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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Schon als Knabe hatte er Entwürfe zu Heldengedichten gemacht. Im
14. Jahre kam er nach Klosterbergen bei Magdeburg, einem Filial des Hal¬
lischen Pietismus. Er trieb das Empfindungsleben jeuer Schule redlich mit:
doch las er daneben Xenophon, Cicero, Horaz und selbst die Franzosen.

Im 15. Jahre kam er zu einem Verwandten nach Erfurt. Dieser spielte
ihm Bayle und andre gefährliche Schriften in die Hände, und ließ ihn aus
Don Quixote Menschenkenntniß studiren. Cervantes habe nicht blos die spa¬
nische Chevalerie lächerlich machen wollen: Don Quixote und Sancho Pansa
seien die wahren Repräsentanten des Menschengeschlechts, Schwärmer oder
Tölpel. --

Im 17. Jahre lernte er im Vaterhaus eine Cousine kennen, Sophie
Gutermann, die Tochter eines angesehenen Arztes: eine schlanke hohe Gestalt,
bedeutend größer als ihr junger Vetter, auch zwei Jahre älter, im Franzö¬
sischen und Italienischen ganz zu Hause, musikalisch, sehr schön, geistreich, geneigt,
sich Verse vorlesen zu lassen, kurz anbetungswürdig. Die Verlobung mit einem
katholischen Arzte Vicmconi war eben zurückgegangen.

Eine Predigt seines Vaters über den Text: "Gott ist die Liebe", kam
ihm sehr nüchtern vor, er setzte sich hin, eine wärmere zu machen, welche die
himmlische Liebe als das größte Glück der Geister darstellte. Die Liebens¬
würdige wurde so gerührt, "daß sie einige vergnügte Thränen nicht zurück¬
halten konnte." Sie schrieb ihm über ihre Empfindungen: "ein Liebhaber, der
sie um ihrer Seele willen liebte, war das, was sie immer gewünscht hatte."

In demselben Jahr bezog Wieland die Universität Tübingen. "Daß
mein lieber Papa", schrieb er von dort, "mir zutraut, ich könne einmal auf¬
hören, meine Sophie zu lieben, ist mir sehr leid. Tausend Leben wären nicht
zuviel, sie um eine so unschätzbare Person aufzuopfern. Die ganze Welt ist
mir nichts gegen meine mehr als englische Sophie. Millionemnal lieber zu
ihren Füßen sterben, als alle Kronen der Erde ohne sie zu besitzen! Wenn
ich ihrer beraubt werden sollte, so schwöre ich auf das Heiligste, daß ich mein
Unglück partout, nicht überleben will."

Seinem Schutzgeist bekennt er seine Liebe: "lispl' ihr zu, daß ich sie liebe!
O könntest dn auch das der Göttlichen zeugen, daß ich, so sehr als ich liebe,
geliebt zu werden verdiene!"

"Im vierten Gesang des Messias", -schreibt er an Sophie, "ist eine
unendlich schöne Beschreibung einer Liebe wie die unsrige. Ich weiche un¬
streitig dem Herrn Klop stock an vortrefflichen Eigenschaften, und seine Ge¬
liebte weicht Ihnen. Um sie, die Geliebte des Herrn Klopstock, vollkommener
zu machen, gab ihr die Vorsehung einen Liebhaber, der sie übertrifft, und um
mich glückselig zu machen, erlaubt mir der Himmel, meine Sophie zu lieben,


Schon als Knabe hatte er Entwürfe zu Heldengedichten gemacht. Im
14. Jahre kam er nach Klosterbergen bei Magdeburg, einem Filial des Hal¬
lischen Pietismus. Er trieb das Empfindungsleben jeuer Schule redlich mit:
doch las er daneben Xenophon, Cicero, Horaz und selbst die Franzosen.

Im 15. Jahre kam er zu einem Verwandten nach Erfurt. Dieser spielte
ihm Bayle und andre gefährliche Schriften in die Hände, und ließ ihn aus
Don Quixote Menschenkenntniß studiren. Cervantes habe nicht blos die spa¬
nische Chevalerie lächerlich machen wollen: Don Quixote und Sancho Pansa
seien die wahren Repräsentanten des Menschengeschlechts, Schwärmer oder
Tölpel. —

Im 17. Jahre lernte er im Vaterhaus eine Cousine kennen, Sophie
Gutermann, die Tochter eines angesehenen Arztes: eine schlanke hohe Gestalt,
bedeutend größer als ihr junger Vetter, auch zwei Jahre älter, im Franzö¬
sischen und Italienischen ganz zu Hause, musikalisch, sehr schön, geistreich, geneigt,
sich Verse vorlesen zu lassen, kurz anbetungswürdig. Die Verlobung mit einem
katholischen Arzte Vicmconi war eben zurückgegangen.

Eine Predigt seines Vaters über den Text: „Gott ist die Liebe", kam
ihm sehr nüchtern vor, er setzte sich hin, eine wärmere zu machen, welche die
himmlische Liebe als das größte Glück der Geister darstellte. Die Liebens¬
würdige wurde so gerührt, „daß sie einige vergnügte Thränen nicht zurück¬
halten konnte." Sie schrieb ihm über ihre Empfindungen: „ein Liebhaber, der
sie um ihrer Seele willen liebte, war das, was sie immer gewünscht hatte."

In demselben Jahr bezog Wieland die Universität Tübingen. „Daß
mein lieber Papa", schrieb er von dort, „mir zutraut, ich könne einmal auf¬
hören, meine Sophie zu lieben, ist mir sehr leid. Tausend Leben wären nicht
zuviel, sie um eine so unschätzbare Person aufzuopfern. Die ganze Welt ist
mir nichts gegen meine mehr als englische Sophie. Millionemnal lieber zu
ihren Füßen sterben, als alle Kronen der Erde ohne sie zu besitzen! Wenn
ich ihrer beraubt werden sollte, so schwöre ich auf das Heiligste, daß ich mein
Unglück partout, nicht überleben will."

Seinem Schutzgeist bekennt er seine Liebe: „lispl' ihr zu, daß ich sie liebe!
O könntest dn auch das der Göttlichen zeugen, daß ich, so sehr als ich liebe,
geliebt zu werden verdiene!"

„Im vierten Gesang des Messias", -schreibt er an Sophie, „ist eine
unendlich schöne Beschreibung einer Liebe wie die unsrige. Ich weiche un¬
streitig dem Herrn Klop stock an vortrefflichen Eigenschaften, und seine Ge¬
liebte weicht Ihnen. Um sie, die Geliebte des Herrn Klopstock, vollkommener
zu machen, gab ihr die Vorsehung einen Liebhaber, der sie übertrifft, und um
mich glückselig zu machen, erlaubt mir der Himmel, meine Sophie zu lieben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/19>, abgerufen am 01.09.2024.