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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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gewaltiger Kriegsheld zur Seite, die furchtbare Härte der blutigen Thaten des
Sultans, so viel er vermochte, mit menschlichem wohlwollendem Sinne mildernd.
Er war von dem allerwichtigsten Einflüsse auf die Schöpfung der neuen Welt,
die sich auf den Trümmern des griechischen Kaiserreichs erheben sollte. Der
Plan zu diesem neuen eigenthümlichen Bau, der in sestgegliederten Staatsein-
richtungen zugleich das Volk des Islam und die unterworfenen Griechen mit
vollständig gesichertem Fortbestehn ihrer Nationalität und des Christenthums
umfassen sollte, rührte in den wichtigsten Punkten bis in die kleinsten Details
von Mahmud Pascha her.

Die großen Eigenschaften dieses Mannes und sein endliches Schicksal er¬
warben ihm in so hohem Grade die Verehrung und Theilnahme des Volkes,
daß er als muhammedanischer Heiliger und Märtyrer angesehn, sein Leben in
einem türkischen Volksbuche als das eines heiligen Märtyrers beschrieben wurde.
Verfaßt ist dasselbe wohl schon im 16. Jahrhundert, durch Mahmud Raus
Effendi, Imam oder Priester der Moschee Mahmud Pascha. Die Geschichte
eines Heiligen muß natürlich auch Wunder enthalten, und kann mit der son¬
stigen profanen Geschichte nicht in allen Stücken übereinstimmen; Raus Effendi
hat deshalb auch seine Erzählung reichlich mit Wundern durchwebt. Er be¬
richtet zunächst eingehend, wie der junge Mahmud, der eigentlich Christ, der
Sohn eines Griechen (Metzgers) und einer Serbin war, durch seine wunder¬
bare Erleuchtung schon als Jüngling zum Haupt eines Klosters in Edirnc
(Adrianopel, der damaligen Residenz des Sultans) gewählt wurde, wie der
Ruf seiner Bedeutung zu den Ohren des Sultans drang und dieser befahl, den
jungen Mönch für die Dienste des Padischcch zu reklamiren. Die Mönche lassen
das Loos entscheiden. Das Loos und ein Traum Mahmuds sind dem Willen des
Sultans günstig. Er wird Muselmann, zwei Jahre von dem eigenen Lehrer des
Sultans im Koran unterrichtet, und besteht dann die große kirchliche Prüfung vor
den Ulema's ebenso glänzend als bescheiden. Dann fährt der naive türkische Er¬
zähler -- dessen Darstellung uun wortgetreu gefolgt wird -- also fort: Der
Sultan bezeigte Allen seine Zufriedenheit, strich sich (voll Zufriedenheit) mit den
Händen über Gesicht und Augen, bekleidete sie (die Anwesenden) wieder mit einem
Ehren-Kaftan, und sie gingen fort. Den Tag darauf schickte Sultan Murad dem
Chodscha Ibrahim Pascha, der sein Groß-Vezier war, einen Tester (des Inhalts):
"Caia^), ich habe einen Sklaven, der an Wissenschaft hoch hervorragt, seinem
Wissen zur Ehre, und seinem edlen Sinn zur weiteren Entwickelung, habe ich den
Willen ihn zum zweiten Vezier zu macheu." Auf dies Schreiben ernannte ihn
Ibrahim Pascha nach drei Tagen zum zweiten Vezier. Als Mahmud dies



') Vertrauliche Anrede, bedeutet so viel als w^or äomus, HcmSmaier.

gewaltiger Kriegsheld zur Seite, die furchtbare Härte der blutigen Thaten des
Sultans, so viel er vermochte, mit menschlichem wohlwollendem Sinne mildernd.
Er war von dem allerwichtigsten Einflüsse auf die Schöpfung der neuen Welt,
die sich auf den Trümmern des griechischen Kaiserreichs erheben sollte. Der
Plan zu diesem neuen eigenthümlichen Bau, der in sestgegliederten Staatsein-
richtungen zugleich das Volk des Islam und die unterworfenen Griechen mit
vollständig gesichertem Fortbestehn ihrer Nationalität und des Christenthums
umfassen sollte, rührte in den wichtigsten Punkten bis in die kleinsten Details
von Mahmud Pascha her.

Die großen Eigenschaften dieses Mannes und sein endliches Schicksal er¬
warben ihm in so hohem Grade die Verehrung und Theilnahme des Volkes,
daß er als muhammedanischer Heiliger und Märtyrer angesehn, sein Leben in
einem türkischen Volksbuche als das eines heiligen Märtyrers beschrieben wurde.
Verfaßt ist dasselbe wohl schon im 16. Jahrhundert, durch Mahmud Raus
Effendi, Imam oder Priester der Moschee Mahmud Pascha. Die Geschichte
eines Heiligen muß natürlich auch Wunder enthalten, und kann mit der son¬
stigen profanen Geschichte nicht in allen Stücken übereinstimmen; Raus Effendi
hat deshalb auch seine Erzählung reichlich mit Wundern durchwebt. Er be¬
richtet zunächst eingehend, wie der junge Mahmud, der eigentlich Christ, der
Sohn eines Griechen (Metzgers) und einer Serbin war, durch seine wunder¬
bare Erleuchtung schon als Jüngling zum Haupt eines Klosters in Edirnc
(Adrianopel, der damaligen Residenz des Sultans) gewählt wurde, wie der
Ruf seiner Bedeutung zu den Ohren des Sultans drang und dieser befahl, den
jungen Mönch für die Dienste des Padischcch zu reklamiren. Die Mönche lassen
das Loos entscheiden. Das Loos und ein Traum Mahmuds sind dem Willen des
Sultans günstig. Er wird Muselmann, zwei Jahre von dem eigenen Lehrer des
Sultans im Koran unterrichtet, und besteht dann die große kirchliche Prüfung vor
den Ulema's ebenso glänzend als bescheiden. Dann fährt der naive türkische Er¬
zähler — dessen Darstellung uun wortgetreu gefolgt wird — also fort: Der
Sultan bezeigte Allen seine Zufriedenheit, strich sich (voll Zufriedenheit) mit den
Händen über Gesicht und Augen, bekleidete sie (die Anwesenden) wieder mit einem
Ehren-Kaftan, und sie gingen fort. Den Tag darauf schickte Sultan Murad dem
Chodscha Ibrahim Pascha, der sein Groß-Vezier war, einen Tester (des Inhalts):
»Caia^), ich habe einen Sklaven, der an Wissenschaft hoch hervorragt, seinem
Wissen zur Ehre, und seinem edlen Sinn zur weiteren Entwickelung, habe ich den
Willen ihn zum zweiten Vezier zu macheu." Auf dies Schreiben ernannte ihn
Ibrahim Pascha nach drei Tagen zum zweiten Vezier. Als Mahmud dies



') Vertrauliche Anrede, bedeutet so viel als w^or äomus, HcmSmaier.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/233>, abgerufen am 06.10.2024.