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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Wird es gewesen sein, der für ihn die Brücke zur Naturphilosophie Schelling's
schlug. Aber auch zur theoretischen Ausgestaltung des Pessimismus fand er
hier einen Wegweiser. Ein gewisser Majer, der sich mit der indischen Reli¬
gion beschäftigte und gleichzeitig mit Schopenhauer's Hauptwerk eine Arbeit
über jene veröffentlichte, führte ihn in die Religion der Weltverneinung.

Aber auch persönliche Erlebnisse befestigten ihn in der Stimmung, die
Voraussetzung derselben ist. Der Konflikt mit seiner Mutter wurde zum defi¬
nitiven Bruch.

Es gab unseres Bedünkens jetzt für ihn nur noch einen Weg, der ihn
mit dem Leben hätte versöhnen können, die Liebe. Noch war er für sie em¬
pfänglich. Die Schauspielerin Karoline Jagemann fesselte ihn im höchsten
Maße. "Dieses Weib," sagte er zu seiner Mutter, "würde ich heimführen, und
wenn ich sie Steine klopfend an der Landstraße fände." Aber sie war ihm
unerreichbar. Indessen weibliche Liebe erschien ihm auch noch in einer anderen
Gestalt. Es war seine Schwester Adele, nach allem, was wir hören, eine
Persönlichkeit von seltner moralischer Idealität, die mit rührender Treue an
ihm hing. Daß seine Menschenverachtung an ihr sich nicht gebrochen hat, die
von der göttlichen Leitung seines Lebens ihm so offenbar zur thatsächlichen
Widerlegung seines Pessimismus gesandt war, das ist eine schwere Schuld, die
Schopenhauer auf sich geladen hat. Immer mehr verzerrte sich sein mora¬
lischer Charakter, immer mehr steigerte sich in ihm die Verachtung der Menschen
und die Rücksichtslosigkeit des Egoismus, durch welche er eine so unerquickliche,
ja widerwärtige Erscheinung geworden ist.

1818 wurde sein Werk "die Welt als Wille und Vorstellung" veröffent¬
licht. Er hatte nun die dogmatische Formel gefunden, welche die Rechtfertigung
für feine Gesammtanschauung bilden sollte. Mit maßlosem Selbstbewußtsein
schätzte er von vornherein den Werth dieser Schrift und, um die Veröffent¬
lichung derselben zu beschleunigen, trug er kein Bedenken, da der Druck etwas
langsamer vor sich ging, als vorausgesetzt war, seinen übrigens daran völlig
unschuldigen Verleger Brockhaus mit den injuriösesten Vorwürfen zu über¬
häufen, so daß dieser den schriftlichen Verkehr mit ihm abbrechen mußte. In
diesem Briefwechsel tritt das ekelhafte Gemisch von Dünkel, Argwohn, Rück¬
sichtslosigkeit und Rohheit, das für Schopenhauer später so charakteristisch wurde,
schon deutlich hervor. Im Wesentlichen war er jetzt fertig.

Unmittelbar vor der Veröffentlichung seines Werks eilte Schopenhauer
nach Italien. Mit vollen Zügen athmete er die Herrlichkeit ein, die ihm hier
in Natur und Kunst entgegen kam. Besonders fesselte ihn Venedig. Bezie¬
hungen zum weiblichen Geschlecht kamen hier als Magnet hinzu. Leider läßt
hier Gwinner eine bedauerliche Lücke. Daß er uur flüchtig andeutet, soweit


Wird es gewesen sein, der für ihn die Brücke zur Naturphilosophie Schelling's
schlug. Aber auch zur theoretischen Ausgestaltung des Pessimismus fand er
hier einen Wegweiser. Ein gewisser Majer, der sich mit der indischen Reli¬
gion beschäftigte und gleichzeitig mit Schopenhauer's Hauptwerk eine Arbeit
über jene veröffentlichte, führte ihn in die Religion der Weltverneinung.

Aber auch persönliche Erlebnisse befestigten ihn in der Stimmung, die
Voraussetzung derselben ist. Der Konflikt mit seiner Mutter wurde zum defi¬
nitiven Bruch.

Es gab unseres Bedünkens jetzt für ihn nur noch einen Weg, der ihn
mit dem Leben hätte versöhnen können, die Liebe. Noch war er für sie em¬
pfänglich. Die Schauspielerin Karoline Jagemann fesselte ihn im höchsten
Maße. „Dieses Weib," sagte er zu seiner Mutter, „würde ich heimführen, und
wenn ich sie Steine klopfend an der Landstraße fände." Aber sie war ihm
unerreichbar. Indessen weibliche Liebe erschien ihm auch noch in einer anderen
Gestalt. Es war seine Schwester Adele, nach allem, was wir hören, eine
Persönlichkeit von seltner moralischer Idealität, die mit rührender Treue an
ihm hing. Daß seine Menschenverachtung an ihr sich nicht gebrochen hat, die
von der göttlichen Leitung seines Lebens ihm so offenbar zur thatsächlichen
Widerlegung seines Pessimismus gesandt war, das ist eine schwere Schuld, die
Schopenhauer auf sich geladen hat. Immer mehr verzerrte sich sein mora¬
lischer Charakter, immer mehr steigerte sich in ihm die Verachtung der Menschen
und die Rücksichtslosigkeit des Egoismus, durch welche er eine so unerquickliche,
ja widerwärtige Erscheinung geworden ist.

1818 wurde sein Werk „die Welt als Wille und Vorstellung" veröffent¬
licht. Er hatte nun die dogmatische Formel gefunden, welche die Rechtfertigung
für feine Gesammtanschauung bilden sollte. Mit maßlosem Selbstbewußtsein
schätzte er von vornherein den Werth dieser Schrift und, um die Veröffent¬
lichung derselben zu beschleunigen, trug er kein Bedenken, da der Druck etwas
langsamer vor sich ging, als vorausgesetzt war, seinen übrigens daran völlig
unschuldigen Verleger Brockhaus mit den injuriösesten Vorwürfen zu über¬
häufen, so daß dieser den schriftlichen Verkehr mit ihm abbrechen mußte. In
diesem Briefwechsel tritt das ekelhafte Gemisch von Dünkel, Argwohn, Rück¬
sichtslosigkeit und Rohheit, das für Schopenhauer später so charakteristisch wurde,
schon deutlich hervor. Im Wesentlichen war er jetzt fertig.

Unmittelbar vor der Veröffentlichung seines Werks eilte Schopenhauer
nach Italien. Mit vollen Zügen athmete er die Herrlichkeit ein, die ihm hier
in Natur und Kunst entgegen kam. Besonders fesselte ihn Venedig. Bezie¬
hungen zum weiblichen Geschlecht kamen hier als Magnet hinzu. Leider läßt
hier Gwinner eine bedauerliche Lücke. Daß er uur flüchtig andeutet, soweit


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[0211] Wird es gewesen sein, der für ihn die Brücke zur Naturphilosophie Schelling's schlug. Aber auch zur theoretischen Ausgestaltung des Pessimismus fand er hier einen Wegweiser. Ein gewisser Majer, der sich mit der indischen Reli¬ gion beschäftigte und gleichzeitig mit Schopenhauer's Hauptwerk eine Arbeit über jene veröffentlichte, führte ihn in die Religion der Weltverneinung. Aber auch persönliche Erlebnisse befestigten ihn in der Stimmung, die Voraussetzung derselben ist. Der Konflikt mit seiner Mutter wurde zum defi¬ nitiven Bruch. Es gab unseres Bedünkens jetzt für ihn nur noch einen Weg, der ihn mit dem Leben hätte versöhnen können, die Liebe. Noch war er für sie em¬ pfänglich. Die Schauspielerin Karoline Jagemann fesselte ihn im höchsten Maße. „Dieses Weib," sagte er zu seiner Mutter, „würde ich heimführen, und wenn ich sie Steine klopfend an der Landstraße fände." Aber sie war ihm unerreichbar. Indessen weibliche Liebe erschien ihm auch noch in einer anderen Gestalt. Es war seine Schwester Adele, nach allem, was wir hören, eine Persönlichkeit von seltner moralischer Idealität, die mit rührender Treue an ihm hing. Daß seine Menschenverachtung an ihr sich nicht gebrochen hat, die von der göttlichen Leitung seines Lebens ihm so offenbar zur thatsächlichen Widerlegung seines Pessimismus gesandt war, das ist eine schwere Schuld, die Schopenhauer auf sich geladen hat. Immer mehr verzerrte sich sein mora¬ lischer Charakter, immer mehr steigerte sich in ihm die Verachtung der Menschen und die Rücksichtslosigkeit des Egoismus, durch welche er eine so unerquickliche, ja widerwärtige Erscheinung geworden ist. 1818 wurde sein Werk „die Welt als Wille und Vorstellung" veröffent¬ licht. Er hatte nun die dogmatische Formel gefunden, welche die Rechtfertigung für feine Gesammtanschauung bilden sollte. Mit maßlosem Selbstbewußtsein schätzte er von vornherein den Werth dieser Schrift und, um die Veröffent¬ lichung derselben zu beschleunigen, trug er kein Bedenken, da der Druck etwas langsamer vor sich ging, als vorausgesetzt war, seinen übrigens daran völlig unschuldigen Verleger Brockhaus mit den injuriösesten Vorwürfen zu über¬ häufen, so daß dieser den schriftlichen Verkehr mit ihm abbrechen mußte. In diesem Briefwechsel tritt das ekelhafte Gemisch von Dünkel, Argwohn, Rück¬ sichtslosigkeit und Rohheit, das für Schopenhauer später so charakteristisch wurde, schon deutlich hervor. Im Wesentlichen war er jetzt fertig. Unmittelbar vor der Veröffentlichung seines Werks eilte Schopenhauer nach Italien. Mit vollen Zügen athmete er die Herrlichkeit ein, die ihm hier in Natur und Kunst entgegen kam. Besonders fesselte ihn Venedig. Bezie¬ hungen zum weiblichen Geschlecht kamen hier als Magnet hinzu. Leider läßt hier Gwinner eine bedauerliche Lücke. Daß er uur flüchtig andeutet, soweit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/211>, abgerufen am 01.09.2024.