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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Osman Bey beginnt mit seinen Schilderungen ad ovo. Mohammeds
System der Polygamie, die Sklaverei bei allen Orientalen werden in ihren
Uranfängen besprochen; beide sind alte Sünden, die von Generation auf Gene¬
ration vererbt, den Fluch der heutigen Türkei ausmachen und ehe sie nicht be¬
seitigt sind, kann aus dem ottomanischen Reiche nichts werden. So spricht der
Türke, er begründet dies und wir brauchen auf das Prinzipielle dieser Fragen
nicht weiter einzugehen.

Unser Autor wendet sich dann den praktischen Seiten zu. Genau mit
dem häuslichen Leben der Türken, mit ihren Sitten und Gebräuchen vertraut,
giebt er uns eine vortreffliche Beschreibung des Familienlebens. Er führt uns
ein fingirtes Ehepaar Jzzed Bey und dessen Weib Zerah vor, zeigt, wie sie
sich heirathen und wie sie leben.

Als Jzzed Bey seiner Mutter gesagt hatte, er wünsche zu heirathen, es
sei nun Zeit dazu und die Verhältnisse gestatteten es ihm, brauchte er sich
nicht weiter um die Sache zu bekümmern. Seine Mutter meldete ihm dann
nach einiger Zeit, sie habe in Zerah ein mondgesichtiges, fettes junges Mädchen
gefunden, das seinen Wünschen entsprechen würde. Die Schöne, die wir als
Katze im Sacke bezeichnen würden, entflammt nun die Begierden Jzzeds; er
verliebt sich nun -- so versichert wenigstens Osman Bey -- in das nie ge¬
sehene Mädchen, das ihm überhaupt erst vor Augen kommt, wenn er in der
Brautkammer ihren Schleier lüftet. Jzzed Bey ist nun verliebt; er verehrt
den kleinen Finger Zercchs, den sie durch die Latten des Haremfensters heraus¬
streckt und betet ihre Augen an, die unter dem Schleier, der ihr Gesicht deckt,
hervorleuchten. Unterdessen ordnen die beiderseitigen Mütter alles Nothwendige
und der Bräutigam zahlt eine hübsche Summe. Endlich kommt der glückliche
Tag, der die Unbekannten vereinigen soll. Die Freunde strömen zusammen,
um die vom Kopf bis zu den Füßen verschleierte Braut zu bewundern und
die aufgehäuften Brautgeschenke anzustaunen und zu kritisiren. Das junge
Paar ist endlich allein, Jzzed lüftet den Schleier und sieht nnn, was er hat,
ob er der Besitzer einer Schönheit nach türkischen Begriffen oder eines häßlichen
Geschöpfes ist. Im ersteren Fall kann die Ehe eine lange und glückliche sein;
im letzteren braucht sie nur wenige Monate zu dauern, denn die Scheidung ist
leicht und Physische Schönheit die Hauptsache. Ohne Erziehung und Bildung
sind alle türkischen Weiber.

Was aber geschieht, wenn das Weib häßlich, zanksüchtig ist oder zwischen
beiden Theilen eine unüberwindliche Abneigung eintritt? Sind Mann und
Frau in der Türkei ewig aneinander gekettet? Keineswegs. Hier entscheidet
einzig und allein der Eheherr und wenn er spricht: "Hebe dich von mir; ich
verbanne dich aus meinem Hause," dann ist die Sache zu Ende; das arme


Osman Bey beginnt mit seinen Schilderungen ad ovo. Mohammeds
System der Polygamie, die Sklaverei bei allen Orientalen werden in ihren
Uranfängen besprochen; beide sind alte Sünden, die von Generation auf Gene¬
ration vererbt, den Fluch der heutigen Türkei ausmachen und ehe sie nicht be¬
seitigt sind, kann aus dem ottomanischen Reiche nichts werden. So spricht der
Türke, er begründet dies und wir brauchen auf das Prinzipielle dieser Fragen
nicht weiter einzugehen.

Unser Autor wendet sich dann den praktischen Seiten zu. Genau mit
dem häuslichen Leben der Türken, mit ihren Sitten und Gebräuchen vertraut,
giebt er uns eine vortreffliche Beschreibung des Familienlebens. Er führt uns
ein fingirtes Ehepaar Jzzed Bey und dessen Weib Zerah vor, zeigt, wie sie
sich heirathen und wie sie leben.

Als Jzzed Bey seiner Mutter gesagt hatte, er wünsche zu heirathen, es
sei nun Zeit dazu und die Verhältnisse gestatteten es ihm, brauchte er sich
nicht weiter um die Sache zu bekümmern. Seine Mutter meldete ihm dann
nach einiger Zeit, sie habe in Zerah ein mondgesichtiges, fettes junges Mädchen
gefunden, das seinen Wünschen entsprechen würde. Die Schöne, die wir als
Katze im Sacke bezeichnen würden, entflammt nun die Begierden Jzzeds; er
verliebt sich nun — so versichert wenigstens Osman Bey — in das nie ge¬
sehene Mädchen, das ihm überhaupt erst vor Augen kommt, wenn er in der
Brautkammer ihren Schleier lüftet. Jzzed Bey ist nun verliebt; er verehrt
den kleinen Finger Zercchs, den sie durch die Latten des Haremfensters heraus¬
streckt und betet ihre Augen an, die unter dem Schleier, der ihr Gesicht deckt,
hervorleuchten. Unterdessen ordnen die beiderseitigen Mütter alles Nothwendige
und der Bräutigam zahlt eine hübsche Summe. Endlich kommt der glückliche
Tag, der die Unbekannten vereinigen soll. Die Freunde strömen zusammen,
um die vom Kopf bis zu den Füßen verschleierte Braut zu bewundern und
die aufgehäuften Brautgeschenke anzustaunen und zu kritisiren. Das junge
Paar ist endlich allein, Jzzed lüftet den Schleier und sieht nnn, was er hat,
ob er der Besitzer einer Schönheit nach türkischen Begriffen oder eines häßlichen
Geschöpfes ist. Im ersteren Fall kann die Ehe eine lange und glückliche sein;
im letzteren braucht sie nur wenige Monate zu dauern, denn die Scheidung ist
leicht und Physische Schönheit die Hauptsache. Ohne Erziehung und Bildung
sind alle türkischen Weiber.

Was aber geschieht, wenn das Weib häßlich, zanksüchtig ist oder zwischen
beiden Theilen eine unüberwindliche Abneigung eintritt? Sind Mann und
Frau in der Türkei ewig aneinander gekettet? Keineswegs. Hier entscheidet
einzig und allein der Eheherr und wenn er spricht: „Hebe dich von mir; ich
verbanne dich aus meinem Hause," dann ist die Sache zu Ende; das arme


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[0111] Osman Bey beginnt mit seinen Schilderungen ad ovo. Mohammeds System der Polygamie, die Sklaverei bei allen Orientalen werden in ihren Uranfängen besprochen; beide sind alte Sünden, die von Generation auf Gene¬ ration vererbt, den Fluch der heutigen Türkei ausmachen und ehe sie nicht be¬ seitigt sind, kann aus dem ottomanischen Reiche nichts werden. So spricht der Türke, er begründet dies und wir brauchen auf das Prinzipielle dieser Fragen nicht weiter einzugehen. Unser Autor wendet sich dann den praktischen Seiten zu. Genau mit dem häuslichen Leben der Türken, mit ihren Sitten und Gebräuchen vertraut, giebt er uns eine vortreffliche Beschreibung des Familienlebens. Er führt uns ein fingirtes Ehepaar Jzzed Bey und dessen Weib Zerah vor, zeigt, wie sie sich heirathen und wie sie leben. Als Jzzed Bey seiner Mutter gesagt hatte, er wünsche zu heirathen, es sei nun Zeit dazu und die Verhältnisse gestatteten es ihm, brauchte er sich nicht weiter um die Sache zu bekümmern. Seine Mutter meldete ihm dann nach einiger Zeit, sie habe in Zerah ein mondgesichtiges, fettes junges Mädchen gefunden, das seinen Wünschen entsprechen würde. Die Schöne, die wir als Katze im Sacke bezeichnen würden, entflammt nun die Begierden Jzzeds; er verliebt sich nun — so versichert wenigstens Osman Bey — in das nie ge¬ sehene Mädchen, das ihm überhaupt erst vor Augen kommt, wenn er in der Brautkammer ihren Schleier lüftet. Jzzed Bey ist nun verliebt; er verehrt den kleinen Finger Zercchs, den sie durch die Latten des Haremfensters heraus¬ streckt und betet ihre Augen an, die unter dem Schleier, der ihr Gesicht deckt, hervorleuchten. Unterdessen ordnen die beiderseitigen Mütter alles Nothwendige und der Bräutigam zahlt eine hübsche Summe. Endlich kommt der glückliche Tag, der die Unbekannten vereinigen soll. Die Freunde strömen zusammen, um die vom Kopf bis zu den Füßen verschleierte Braut zu bewundern und die aufgehäuften Brautgeschenke anzustaunen und zu kritisiren. Das junge Paar ist endlich allein, Jzzed lüftet den Schleier und sieht nnn, was er hat, ob er der Besitzer einer Schönheit nach türkischen Begriffen oder eines häßlichen Geschöpfes ist. Im ersteren Fall kann die Ehe eine lange und glückliche sein; im letzteren braucht sie nur wenige Monate zu dauern, denn die Scheidung ist leicht und Physische Schönheit die Hauptsache. Ohne Erziehung und Bildung sind alle türkischen Weiber. Was aber geschieht, wenn das Weib häßlich, zanksüchtig ist oder zwischen beiden Theilen eine unüberwindliche Abneigung eintritt? Sind Mann und Frau in der Türkei ewig aneinander gekettet? Keineswegs. Hier entscheidet einzig und allein der Eheherr und wenn er spricht: „Hebe dich von mir; ich verbanne dich aus meinem Hause," dann ist die Sache zu Ende; das arme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/111>, abgerufen am 27.07.2024.