Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.Haus in mehreren Anträgen, welche die Herbeiführung einer Novelle zu Wenn sich die Sozialdemokraten früher beschwert haben, im Reichstage Haus in mehreren Anträgen, welche die Herbeiführung einer Novelle zu Wenn sich die Sozialdemokraten früher beschwert haben, im Reichstage <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139977"/> <p xml:id="ID_510" prev="#ID_509"> Haus in mehreren Anträgen, welche die Herbeiführung einer Novelle zu<lb/> dem sogenannten Haftpflichtgesetz von 1871 bezweckten. Dies Gesetz, welches<lb/> die Verpflichtung zum Schadenersatz bei durch den Betrieb von gewerblichen<lb/> Unternehmungen verursachten Körperverletzungen und Tödtungen ausspricht,<lb/> beschränkt sich bekanntlich auf die Unternehmer von Eisenbahnen, Bergwerken,<lb/> Gruben und Fabriken. Schon im Jahre 1871 bei der Berathung des Gesetzes<lb/> war man sich klar darüber, daß damit eine ganz willkürliche Abgrenzung ge¬<lb/> schaffen werde, welche auf die Dauer nicht aufrecht zu erhalten sei; nur weil<lb/> man damals die Schwierigkeiten einer weiteren Fassung nicht zu überwinden<lb/> vermochte, begnügte man sich mit diesem beschränkten Wirkungskreise des Ge¬<lb/> setzes. Inzwischen hat sich die Nothwendigkeit einer Regelung der Schaden¬<lb/> ersatzpflicht namentlich in Bezug auf die Baugewerbe und den landwirtschaft¬<lb/> lichen Maschinenbetrieb unabweislich herausgestellt. Außerdem hat sich aber<lb/> auch die Regelung der Beweislast, wie sie in dem bestehenden Gesetze enthalten<lb/> ist, vielfach als nicht zweckentsprechend erwiesen. Das Gesetz legt diese Last<lb/> nur bei Eisenbahnen dem Unternehmer auf, sonst aber dem Schadenersatzbe¬<lb/> rechtigten. Dadurch ist in vielen Fällen die Ersatzpflicht thatsächlich illusorisch<lb/> gemacht. Bei großen Bergwerksunglücken z. B. wird den Hinterbliebenen der<lb/> Getödteten nur in den seltensten Fällen der juristisch vollgültige Beweis der<lb/> Schuld des Unternehmers möglich sein. Sowohl in der einen wie in der anderen Rich¬<lb/> tung ist eine Ergänzung des bestehenden Gesetzes nothwendig. Der Reichstag<lb/> wird demgemäß voraussichtlich eine von den Abg. Laster und von Stauffenberg<lb/> beantragte Resolution annehmen, durch welche die Regierung zur Vorlegung<lb/> eines Gesetzentwurfs aufgefordert wird, der die Ausdehnung der Haftpflicht<lb/> auf andere mit Gefahr für Leben und Gesundheit verbundene Gewerbebetriebe<lb/> anordnet und die Beweislast mit Rücksicht aus die eigenthümliche Natur der<lb/> einzelnen Gewerbebetriebe regelt. Die Beweislast ganz generell den Unter¬<lb/> nehmern aufzuerlegen, wie die Sozialdemokraten wollen, wird sich nicht recht¬<lb/> fertigen lassen. Man wird eben, wenn man nach allen Seiten hin die mög¬<lb/> lichste Billigkeit walten lassen will, den hier vorgeschlagenen Weg der Indivi-<lb/> dualisirung betreten müssen. Ueber die Schwierigkeiten, welche der Abfassung<lb/> einer dem entsprechenden Gesetzesvorlage entgegenstehen, kann freilich kein<lb/> Zweifel sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_511" next="#ID_512"> Wenn sich die Sozialdemokraten früher beschwert haben, im Reichstage<lb/> mundtodt gemacht zu sein, so können sie für die gleiche Klage heutzutage sicher¬<lb/> lich auch nicht mehr den Schatten eines Grundes anführen. Nicht allein, daß<lb/> sie das Haus mit selbständigen Anträgen geradezu überschwemmen, diese An¬<lb/> träge werden auch diskutirt, und einer derselben, ein Vorschlag betreffs mehrerer<lb/> Abänderungen im Verfahren bei den Reichstagswahlen, hatte in dieser Woche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
Haus in mehreren Anträgen, welche die Herbeiführung einer Novelle zu
dem sogenannten Haftpflichtgesetz von 1871 bezweckten. Dies Gesetz, welches
die Verpflichtung zum Schadenersatz bei durch den Betrieb von gewerblichen
Unternehmungen verursachten Körperverletzungen und Tödtungen ausspricht,
beschränkt sich bekanntlich auf die Unternehmer von Eisenbahnen, Bergwerken,
Gruben und Fabriken. Schon im Jahre 1871 bei der Berathung des Gesetzes
war man sich klar darüber, daß damit eine ganz willkürliche Abgrenzung ge¬
schaffen werde, welche auf die Dauer nicht aufrecht zu erhalten sei; nur weil
man damals die Schwierigkeiten einer weiteren Fassung nicht zu überwinden
vermochte, begnügte man sich mit diesem beschränkten Wirkungskreise des Ge¬
setzes. Inzwischen hat sich die Nothwendigkeit einer Regelung der Schaden¬
ersatzpflicht namentlich in Bezug auf die Baugewerbe und den landwirtschaft¬
lichen Maschinenbetrieb unabweislich herausgestellt. Außerdem hat sich aber
auch die Regelung der Beweislast, wie sie in dem bestehenden Gesetze enthalten
ist, vielfach als nicht zweckentsprechend erwiesen. Das Gesetz legt diese Last
nur bei Eisenbahnen dem Unternehmer auf, sonst aber dem Schadenersatzbe¬
rechtigten. Dadurch ist in vielen Fällen die Ersatzpflicht thatsächlich illusorisch
gemacht. Bei großen Bergwerksunglücken z. B. wird den Hinterbliebenen der
Getödteten nur in den seltensten Fällen der juristisch vollgültige Beweis der
Schuld des Unternehmers möglich sein. Sowohl in der einen wie in der anderen Rich¬
tung ist eine Ergänzung des bestehenden Gesetzes nothwendig. Der Reichstag
wird demgemäß voraussichtlich eine von den Abg. Laster und von Stauffenberg
beantragte Resolution annehmen, durch welche die Regierung zur Vorlegung
eines Gesetzentwurfs aufgefordert wird, der die Ausdehnung der Haftpflicht
auf andere mit Gefahr für Leben und Gesundheit verbundene Gewerbebetriebe
anordnet und die Beweislast mit Rücksicht aus die eigenthümliche Natur der
einzelnen Gewerbebetriebe regelt. Die Beweislast ganz generell den Unter¬
nehmern aufzuerlegen, wie die Sozialdemokraten wollen, wird sich nicht recht¬
fertigen lassen. Man wird eben, wenn man nach allen Seiten hin die mög¬
lichste Billigkeit walten lassen will, den hier vorgeschlagenen Weg der Indivi-
dualisirung betreten müssen. Ueber die Schwierigkeiten, welche der Abfassung
einer dem entsprechenden Gesetzesvorlage entgegenstehen, kann freilich kein
Zweifel sein.
Wenn sich die Sozialdemokraten früher beschwert haben, im Reichstage
mundtodt gemacht zu sein, so können sie für die gleiche Klage heutzutage sicher¬
lich auch nicht mehr den Schatten eines Grundes anführen. Nicht allein, daß
sie das Haus mit selbständigen Anträgen geradezu überschwemmen, diese An¬
träge werden auch diskutirt, und einer derselben, ein Vorschlag betreffs mehrerer
Abänderungen im Verfahren bei den Reichstagswahlen, hatte in dieser Woche
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