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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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tung in die Hände arbeiten, die des Idealen spottet und nur das des Schweißes
werth achtet, was klingt und glänzt, was die Sinne kitzelt und das materielle
Behagen erhöht? "Gegen den rohen Materialismus unserer Tage -- so hat
Dr. Wendt seinen Gegnern zugerufen -- haben alle Gebildeten sehr ernste
Veranlassung, zusammen zu stehen. Sonst könnte ein Schaden angerichtet wer¬
den, der sich nie wieder gut macheu ließe."

Es war erfreulich, daß auf dem Landtag die Zustände unseres gelehrten
Schulwesens in einer Weise besprochen wurden, welche sowohl auf Seiten der
Regierung als der Volksvertretung Zeugniß ablegte für die hohe Werth¬
schätzung der idealen Güter unseres Volkslebens. Die banale Art des An¬
stimmens gegen die klassische Geistesbildung konnte sich nicht breit machen.
Die Klagen und Beschwerden wurden auf ihr richtiges Maß zurückgeführt,
und die Verdienste des viel geschmähten Karlsruher Gymnasiumsdirektors
fanden, selbst auf Seite der Ultramontanen, volle Anerkennung. Als greif¬
bares Resultat der betreffenden Erörterungen trat zu Tage, daß es ge¬
boten fein dürfte, das bis dahin lediglich auf dem Wege der Verordnung
geregelte Mittelschulwesen durch die Gesetzgebung zu normiren. Dabei war,
allerseits als selbstverständlich angenommen, daß die Votirung des preußischen
Uuterrichtsgesetzes abzuwarten sei.

Bemerkenswerth sind zwei in der zweiten Kammer eingebrachte und von
der Regierung beantwortete Interpellationen. Die erste, in der Sitzung vom
10. Dezember gestellt und beantwortet, frug nach der Stellung, welche die'
großh. Regierung bezüglich der zoll- und handelspolitischen Fragen im Bundes¬
rath einnehme. Sie wurde von dem "reichstreuen" Demokraten Kopfer ge¬
stellt, welcher den Anlaß benutzte, zugleich über den gesammten wirthschaftlichen
Nothstand unserer Zeit Betrachtungen anzustellen und als fanatischer Schutz¬
zöllner die in dieser Apotheke gebrauten bekannten Heilmittel anzupreisen. Die
durch Staatsminister Turban gegebene Autwort der Regierung gab in ihrem
ersten Theil eine fein ausgedachte und wohl stilisirte wesentlich theoretische
Auseinandersetzung, deren Quintessenz ein späterer Redner dahin zusammenfaßte:
in der Theorie Freihändler, in der Praxis Schutzzöllner! Des Weiteren be¬
dauerte die Regierung, sich außer Stand zu sehen, "über schwebende Verhand¬
lungen oder über Maßregeln, welche nach dem Abbruch von Verhandlungen
-- mit Oesterreich -- im Einzelnen in Aussicht zu nehmen wären, irgend
welche Mittheilungen zu machen." "Die Führung dieser Verhandlungen --
so war schön und klar der Schluß der Antwort -- steht verfassungsmäßig den
Reichsbehörden zu, welche, wie nicht zu bezweifeln, bemüht sein werden, alles
das vorzukehren, was die betheiligten Kreise vor Nachtheilen zu bewahren ge¬
eignet sein wird." Die lang gedehnte Diskussion akademischen Charakters för-


tung in die Hände arbeiten, die des Idealen spottet und nur das des Schweißes
werth achtet, was klingt und glänzt, was die Sinne kitzelt und das materielle
Behagen erhöht? „Gegen den rohen Materialismus unserer Tage — so hat
Dr. Wendt seinen Gegnern zugerufen — haben alle Gebildeten sehr ernste
Veranlassung, zusammen zu stehen. Sonst könnte ein Schaden angerichtet wer¬
den, der sich nie wieder gut macheu ließe."

Es war erfreulich, daß auf dem Landtag die Zustände unseres gelehrten
Schulwesens in einer Weise besprochen wurden, welche sowohl auf Seiten der
Regierung als der Volksvertretung Zeugniß ablegte für die hohe Werth¬
schätzung der idealen Güter unseres Volkslebens. Die banale Art des An¬
stimmens gegen die klassische Geistesbildung konnte sich nicht breit machen.
Die Klagen und Beschwerden wurden auf ihr richtiges Maß zurückgeführt,
und die Verdienste des viel geschmähten Karlsruher Gymnasiumsdirektors
fanden, selbst auf Seite der Ultramontanen, volle Anerkennung. Als greif¬
bares Resultat der betreffenden Erörterungen trat zu Tage, daß es ge¬
boten fein dürfte, das bis dahin lediglich auf dem Wege der Verordnung
geregelte Mittelschulwesen durch die Gesetzgebung zu normiren. Dabei war,
allerseits als selbstverständlich angenommen, daß die Votirung des preußischen
Uuterrichtsgesetzes abzuwarten sei.

Bemerkenswerth sind zwei in der zweiten Kammer eingebrachte und von
der Regierung beantwortete Interpellationen. Die erste, in der Sitzung vom
10. Dezember gestellt und beantwortet, frug nach der Stellung, welche die'
großh. Regierung bezüglich der zoll- und handelspolitischen Fragen im Bundes¬
rath einnehme. Sie wurde von dem „reichstreuen" Demokraten Kopfer ge¬
stellt, welcher den Anlaß benutzte, zugleich über den gesammten wirthschaftlichen
Nothstand unserer Zeit Betrachtungen anzustellen und als fanatischer Schutz¬
zöllner die in dieser Apotheke gebrauten bekannten Heilmittel anzupreisen. Die
durch Staatsminister Turban gegebene Autwort der Regierung gab in ihrem
ersten Theil eine fein ausgedachte und wohl stilisirte wesentlich theoretische
Auseinandersetzung, deren Quintessenz ein späterer Redner dahin zusammenfaßte:
in der Theorie Freihändler, in der Praxis Schutzzöllner! Des Weiteren be¬
dauerte die Regierung, sich außer Stand zu sehen, „über schwebende Verhand¬
lungen oder über Maßregeln, welche nach dem Abbruch von Verhandlungen
— mit Oesterreich — im Einzelnen in Aussicht zu nehmen wären, irgend
welche Mittheilungen zu machen." „Die Führung dieser Verhandlungen —
so war schön und klar der Schluß der Antwort — steht verfassungsmäßig den
Reichsbehörden zu, welche, wie nicht zu bezweifeln, bemüht sein werden, alles
das vorzukehren, was die betheiligten Kreise vor Nachtheilen zu bewahren ge¬
eignet sein wird." Die lang gedehnte Diskussion akademischen Charakters för-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/520>, abgerufen am 20.10.2024.