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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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den allbekannten Künstleranekdoten gehört, hat gehört, daß einmal ein altert
Maler Weintrauben so natürlich gemalt habe, daß die Vogel darnach geflogen
kamen, um davon zu naschen, ein andrer Künstler einen Vorhang, der so
täuschend wie ein wirklicher Vorhang aussah, daß selbst ein Maler dadurch
irregeführt worden sei und verlangt habe, den Vorhang wegzuziehen, damit
er das dahinter befindliche Bild sehen könne; vielleicht hat er auch das noch
in der Erinnerung, daß das berühmte geflügelte Wort: "Schuster, bleib' bei
deinem Leisten" zuerst aus dem Munde eines Malers gekommen sei, der wirk¬
lich einen Schuster damit zurechtwies, welcher sich herausgenommen hatte, an
einem Bilde des Malers etwas zu bemäkeln, was er gar nicht verstand. Aber
die Kenntnisse versagen sofort, wenn man nach den Namen derer fragt,
von denen diese Geschichtchen erzählt werden. Apelles? Nun ja, von
dem hat wohl jeder einmal gehört, und auf sein Konto werden denn anch ge¬
wöhnlich diese Anekdötchen alle gesetzt. Kennt jemand außerdem etwa noch den
Zeuxis, erinnert er sich aus Goethe's schöner Elegie "Der neue Pausias und
sein Blumenmädchen" und aus dem kleinen Vorwort, das der Dichter dazu ge¬
schrieben, daß einmal in der Stadt Sikyon ein geschickter Blumenmaler Namens
Pausias gelebt hat, so darf das schon als eine sehr erfreuliche Wissenschaft von
der alten Malerei gelten. Da sind die alten Bildhauer besser dran. Zahlreiche
plastische Werke des Alterthums sind erhalten, die zu berühmten Bildhauern
in nähere oder entferntere Beziehung gebracht werden. Wer die Parthenon-
Skulpturen gesehen, der weiß auch von Phidias etwas, beim Diskuswerfer hat
er sich den Namen des Myron eingeprägt, die Juno Ludovist bringt er, wenn,
auch verkehrter Weise, mit dem Polyklet zusammen, beim Satyr mit der Flöte
fällt ihm Praxiteles ein, bei einem Portraitkopfe Alexander's des Großen
erinnert er sich an Lysipp, den "Hofbildhauer" des makedonischer Königs. Und
erst Päonios! Beneidenswerthes Loos! Kann ein Künstler des Alterthums
populärer werden, als Päonios es geworden, dessen Siegesgöttin, jämmerlich
verstümmelt, aus dem Schutt von Olympia herausgegraben worden ist und
dessen Name nun zu einer Größe aufgebauscht wird, der Geldsumme ent¬
sprechend, die die deutsche Regierung an die olympischen Ausgrabungen gewendet
hat? Päonios -- in seinem Bildungsverein hat der strebsame Kaufmannsdiener
seinen Namen preisen hören, auf jeder Bierbank hat ihn der Philister aus der
Zeitung zusammenbuchstabirt. Was weiß dagegen der gebildete Laie von den
großen Malern des Alterthums? Polygnot, Parrhasios, Timanthes, Protogenes,
Timomachos -- es sind ihm lauter völlig unbekannte Klänge.

Daß durch eine gute, gemeinverständliche Darstellung der Geschichte der
alten Malerei eine empfindliche Lücke in unserer kunstwissenschaftlicher Literatur
ausgefüllt werden würde, unterliegt wohl nach dem Gesagten keinem Zweifel.


den allbekannten Künstleranekdoten gehört, hat gehört, daß einmal ein altert
Maler Weintrauben so natürlich gemalt habe, daß die Vogel darnach geflogen
kamen, um davon zu naschen, ein andrer Künstler einen Vorhang, der so
täuschend wie ein wirklicher Vorhang aussah, daß selbst ein Maler dadurch
irregeführt worden sei und verlangt habe, den Vorhang wegzuziehen, damit
er das dahinter befindliche Bild sehen könne; vielleicht hat er auch das noch
in der Erinnerung, daß das berühmte geflügelte Wort: „Schuster, bleib' bei
deinem Leisten" zuerst aus dem Munde eines Malers gekommen sei, der wirk¬
lich einen Schuster damit zurechtwies, welcher sich herausgenommen hatte, an
einem Bilde des Malers etwas zu bemäkeln, was er gar nicht verstand. Aber
die Kenntnisse versagen sofort, wenn man nach den Namen derer fragt,
von denen diese Geschichtchen erzählt werden. Apelles? Nun ja, von
dem hat wohl jeder einmal gehört, und auf sein Konto werden denn anch ge¬
wöhnlich diese Anekdötchen alle gesetzt. Kennt jemand außerdem etwa noch den
Zeuxis, erinnert er sich aus Goethe's schöner Elegie „Der neue Pausias und
sein Blumenmädchen" und aus dem kleinen Vorwort, das der Dichter dazu ge¬
schrieben, daß einmal in der Stadt Sikyon ein geschickter Blumenmaler Namens
Pausias gelebt hat, so darf das schon als eine sehr erfreuliche Wissenschaft von
der alten Malerei gelten. Da sind die alten Bildhauer besser dran. Zahlreiche
plastische Werke des Alterthums sind erhalten, die zu berühmten Bildhauern
in nähere oder entferntere Beziehung gebracht werden. Wer die Parthenon-
Skulpturen gesehen, der weiß auch von Phidias etwas, beim Diskuswerfer hat
er sich den Namen des Myron eingeprägt, die Juno Ludovist bringt er, wenn,
auch verkehrter Weise, mit dem Polyklet zusammen, beim Satyr mit der Flöte
fällt ihm Praxiteles ein, bei einem Portraitkopfe Alexander's des Großen
erinnert er sich an Lysipp, den „Hofbildhauer" des makedonischer Königs. Und
erst Päonios! Beneidenswerthes Loos! Kann ein Künstler des Alterthums
populärer werden, als Päonios es geworden, dessen Siegesgöttin, jämmerlich
verstümmelt, aus dem Schutt von Olympia herausgegraben worden ist und
dessen Name nun zu einer Größe aufgebauscht wird, der Geldsumme ent¬
sprechend, die die deutsche Regierung an die olympischen Ausgrabungen gewendet
hat? Päonios — in seinem Bildungsverein hat der strebsame Kaufmannsdiener
seinen Namen preisen hören, auf jeder Bierbank hat ihn der Philister aus der
Zeitung zusammenbuchstabirt. Was weiß dagegen der gebildete Laie von den
großen Malern des Alterthums? Polygnot, Parrhasios, Timanthes, Protogenes,
Timomachos — es sind ihm lauter völlig unbekannte Klänge.

Daß durch eine gute, gemeinverständliche Darstellung der Geschichte der
alten Malerei eine empfindliche Lücke in unserer kunstwissenschaftlicher Literatur
ausgefüllt werden würde, unterliegt wohl nach dem Gesagten keinem Zweifel.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/380>, abgerufen am 28.12.2024.