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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Gelegentlich der Budgetverhandlungen pflegt nach althergebrachter Sitte
bei den einzelnen Positionen ein wahres Mitrailleusenfeuer von Bemerkungen,
Rügen, Wünschen und Beschwerden über alles Mögliche und noch einiges
Andere laut zu werden. Auf dem diesjährigen Landtag wurde Verhältniß-
müßig wenig Pulver verschossen. Der Anfangstermin des Reichstags stand
als drohendes Gespenst im Hintergrunde. Bekanntlich ist nächst der Kirche
vor Allem die Schule der Rennplatz, wo Jeder, der halbwegs sich im Sattel
zu halten versteht, das Roß seiner Weisheit tummelt. Man war dießmal
durch mehrfache Erörterungen in der Presse und durch einige vielbesprochene
Einzelvorkommnisse darauf vorbereitet, daß unser Mittelschulwesen, speziell
unsere Gymnasien, auf der Tractandeuliste in erster Reihe figuriren würden.
Und so war es. Einer der bestgehaßten Männer unseres Landes ist der
Direktor des Karlsruher Gymnasiums, zugleich außerordentliches Mitglied des
Oberschulraths, Dr. Wendt. Der Mann hat zwei große Fehler: er ist ein
Preuße und er ist ein Charakter, dienstlich von rücksichtsloser Energie. Das
erstere anlangend, so hat man es seit Jahrzehnten gesungen und singt es jetzt
noch und ist dabei patriotisch begeistert, daß der Bierschanm zur Decke spritzt
-- man hat gesungen und singt: "sein Vaterland muß größer sein!" Sitzt
nun aber mit einem Male auf dem Katheder des Karlsruher Gymnasiums-
Direktors ein Mann, dem es der Himmel versagt hat, zwischen Konstanz und
Wertheim geboren zu sein, el wie plötzlich verstummt da der Arndt'sche Sang!
So war es ja nicht gemeint; ähnlich schon, aber doch nicht ganz so. Ein
Preuße Direktor des Gymnasiums der badischen Residenzstadt! Wahrlich!
wenn im Jahr 1867, als der damalige Direktor des Gymnasiums zu Hamm
nach Karlsruhe übersiedelte, uns Kunde geworden wäre, wie ein und der an¬
dere Großherzoglich badische Professor alten Schlags sich nach Cyankali um¬
gesehen hätte, um das nach seiner Meinung für sämmtliche badische Landes¬
kinder tief Demüthigende des Vorgangs nicht mit erleben zu müssen, wir wür¬
den es begreiflich gefunden haben. Wir bezeichneten oben Dr. Wendt als
einen Charakter, dienstlich von rücksichtsloser Energie. Preußische Strammheit
und militärisch scharfe Disziplinirung war man allerdings an unseren badischen
Lehranstalten und vor allem an dem vorher gemüthlich patriarchalisch geleiteten
Karlsruher Gymnasium uicht gewöhnt. Freilich leisteten in Folge dessen auch
unsere Gymnasien nicht, was sie leisten sollten; und ein Vergleich mit anderen
deutschen Gymnasien, z. B. mit den preußischen, baierischen, württembergischen
mußte aus gut badischem Patriotismus sorgsam vermieden werden. Aber das
that nichts zur Sache. Besäßen wir doch in unserem gelehrten Schulwesen
volle "Gemüthlichkeit"! Es ist wahrlich nicht das kleinste Verdienst
Jolly's, daß er hier die bessernde Hand anlegte. Seinem Scharfblick war


Gelegentlich der Budgetverhandlungen pflegt nach althergebrachter Sitte
bei den einzelnen Positionen ein wahres Mitrailleusenfeuer von Bemerkungen,
Rügen, Wünschen und Beschwerden über alles Mögliche und noch einiges
Andere laut zu werden. Auf dem diesjährigen Landtag wurde Verhältniß-
müßig wenig Pulver verschossen. Der Anfangstermin des Reichstags stand
als drohendes Gespenst im Hintergrunde. Bekanntlich ist nächst der Kirche
vor Allem die Schule der Rennplatz, wo Jeder, der halbwegs sich im Sattel
zu halten versteht, das Roß seiner Weisheit tummelt. Man war dießmal
durch mehrfache Erörterungen in der Presse und durch einige vielbesprochene
Einzelvorkommnisse darauf vorbereitet, daß unser Mittelschulwesen, speziell
unsere Gymnasien, auf der Tractandeuliste in erster Reihe figuriren würden.
Und so war es. Einer der bestgehaßten Männer unseres Landes ist der
Direktor des Karlsruher Gymnasiums, zugleich außerordentliches Mitglied des
Oberschulraths, Dr. Wendt. Der Mann hat zwei große Fehler: er ist ein
Preuße und er ist ein Charakter, dienstlich von rücksichtsloser Energie. Das
erstere anlangend, so hat man es seit Jahrzehnten gesungen und singt es jetzt
noch und ist dabei patriotisch begeistert, daß der Bierschanm zur Decke spritzt
— man hat gesungen und singt: „sein Vaterland muß größer sein!" Sitzt
nun aber mit einem Male auf dem Katheder des Karlsruher Gymnasiums-
Direktors ein Mann, dem es der Himmel versagt hat, zwischen Konstanz und
Wertheim geboren zu sein, el wie plötzlich verstummt da der Arndt'sche Sang!
So war es ja nicht gemeint; ähnlich schon, aber doch nicht ganz so. Ein
Preuße Direktor des Gymnasiums der badischen Residenzstadt! Wahrlich!
wenn im Jahr 1867, als der damalige Direktor des Gymnasiums zu Hamm
nach Karlsruhe übersiedelte, uns Kunde geworden wäre, wie ein und der an¬
dere Großherzoglich badische Professor alten Schlags sich nach Cyankali um¬
gesehen hätte, um das nach seiner Meinung für sämmtliche badische Landes¬
kinder tief Demüthigende des Vorgangs nicht mit erleben zu müssen, wir wür¬
den es begreiflich gefunden haben. Wir bezeichneten oben Dr. Wendt als
einen Charakter, dienstlich von rücksichtsloser Energie. Preußische Strammheit
und militärisch scharfe Disziplinirung war man allerdings an unseren badischen
Lehranstalten und vor allem an dem vorher gemüthlich patriarchalisch geleiteten
Karlsruher Gymnasium uicht gewöhnt. Freilich leisteten in Folge dessen auch
unsere Gymnasien nicht, was sie leisten sollten; und ein Vergleich mit anderen
deutschen Gymnasien, z. B. mit den preußischen, baierischen, württembergischen
mußte aus gut badischem Patriotismus sorgsam vermieden werden. Aber das
that nichts zur Sache. Besäßen wir doch in unserem gelehrten Schulwesen
volle „Gemüthlichkeit"! Es ist wahrlich nicht das kleinste Verdienst
Jolly's, daß er hier die bessernde Hand anlegte. Seinem Scharfblick war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/517>, abgerufen am 27.09.2024.