.*)

Dabei ist ja eine gewisse Steigerung nicht ausgeschlossen. Der preußische
Gymnasiallehrplan schließt, wie Du Bois-Reymond klagt, die analytische Geo¬
metrie von dem mathematischen Unterricht der Gymnasien aus, der sächsische
dagegen schreibt sie vor, so gut wie das sächsische Regulativ sür die Realschulen,
die auch in Preußen sie behandeln. Was in dem einem Staate möglich ist,
muß doch bei gleicher Stundenzahl es auch in dem andern sein.

Es fehlt nun freilich nicht an Stimmen solcher, welche überhaupt deu
gegenwärtigen Betrieb der Mathematik auf dem Gymnasium wieder auf den
früheren Umfang beschränkt sehen möchten. Da dies aber das uns vorschwebende
Ziel der Einheit des höheren Unterrichts nur noch weiter hinaufrücken würde,
so kann von unserem Gesichtspunkte ans davon allerdings keine Rede sein.
Wohl aber halten wir etwas Anderes für erreichbar. Man könnte zunächst daran
denken, bei der Schlußzensur den Ersatz mangelhafter Leistungen in den klassischen
Sprachen durch hervorragende Tüchtigkeit in den exakten Fächern und umgekehrt
für möglich anzuerkennen, je nachdem der Schüler sich für die eine oder andere
Studienrichtung entscheiden zu wollen erklärt. Da dies aber in der Praxis
wahrscheinlich manchen Schwierigkeiten begegnen würde, so wäre auf der obersten
Stufe, in Oberprima, eine Parallelisirung des altklassischeu und des exakten
Unterrichtes derart zu erstreben, daß die humanistischen Fächern sich Zu¬
neigenden in der Mathematik erleichtert, die künftigen Mediziner und Mathe¬
matiker dagegen etwa von den schriftlichen Leistungen in den klassischen Sprachen
ganz entbunden würden. Man müßte dann künftige „Humanisten" und „Realisten"
in ganz getrennten Stunden in Mathematik und Naturwissenschaften unterrichten,
derart, daß die Anforderungen an die ersteren unter den jetzt durchgängig ge¬
stellten blieben, die an die letzteren sich entsprechend steigerten. Das Letztere
würde um so leichter erreichbar sein, als die Zahl der so zu Unterrichtenden
immer nur einen Theil der Schüler betragen und diese, weil sie aus freier
Wahl diesenMnterricht ergriffen, auch mit vermehrtem Eifer und also größerem
Erfolge arbeiten würden. Unser Prinzip der unbedingten Einheit des höheren
Bildungsganges wäre damit doch in allem Wesentlichen gewahrt.

Ueber die Naturwissenschaften können wir um so kürzer hinweggehen, als
für diese auch Du Bois-Reymond nur einige Erweiterungen fordert (die Anfangs¬
gründe der Astronomie und Mechanik, der mathematischen und physikalischen Geo¬
graphie, aber keine Chemie), welche nicht wesentlich über das Bisherige hinaus-



») Weshalb uns der Borschlag Du Bois-Reymonds, durch Entfernung des Religions¬
unterrichts aus den höheren Klassen einige Stunden mehr für Mathematik zu gewinnen,
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[0412] des Gymnasiums zu fordern, die nur mit einer Überlastung der Schüler zu erreichen wäre.*) Dabei ist ja eine gewisse Steigerung nicht ausgeschlossen. Der preußische Gymnasiallehrplan schließt, wie Du Bois-Reymond klagt, die analytische Geo¬ metrie von dem mathematischen Unterricht der Gymnasien aus, der sächsische dagegen schreibt sie vor, so gut wie das sächsische Regulativ sür die Realschulen, die auch in Preußen sie behandeln. Was in dem einem Staate möglich ist, muß doch bei gleicher Stundenzahl es auch in dem andern sein. Es fehlt nun freilich nicht an Stimmen solcher, welche überhaupt deu gegenwärtigen Betrieb der Mathematik auf dem Gymnasium wieder auf den früheren Umfang beschränkt sehen möchten. Da dies aber das uns vorschwebende Ziel der Einheit des höheren Unterrichts nur noch weiter hinaufrücken würde, so kann von unserem Gesichtspunkte ans davon allerdings keine Rede sein. Wohl aber halten wir etwas Anderes für erreichbar. Man könnte zunächst daran denken, bei der Schlußzensur den Ersatz mangelhafter Leistungen in den klassischen Sprachen durch hervorragende Tüchtigkeit in den exakten Fächern und umgekehrt für möglich anzuerkennen, je nachdem der Schüler sich für die eine oder andere Studienrichtung entscheiden zu wollen erklärt. Da dies aber in der Praxis wahrscheinlich manchen Schwierigkeiten begegnen würde, so wäre auf der obersten Stufe, in Oberprima, eine Parallelisirung des altklassischeu und des exakten Unterrichtes derart zu erstreben, daß die humanistischen Fächern sich Zu¬ neigenden in der Mathematik erleichtert, die künftigen Mediziner und Mathe¬ matiker dagegen etwa von den schriftlichen Leistungen in den klassischen Sprachen ganz entbunden würden. Man müßte dann künftige „Humanisten" und „Realisten" in ganz getrennten Stunden in Mathematik und Naturwissenschaften unterrichten, derart, daß die Anforderungen an die ersteren unter den jetzt durchgängig ge¬ stellten blieben, die an die letzteren sich entsprechend steigerten. Das Letztere würde um so leichter erreichbar sein, als die Zahl der so zu Unterrichtenden immer nur einen Theil der Schüler betragen und diese, weil sie aus freier Wahl diesenMnterricht ergriffen, auch mit vermehrtem Eifer und also größerem Erfolge arbeiten würden. Unser Prinzip der unbedingten Einheit des höheren Bildungsganges wäre damit doch in allem Wesentlichen gewahrt. Ueber die Naturwissenschaften können wir um so kürzer hinweggehen, als für diese auch Du Bois-Reymond nur einige Erweiterungen fordert (die Anfangs¬ gründe der Astronomie und Mechanik, der mathematischen und physikalischen Geo¬ graphie, aber keine Chemie), welche nicht wesentlich über das Bisherige hinaus- ») Weshalb uns der Borschlag Du Bois-Reymonds, durch Entfernung des Religions¬ unterrichts aus den höheren Klassen einige Stunden mehr für Mathematik zu gewinnen, unnnnchmvar erscheint, davon weiter unten. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/412>, abgerufen am 01.09.2024.