Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.oualifizirbaren Verdächtigung Treitschke's: "Treitschke selbst versagt sich jene Unsern Lesern aber können wir unmöglich zumuthen, uns noch weiter zu Die erste dieser Autoritäten ist der verstorbene Berner Professor Walther oualifizirbaren Verdächtigung Treitschke's: „Treitschke selbst versagt sich jene Unsern Lesern aber können wir unmöglich zumuthen, uns noch weiter zu Die erste dieser Autoritäten ist der verstorbene Berner Professor Walther <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0199" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140020"/> <p xml:id="ID_621" prev="#ID_620"> oualifizirbaren Verdächtigung Treitschke's: „Treitschke selbst versagt sich jene<lb/> Erholung nicht, von welcher er glaubt, der Lehrer könne sie entbehren." Einer<lb/> solchen Entstelluugskuust gegenüber ist jede Diskussion nutzlos und es erscheint<lb/> nur zu erklärlich, daß der Redakteur der Zeitschrift, in welcher zuerst das<lb/> Worthmann'sche Pamphlet abgedruckt wurde, sich gedrungen fühlte, bei Treitschke<lb/> selbst sich zu entschuldigen wegen der Angriffsweise dieses Mitarbeiters! Daß<lb/> Treitschke nicht gerade an Herrn Worthmcinn dachte, als er schrieb: „daß in den<lb/> Kreisen hoher Bildung die Sprache sittlichen Ernstes noch verstanden werde,"<lb/> muß ja freilich zugegeben werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_622"> Unsern Lesern aber können wir unmöglich zumuthen, uns noch weiter zu<lb/> folgen bei dem Nachweise, daß kaum ein Wort Treitschke's von Worthmaun<lb/> richtig citirt, Alles mißverstanden und zu ungerechten Vorwürfen, zu unrich¬<lb/> tigen Schlußfolgerungen benutzt ist. Sehr lohnend — lohnend für uns, nicht<lb/> für Herrn Worthmann — dagegen ist es, Herrn Worthmann zu folgen, wo<lb/> dieser einmal zu mehr als stumpfer Polemik, zu vermeintlich selbstständigen<lb/> Ausführungen den Anlauf nimmt. Dies geschieht zunächst im zweiten Theile<lb/> der vorliegenden Schrift, wo Herr Worthmann seinen Ingrimm darüber zu<lb/> erkennen giebt, daß Treitschke den communistischen Anschlag Umpfenbach's, der<lb/> Staat solle bei jeder Erbschaft ein Notherbrecht besitzen, um aus diesem Staats¬<lb/> pflichttheil einen Unterrichtsfonds zu bilden, gebührend abgestraft hat. Herr<lb/> Worthmann ist für diesen hübschen Anfang der allgemeinen Theilung sehr ein¬<lb/> genommen und führt mit großem Pomp drei Autoritäten dafür ins Feld.</p><lb/> <p xml:id="ID_623" next="#ID_624"> Die erste dieser Autoritäten ist der verstorbene Berner Professor Walther<lb/> Münz in g er. Dieser Gelehrte, dessen Ruf als Rechtslehrer unbestreitbar ist,<lb/> soll sich in einer 1874 erschienenen Schrift „ziemlich genan Umpfenbach's<lb/> Idee" angeschlossen haben. Wir nehmen an, daß Herr Worthmann diese<lb/> Quelle ausnahmsweise richtig citirt — was ihm bei Treitschke fast durchgängig<lb/> mißglückt. Wenn das aber der Fall ist, so ist die Idee Munzinger's himmel¬<lb/> weit verschieden von der Umpfenbach's. Der deutsche Gelehrte will dem Staat<lb/> ein Notherbrecht bei allen Erbschaften einräumen, der Schweizer nicht dem<lb/> Staat, sondern einer xis. omisa, einem „Stiftungs- oder Erziehungsfond" —<lb/> der vermuthlich vertreten sein soll durch die Gemeinde. Dieser Gedanke ist<lb/> uns Deutschen ganz unfaßbar. Aber in der Schweiz, wo die Gemeinde uuter<lb/> allerlei überlebten Rechtstiteln bis vor wenig Jahren jedem Vorwärtskommen<lb/> des Einzelnen die lästigsten Erschwerungen in den Weg warf — in Zürich<lb/> z- B, werden noch heute die reichsten Leute durch die geniale progressive Ein¬<lb/> kommensteuer geradezu zur Auswanderung genöthigt — erscheint ein solcher<lb/> Vorschlag vom praktischen Standpunkt aus, bei den unnatürlichen gegebe¬<lb/> nen Verhältnissen — Mimzinger's Buch ist 1874 erschienen — immerhin</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0199]
oualifizirbaren Verdächtigung Treitschke's: „Treitschke selbst versagt sich jene
Erholung nicht, von welcher er glaubt, der Lehrer könne sie entbehren." Einer
solchen Entstelluugskuust gegenüber ist jede Diskussion nutzlos und es erscheint
nur zu erklärlich, daß der Redakteur der Zeitschrift, in welcher zuerst das
Worthmann'sche Pamphlet abgedruckt wurde, sich gedrungen fühlte, bei Treitschke
selbst sich zu entschuldigen wegen der Angriffsweise dieses Mitarbeiters! Daß
Treitschke nicht gerade an Herrn Worthmcinn dachte, als er schrieb: „daß in den
Kreisen hoher Bildung die Sprache sittlichen Ernstes noch verstanden werde,"
muß ja freilich zugegeben werden.
Unsern Lesern aber können wir unmöglich zumuthen, uns noch weiter zu
folgen bei dem Nachweise, daß kaum ein Wort Treitschke's von Worthmaun
richtig citirt, Alles mißverstanden und zu ungerechten Vorwürfen, zu unrich¬
tigen Schlußfolgerungen benutzt ist. Sehr lohnend — lohnend für uns, nicht
für Herrn Worthmann — dagegen ist es, Herrn Worthmann zu folgen, wo
dieser einmal zu mehr als stumpfer Polemik, zu vermeintlich selbstständigen
Ausführungen den Anlauf nimmt. Dies geschieht zunächst im zweiten Theile
der vorliegenden Schrift, wo Herr Worthmann seinen Ingrimm darüber zu
erkennen giebt, daß Treitschke den communistischen Anschlag Umpfenbach's, der
Staat solle bei jeder Erbschaft ein Notherbrecht besitzen, um aus diesem Staats¬
pflichttheil einen Unterrichtsfonds zu bilden, gebührend abgestraft hat. Herr
Worthmann ist für diesen hübschen Anfang der allgemeinen Theilung sehr ein¬
genommen und führt mit großem Pomp drei Autoritäten dafür ins Feld.
Die erste dieser Autoritäten ist der verstorbene Berner Professor Walther
Münz in g er. Dieser Gelehrte, dessen Ruf als Rechtslehrer unbestreitbar ist,
soll sich in einer 1874 erschienenen Schrift „ziemlich genan Umpfenbach's
Idee" angeschlossen haben. Wir nehmen an, daß Herr Worthmann diese
Quelle ausnahmsweise richtig citirt — was ihm bei Treitschke fast durchgängig
mißglückt. Wenn das aber der Fall ist, so ist die Idee Munzinger's himmel¬
weit verschieden von der Umpfenbach's. Der deutsche Gelehrte will dem Staat
ein Notherbrecht bei allen Erbschaften einräumen, der Schweizer nicht dem
Staat, sondern einer xis. omisa, einem „Stiftungs- oder Erziehungsfond" —
der vermuthlich vertreten sein soll durch die Gemeinde. Dieser Gedanke ist
uns Deutschen ganz unfaßbar. Aber in der Schweiz, wo die Gemeinde uuter
allerlei überlebten Rechtstiteln bis vor wenig Jahren jedem Vorwärtskommen
des Einzelnen die lästigsten Erschwerungen in den Weg warf — in Zürich
z- B, werden noch heute die reichsten Leute durch die geniale progressive Ein¬
kommensteuer geradezu zur Auswanderung genöthigt — erscheint ein solcher
Vorschlag vom praktischen Standpunkt aus, bei den unnatürlichen gegebe¬
nen Verhältnissen — Mimzinger's Buch ist 1874 erschienen — immerhin
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