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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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in das Innere des Thurmes auf den Leichnam niederstießen und schon nach
fünf Minuten sah man die gefütterten Vögel sich wieder auf ihre alten Plätze
niederlassen um in stumpfer Ruhe zu verdauen. Im Innern des Thurmes
hatten sie nur ein Skelett übrig gelassen.

Die Träger betraten nun ein kleines Nebelthaus, wo sie sich wuschen und
die Kleider wechselten. Die alten Kleider bleiben zurück und nach jeder Be¬
stattung haben sie sich völlig neu zu kleiden. Nach vierzehn Tagen oder
spätestens nach vier Wochen kehren dieselben Leichenträger zurück; sie haben
Handschuhe an und tragen zangenartige Instrumente, mit welcher sie das nnn
trockne Skelett in den Mittelschacht des Thurmes werfen. Hier findet der
Parsi seine letzte Ruhestätte und dort sind die Knochen vieler Generationen
untereinander gemischt.

"Der schreckliche Anblick der mit Menschenfleisch vollgestopften Geier,
schreibt Williams, veranlaßte mich, mich mit Abschen von dem Thurme weg¬
zuwenden." Er fragte nun den Sekretär, wie es denn möglich sei, sich mit
solch einem Gebrauch auszusöhnen und erhielt zur Antwort: "Unser Prophet
Zoroaster, der vor 6000 Jahren lebte, lehrte uns die Elemente als Symbole
der Gottheit zu betrachten. Erde, Feuer, Wasser, sagte er, dürfen unter keiner¬
lei Umständen mit faulendem Fleische verunreinigt werden. Nackt kommen
wir auf die Welt und nackt müssen wir sie wieder verlassen. Aber die zer-
fauleuden Theile unsres Körpers müssen so schnell wie möglich entfernt werden,
damit die Mutter Erde oder die Wesen, welche sie trägt, dadurch nicht im ge¬
ringsten berührt werden. Unser Prophet war der größte Gesundheitsbeamte
und seinen Sanitätsgesetzen folgend, bauten wir unsre Thürme auf der Spitze
der Hügel über allen menschlichen Wohnungen. Wir scheuen keine Kosten, um
sie aus dem festesten Gestein zu erbauen und setzen die Leichen in Steinsärgen aus,
nicht, damit sie von Geiern verschlungen werden, sondern, daß sie sich, ohne
die Erde zu verunreinigen, verflüchtigen sollen. Gott sendet nun die Geier und
diese Vögel beendigen das Zerstörungswerk viel gründlicher und schneller als
die Würmer in der Erde. Selbst das Regenwasser, welches auf unsere Skelette
herabrieselt und sie auslangt, kann nichts von den Leichnamen zur Erde ent¬
führen, dafür sind die Holzkohlen da, die am Ende der Abzugskanäle ange¬
bracht sind. In diesen fünf Thürmen ruhen die Gebeine aller Parsts, die in
den letzten zweihundert Jahren in Bombay lebten. Wir sind im Tode ein
einiger Körper, wie wir es im Leben sind und auch unser Oberhaupt, Sir
Dschamsitschi, wird gleich dem niedrigsten unter uns hier seine letzte Ruhe finden.


A. Rauhhaupt.


in das Innere des Thurmes auf den Leichnam niederstießen und schon nach
fünf Minuten sah man die gefütterten Vögel sich wieder auf ihre alten Plätze
niederlassen um in stumpfer Ruhe zu verdauen. Im Innern des Thurmes
hatten sie nur ein Skelett übrig gelassen.

Die Träger betraten nun ein kleines Nebelthaus, wo sie sich wuschen und
die Kleider wechselten. Die alten Kleider bleiben zurück und nach jeder Be¬
stattung haben sie sich völlig neu zu kleiden. Nach vierzehn Tagen oder
spätestens nach vier Wochen kehren dieselben Leichenträger zurück; sie haben
Handschuhe an und tragen zangenartige Instrumente, mit welcher sie das nnn
trockne Skelett in den Mittelschacht des Thurmes werfen. Hier findet der
Parsi seine letzte Ruhestätte und dort sind die Knochen vieler Generationen
untereinander gemischt.

„Der schreckliche Anblick der mit Menschenfleisch vollgestopften Geier,
schreibt Williams, veranlaßte mich, mich mit Abschen von dem Thurme weg¬
zuwenden." Er fragte nun den Sekretär, wie es denn möglich sei, sich mit
solch einem Gebrauch auszusöhnen und erhielt zur Antwort: „Unser Prophet
Zoroaster, der vor 6000 Jahren lebte, lehrte uns die Elemente als Symbole
der Gottheit zu betrachten. Erde, Feuer, Wasser, sagte er, dürfen unter keiner¬
lei Umständen mit faulendem Fleische verunreinigt werden. Nackt kommen
wir auf die Welt und nackt müssen wir sie wieder verlassen. Aber die zer-
fauleuden Theile unsres Körpers müssen so schnell wie möglich entfernt werden,
damit die Mutter Erde oder die Wesen, welche sie trägt, dadurch nicht im ge¬
ringsten berührt werden. Unser Prophet war der größte Gesundheitsbeamte
und seinen Sanitätsgesetzen folgend, bauten wir unsre Thürme auf der Spitze
der Hügel über allen menschlichen Wohnungen. Wir scheuen keine Kosten, um
sie aus dem festesten Gestein zu erbauen und setzen die Leichen in Steinsärgen aus,
nicht, damit sie von Geiern verschlungen werden, sondern, daß sie sich, ohne
die Erde zu verunreinigen, verflüchtigen sollen. Gott sendet nun die Geier und
diese Vögel beendigen das Zerstörungswerk viel gründlicher und schneller als
die Würmer in der Erde. Selbst das Regenwasser, welches auf unsere Skelette
herabrieselt und sie auslangt, kann nichts von den Leichnamen zur Erde ent¬
führen, dafür sind die Holzkohlen da, die am Ende der Abzugskanäle ange¬
bracht sind. In diesen fünf Thürmen ruhen die Gebeine aller Parsts, die in
den letzten zweihundert Jahren in Bombay lebten. Wir sind im Tode ein
einiger Körper, wie wir es im Leben sind und auch unser Oberhaupt, Sir
Dschamsitschi, wird gleich dem niedrigsten unter uns hier seine letzte Ruhe finden.


A. Rauhhaupt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/154>, abgerufen am 01.09.2024.