Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.Jahrhunderts wohl von Keinem geschildert worden. "Nirgend drangt der Das Alles ist geschildert, wie Keiner es noch zu schildern vermocht hat. Diese beiden Romanen gemeinsamen wichtigsten Gesichtspunkte stellen die Jahrhunderts wohl von Keinem geschildert worden. „Nirgend drangt der Das Alles ist geschildert, wie Keiner es noch zu schildern vermocht hat. Diese beiden Romanen gemeinsamen wichtigsten Gesichtspunkte stellen die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139765"/> <p xml:id="ID_1488" prev="#ID_1487"> Jahrhunderts wohl von Keinem geschildert worden. „Nirgend drangt der<lb/> historische Apparat, die Freude an den Lebensformen das wahre innere<lb/> Leben der Gestalten in den Hintergrund" sagt Paul Heyse treffend zur Wür¬<lb/> digung der Eigenart des Dichters. Und in der That muthen uns einzelne,<lb/> Szenen beider Romane Nievo's an wie lebendig gewordene Träume, die Je¬<lb/> der träumt, der mit ewiger Kenntniß der glorreichen Vergangenheit das heu¬<lb/> tige Venedig betritt, auf den geheimnißvollen tiefen Wassern dahinfährt. Nievo<lb/> belebt uns die verfallenden Paläste mit einer Fülle glänzender, wenn auch im<lb/> Grunde meist recht nichtiger Gestalten', ans den Kanälen und Lagunen gleiten<lb/> in ungeahnter Pracht herrschaftliche Gondeln, im reichsten Schmucke strahlen<lb/> geheimnißvoll flüsternde Kavaliere und Damen. Bis in die tiefsten Kerker<lb/> der allmächtigen Inquisitoren führt er uns ein, die geheimste Spionage redet<lb/> und enthüllt sich vor uns in die entlegensten Schlupfwinkel der Feinde ragt plötz¬<lb/> lich der gewaltige Arm der Wächter der aristokratischen Republik, erfaßt die<lb/> Opfer lautlos, widerstandslos, und führt sie rasch und unerbittlich in die<lb/> Gewalt der namenlosen, unbekannten Herrscher.</p><lb/> <p xml:id="ID_1489"> Das Alles ist geschildert, wie Keiner es noch zu schildern vermocht hat.<lb/> Aber bei weitem großer, als die Treue und Poesie dieser Schilderungen ist<lb/> der Grundgedanke, der sie beherrscht. Sie sind dem Dichter nicht Selbstzweck,<lb/> auch nicht blos die-wechselvollen, königlichen Rahmen, in denen nacheinander<lb/> die Geschicke der Hauptpersonen sich abspielen. Venedig ist vielmehr als Herz<lb/> von ganz Italien gedacht. In beiden Romanen im „Engelsherz" und in den<lb/> „Erinnerungen eines Achtzigjährigen" erwachsen auf diesem Boden Männer<lb/> und Frauen, die ein volles Herz für die Gesammtgeschicke des Vaterlandes<lb/> haben und bethätigen, die selbst aus dem Niedergang der Lagunenstadt nur<lb/> den Antrieb zur treuesten patriotischen Pflichterfüllung gewinnen. Und diese<lb/> Pflichterfüllung wird geübt und begriffen, keineswegs allein von so auserwähl¬<lb/> ten Naturen, wie dem Senator Formiani, dem nomineller Gemahl der Mo¬<lb/> rosina, nicht allein von dem einzigen reinen Idealisten beider Romane, dem<lb/> Doktor Lucilio (im „Achtzigjährigen"), sondern der sehr irdisch und materiell<lb/> denkende Cello im „Engelsherz" der wunderliche Vater Carlo's, des „Achtzig¬<lb/> jährigen", Carlo selbst, den die Natur und sein Geschick nur zu einem sehr<lb/> philisterhaften Helden und mittelmäßigen Patrioten veranlagt haben und nicht<lb/> minder die Heldinnen beider Romane, die reine Morosina und die sinnlichen<lb/> wunderbare Pisana, sie Alle weihen ihre ganzen Kräfte dem Vaterlande. Be¬<lb/> deutsamer ist die Vereinigung der bewegenden Kräfte des jungen und des alten<lb/> Italiens, des unitarischen Vaterlandsgefühls und des stolzen Munizipalgeistes<lb/> kaum ausgesprochen worden, als durch Jppolito Nievo.</p><lb/> <p xml:id="ID_1490" next="#ID_1491"> Diese beiden Romanen gemeinsamen wichtigsten Gesichtspunkte stellen die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0472]
Jahrhunderts wohl von Keinem geschildert worden. „Nirgend drangt der
historische Apparat, die Freude an den Lebensformen das wahre innere
Leben der Gestalten in den Hintergrund" sagt Paul Heyse treffend zur Wür¬
digung der Eigenart des Dichters. Und in der That muthen uns einzelne,
Szenen beider Romane Nievo's an wie lebendig gewordene Träume, die Je¬
der träumt, der mit ewiger Kenntniß der glorreichen Vergangenheit das heu¬
tige Venedig betritt, auf den geheimnißvollen tiefen Wassern dahinfährt. Nievo
belebt uns die verfallenden Paläste mit einer Fülle glänzender, wenn auch im
Grunde meist recht nichtiger Gestalten', ans den Kanälen und Lagunen gleiten
in ungeahnter Pracht herrschaftliche Gondeln, im reichsten Schmucke strahlen
geheimnißvoll flüsternde Kavaliere und Damen. Bis in die tiefsten Kerker
der allmächtigen Inquisitoren führt er uns ein, die geheimste Spionage redet
und enthüllt sich vor uns in die entlegensten Schlupfwinkel der Feinde ragt plötz¬
lich der gewaltige Arm der Wächter der aristokratischen Republik, erfaßt die
Opfer lautlos, widerstandslos, und führt sie rasch und unerbittlich in die
Gewalt der namenlosen, unbekannten Herrscher.
Das Alles ist geschildert, wie Keiner es noch zu schildern vermocht hat.
Aber bei weitem großer, als die Treue und Poesie dieser Schilderungen ist
der Grundgedanke, der sie beherrscht. Sie sind dem Dichter nicht Selbstzweck,
auch nicht blos die-wechselvollen, königlichen Rahmen, in denen nacheinander
die Geschicke der Hauptpersonen sich abspielen. Venedig ist vielmehr als Herz
von ganz Italien gedacht. In beiden Romanen im „Engelsherz" und in den
„Erinnerungen eines Achtzigjährigen" erwachsen auf diesem Boden Männer
und Frauen, die ein volles Herz für die Gesammtgeschicke des Vaterlandes
haben und bethätigen, die selbst aus dem Niedergang der Lagunenstadt nur
den Antrieb zur treuesten patriotischen Pflichterfüllung gewinnen. Und diese
Pflichterfüllung wird geübt und begriffen, keineswegs allein von so auserwähl¬
ten Naturen, wie dem Senator Formiani, dem nomineller Gemahl der Mo¬
rosina, nicht allein von dem einzigen reinen Idealisten beider Romane, dem
Doktor Lucilio (im „Achtzigjährigen"), sondern der sehr irdisch und materiell
denkende Cello im „Engelsherz" der wunderliche Vater Carlo's, des „Achtzig¬
jährigen", Carlo selbst, den die Natur und sein Geschick nur zu einem sehr
philisterhaften Helden und mittelmäßigen Patrioten veranlagt haben und nicht
minder die Heldinnen beider Romane, die reine Morosina und die sinnlichen
wunderbare Pisana, sie Alle weihen ihre ganzen Kräfte dem Vaterlande. Be¬
deutsamer ist die Vereinigung der bewegenden Kräfte des jungen und des alten
Italiens, des unitarischen Vaterlandsgefühls und des stolzen Munizipalgeistes
kaum ausgesprochen worden, als durch Jppolito Nievo.
Diese beiden Romanen gemeinsamen wichtigsten Gesichtspunkte stellen die
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