Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bestätigte Polyphonie der Schriftcharaktere. Es ergab sich nämlich, daß für
den gleichen konsonantischen Laut sechs Zeichen (Homvphone) gesetzt wurden,
z. B. X? 55 x 2; diese wechselten aber nicht etwa beliebig zur Bezeichnung
jenes Lautwerthes, sondern X stand, wenn auf denselben a, ?, wenn i, 55,
wenn u folgte, x, wenn a, ^, wenn i, 2, wenn n vorausging; die sechs Zei¬
chen begriffen also neben dem konstanten Konsonanten noch einen Vokal
(ra, ri, rü, s.r, ir, in), waren also syllabarisch. -- Sir Henry Rawlinson fand
dann mit Hilfe des reichen von ihm kopirten Materials die Theorie der Poly¬
phonie, nach welcher beinahe jedes Zeichen mehrere Lautwerthe hat -- eine
in der assyrisch - babylonischen Schrift durchaus nicht vereinzelte, sondern allge¬
meine Erscheinung.*) Nun unterscheiden die Assyriologen eine zweifache Er¬
scheinungsart dieses sprachlichen Phänomens, und zwar in den sogenannten
Monogrammen und Ideogrammen. Es haben nämlich die assyrischen Charaktere
neben ihrem Lautwerthe auch eiuen Begriffswerth, der sich sogar über das
Gebiet der sinnlichen Gegenstände vermittelst der Metapher und des Symbols
an die Darstellung von Handlungen und Gedanken wagt, beibehalten, und die
Schrift vermag nnr durch ein Zeichen graphisch darzustellen, wofür die Sprache
eine ganze Anzahl von Wurzeln und Wörtern ausgebildet hat. Wie aber die
Grenze zwischen Ideogramm und Monogramm lange eine fließende gewesen
ist, so ist auch jetzt noch nicht eine vollständige Scheidung zwischen beiden Ge¬
bieten eingetreten und namentlich in diesen Beziehungen unterliegt die Entziffe¬
rung noch mancher schwer zu beseitigenden Schwierigkeit. Endlich lag ein
Haupthindernis rascher Lesung in der ungeheuern Anzahl der Zeichen; man
zählt ihrer rund 400,**) deren verstandesmäßige Bemeisterung ein ungeheures
Gedächtnis erfordert. Man ist inzwischen, nachdem anch die Ungewißheit über
das Idiom der dritten oben erwähnten Schriftreihe gehoben ist, und man neben
der ersten altpersischen und zweiten elymäischen Reihe in der dritten einen rein
semitischen Dialekt nach Schraders gründlichen Forschungen entdeckt hat,***)
vieler Schwierigkeiten Herr geworden, und G. Smith las, wie mir Prof. Max
Müller mittheilte, diese Keilschriften mit so genialen Scharfblicke und solcher
selbst den Kenner in Staunen setzender Sicherheit wie kaum einer feiner assy-





') Der Name Ahamanis ist das mit Vorliebe citirte Beispiel für die Zeichenpolyphonie.
"Derselbe kann ^-ut-nun-ni-is und ^.-lig,-eng,-An-"is geschrieben werden, und im ersten Falle
wird das gleiche Zeichen für in^n gebraucht, welches im zweiten für ni" erscheint: also on"
einige es die beiden Silbcnwerthe insui und mis. Daß dem wirklich so ist, wird dnrch eine
dritte Orthographie bestätigt, wo in der That ^-ba-man-mis zwei völlig identische Schlu߬
charaktere aufweist." e,k. Welthaufen, Rhein. Museum 31. Bd. 1876 xg,x. 167, dem über¬
haupt die obige Darstellung der Entzifferuugsvcrsnche folgt.
"
) Schröder, a. a. O., Mg. 101.
Ebendas.

bestätigte Polyphonie der Schriftcharaktere. Es ergab sich nämlich, daß für
den gleichen konsonantischen Laut sechs Zeichen (Homvphone) gesetzt wurden,
z. B. X? 55 x 2; diese wechselten aber nicht etwa beliebig zur Bezeichnung
jenes Lautwerthes, sondern X stand, wenn auf denselben a, ?, wenn i, 55,
wenn u folgte, x, wenn a, ^, wenn i, 2, wenn n vorausging; die sechs Zei¬
chen begriffen also neben dem konstanten Konsonanten noch einen Vokal
(ra, ri, rü, s.r, ir, in), waren also syllabarisch. — Sir Henry Rawlinson fand
dann mit Hilfe des reichen von ihm kopirten Materials die Theorie der Poly¬
phonie, nach welcher beinahe jedes Zeichen mehrere Lautwerthe hat — eine
in der assyrisch - babylonischen Schrift durchaus nicht vereinzelte, sondern allge¬
meine Erscheinung.*) Nun unterscheiden die Assyriologen eine zweifache Er¬
scheinungsart dieses sprachlichen Phänomens, und zwar in den sogenannten
Monogrammen und Ideogrammen. Es haben nämlich die assyrischen Charaktere
neben ihrem Lautwerthe auch eiuen Begriffswerth, der sich sogar über das
Gebiet der sinnlichen Gegenstände vermittelst der Metapher und des Symbols
an die Darstellung von Handlungen und Gedanken wagt, beibehalten, und die
Schrift vermag nnr durch ein Zeichen graphisch darzustellen, wofür die Sprache
eine ganze Anzahl von Wurzeln und Wörtern ausgebildet hat. Wie aber die
Grenze zwischen Ideogramm und Monogramm lange eine fließende gewesen
ist, so ist auch jetzt noch nicht eine vollständige Scheidung zwischen beiden Ge¬
bieten eingetreten und namentlich in diesen Beziehungen unterliegt die Entziffe¬
rung noch mancher schwer zu beseitigenden Schwierigkeit. Endlich lag ein
Haupthindernis rascher Lesung in der ungeheuern Anzahl der Zeichen; man
zählt ihrer rund 400,**) deren verstandesmäßige Bemeisterung ein ungeheures
Gedächtnis erfordert. Man ist inzwischen, nachdem anch die Ungewißheit über
das Idiom der dritten oben erwähnten Schriftreihe gehoben ist, und man neben
der ersten altpersischen und zweiten elymäischen Reihe in der dritten einen rein
semitischen Dialekt nach Schraders gründlichen Forschungen entdeckt hat,***)
vieler Schwierigkeiten Herr geworden, und G. Smith las, wie mir Prof. Max
Müller mittheilte, diese Keilschriften mit so genialen Scharfblicke und solcher
selbst den Kenner in Staunen setzender Sicherheit wie kaum einer feiner assy-





') Der Name Ahamanis ist das mit Vorliebe citirte Beispiel für die Zeichenpolyphonie.
„Derselbe kann ^-ut-nun-ni-is und ^.-lig,-eng,-An-»is geschrieben werden, und im ersten Falle
wird das gleiche Zeichen für in^n gebraucht, welches im zweiten für ni« erscheint: also on»
einige es die beiden Silbcnwerthe insui und mis. Daß dem wirklich so ist, wird dnrch eine
dritte Orthographie bestätigt, wo in der That ^-ba-man-mis zwei völlig identische Schlu߬
charaktere aufweist." e,k. Welthaufen, Rhein. Museum 31. Bd. 1876 xg,x. 167, dem über¬
haupt die obige Darstellung der Entzifferuugsvcrsnche folgt.
"
) Schröder, a. a. O., Mg. 101.
Ebendas.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139837"/>
          <p xml:id="ID_30" prev="#ID_29" next="#ID_31"> bestätigte Polyphonie der Schriftcharaktere. Es ergab sich nämlich, daß für<lb/>
den gleichen konsonantischen Laut sechs Zeichen (Homvphone) gesetzt wurden,<lb/>
z. B. X? 55 x 2; diese wechselten aber nicht etwa beliebig zur Bezeichnung<lb/>
jenes Lautwerthes, sondern X stand, wenn auf denselben a, ?, wenn i, 55,<lb/>
wenn u folgte, x, wenn a, ^, wenn i, 2, wenn n vorausging; die sechs Zei¬<lb/>
chen begriffen also neben dem konstanten Konsonanten noch einen Vokal<lb/>
(ra, ri, rü, s.r, ir, in), waren also syllabarisch. &#x2014; Sir Henry Rawlinson fand<lb/>
dann mit Hilfe des reichen von ihm kopirten Materials die Theorie der Poly¬<lb/>
phonie, nach welcher beinahe jedes Zeichen mehrere Lautwerthe hat &#x2014; eine<lb/>
in der assyrisch - babylonischen Schrift durchaus nicht vereinzelte, sondern allge¬<lb/>
meine Erscheinung.*) Nun unterscheiden die Assyriologen eine zweifache Er¬<lb/>
scheinungsart dieses sprachlichen Phänomens, und zwar in den sogenannten<lb/>
Monogrammen und Ideogrammen. Es haben nämlich die assyrischen Charaktere<lb/>
neben ihrem Lautwerthe auch eiuen Begriffswerth, der sich sogar über das<lb/>
Gebiet der sinnlichen Gegenstände vermittelst der Metapher und des Symbols<lb/>
an die Darstellung von Handlungen und Gedanken wagt, beibehalten, und die<lb/>
Schrift vermag nnr durch ein Zeichen graphisch darzustellen, wofür die Sprache<lb/>
eine ganze Anzahl von Wurzeln und Wörtern ausgebildet hat. Wie aber die<lb/>
Grenze zwischen Ideogramm und Monogramm lange eine fließende gewesen<lb/>
ist, so ist auch jetzt noch nicht eine vollständige Scheidung zwischen beiden Ge¬<lb/>
bieten eingetreten und namentlich in diesen Beziehungen unterliegt die Entziffe¬<lb/>
rung noch mancher schwer zu beseitigenden Schwierigkeit. Endlich lag ein<lb/>
Haupthindernis rascher Lesung in der ungeheuern Anzahl der Zeichen; man<lb/>
zählt ihrer rund 400,**) deren verstandesmäßige Bemeisterung ein ungeheures<lb/>
Gedächtnis erfordert. Man ist inzwischen, nachdem anch die Ungewißheit über<lb/>
das Idiom der dritten oben erwähnten Schriftreihe gehoben ist, und man neben<lb/>
der ersten altpersischen und zweiten elymäischen Reihe in der dritten einen rein<lb/>
semitischen Dialekt nach Schraders gründlichen Forschungen entdeckt hat,***)<lb/>
vieler Schwierigkeiten Herr geworden, und G. Smith las, wie mir Prof. Max<lb/>
Müller mittheilte, diese Keilschriften mit so genialen Scharfblicke und solcher<lb/>
selbst den Kenner in Staunen setzender Sicherheit wie kaum einer feiner assy-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_23" place="foot"> ') Der Name Ahamanis ist das mit Vorliebe citirte Beispiel für die Zeichenpolyphonie.<lb/>
&#x201E;Derselbe kann ^-ut-nun-ni-is und ^.-lig,-eng,-An-»is geschrieben werden, und im ersten Falle<lb/>
wird das gleiche Zeichen für in^n gebraucht, welches im zweiten für ni« erscheint: also on»<lb/>
einige es die beiden Silbcnwerthe insui und mis. Daß dem wirklich so ist, wird dnrch eine<lb/>
dritte Orthographie bestätigt, wo in der That ^-ba-man-mis zwei völlig identische Schlu߬<lb/>
charaktere aufweist." e,k. Welthaufen, Rhein. Museum 31. Bd. 1876 xg,x. 167, dem über¬<lb/>
haupt die obige Darstellung der Entzifferuugsvcrsnche folgt.<lb/>
"</note><lb/>
          <note xml:id="FID_24" place="foot"> ) Schröder, a. a. O., Mg. 101.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_25" place="foot"> Ebendas.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] bestätigte Polyphonie der Schriftcharaktere. Es ergab sich nämlich, daß für den gleichen konsonantischen Laut sechs Zeichen (Homvphone) gesetzt wurden, z. B. X? 55 x 2; diese wechselten aber nicht etwa beliebig zur Bezeichnung jenes Lautwerthes, sondern X stand, wenn auf denselben a, ?, wenn i, 55, wenn u folgte, x, wenn a, ^, wenn i, 2, wenn n vorausging; die sechs Zei¬ chen begriffen also neben dem konstanten Konsonanten noch einen Vokal (ra, ri, rü, s.r, ir, in), waren also syllabarisch. — Sir Henry Rawlinson fand dann mit Hilfe des reichen von ihm kopirten Materials die Theorie der Poly¬ phonie, nach welcher beinahe jedes Zeichen mehrere Lautwerthe hat — eine in der assyrisch - babylonischen Schrift durchaus nicht vereinzelte, sondern allge¬ meine Erscheinung.*) Nun unterscheiden die Assyriologen eine zweifache Er¬ scheinungsart dieses sprachlichen Phänomens, und zwar in den sogenannten Monogrammen und Ideogrammen. Es haben nämlich die assyrischen Charaktere neben ihrem Lautwerthe auch eiuen Begriffswerth, der sich sogar über das Gebiet der sinnlichen Gegenstände vermittelst der Metapher und des Symbols an die Darstellung von Handlungen und Gedanken wagt, beibehalten, und die Schrift vermag nnr durch ein Zeichen graphisch darzustellen, wofür die Sprache eine ganze Anzahl von Wurzeln und Wörtern ausgebildet hat. Wie aber die Grenze zwischen Ideogramm und Monogramm lange eine fließende gewesen ist, so ist auch jetzt noch nicht eine vollständige Scheidung zwischen beiden Ge¬ bieten eingetreten und namentlich in diesen Beziehungen unterliegt die Entziffe¬ rung noch mancher schwer zu beseitigenden Schwierigkeit. Endlich lag ein Haupthindernis rascher Lesung in der ungeheuern Anzahl der Zeichen; man zählt ihrer rund 400,**) deren verstandesmäßige Bemeisterung ein ungeheures Gedächtnis erfordert. Man ist inzwischen, nachdem anch die Ungewißheit über das Idiom der dritten oben erwähnten Schriftreihe gehoben ist, und man neben der ersten altpersischen und zweiten elymäischen Reihe in der dritten einen rein semitischen Dialekt nach Schraders gründlichen Forschungen entdeckt hat,***) vieler Schwierigkeiten Herr geworden, und G. Smith las, wie mir Prof. Max Müller mittheilte, diese Keilschriften mit so genialen Scharfblicke und solcher selbst den Kenner in Staunen setzender Sicherheit wie kaum einer feiner assy- ') Der Name Ahamanis ist das mit Vorliebe citirte Beispiel für die Zeichenpolyphonie. „Derselbe kann ^-ut-nun-ni-is und ^.-lig,-eng,-An-»is geschrieben werden, und im ersten Falle wird das gleiche Zeichen für in^n gebraucht, welches im zweiten für ni« erscheint: also on» einige es die beiden Silbcnwerthe insui und mis. Daß dem wirklich so ist, wird dnrch eine dritte Orthographie bestätigt, wo in der That ^-ba-man-mis zwei völlig identische Schlu߬ charaktere aufweist." e,k. Welthaufen, Rhein. Museum 31. Bd. 1876 xg,x. 167, dem über¬ haupt die obige Darstellung der Entzifferuugsvcrsnche folgt. " ) Schröder, a. a. O., Mg. 101. Ebendas.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/16>, abgerufen am 01.09.2024.