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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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gleich bei Beginn der Schlacht, so schwer verwundet, daß er erst Mitte
September, kaum nothdürftig wieder hergestellt, sich wieder zum Dienst melden
konnte. In den ersten Oktober-Tagen erhielt von Hüser eine anderweitige
Bestimmung, indem man ihm den Auftrag ertheilte, mit vier schlesischen Land¬
wehr-Bataillonen die Saalbrücke bei Halle zu decken. In Folge dessen konnte
er an der Schlacht bei Leipzig und den darauf folgenden Aktionen nicht Theil
nehmen, kam vielmehr im November als Adjutant zu dem Gouvernement
zwischen Elbe und Weser nach Halberstadt. Bei Wiederausbruch der Feind¬
seligkeiten im Jahre 1815 wurde er wiederum zum Blücherschen Hauptquartier
kommandirt, traf jedoch erst nach der Schlacht bei Belle-Alliance bei demselben
ein. Bei diesem Lebensgeschick wird man erklärlich finden, wenn uns die
Denkwürdigkeiten keine großen historischen Gemälde, sondern mehr Genreskizzen,
untermischt mit Porträts, 'zur Darstellung bringen. Indessen auch das Fach
der Genremalerei hat seinen Werth und viele der Schilderungen über Zustände
und Verhältnisse aus allen Bereichen des menschlichen Lebens sind anregend
und für kulturhistorische Studien nicht ohne Bedeutung. Ueber den Stand des
damaligen Militär-Bildungs- und Erziehungswesens erhalten wir interessante Ans -
Müsse. Was jedoch die Porträts anbetrifft, so möchten wir für deren frappante
Aehnlichkeit mit den Originalen nicht immer einstehen. So stimmt die von
Scharnhorst entworfene Charakterskizze wohl nicht ganz mit dem Bilde überein,
das man sich nach seinen Briefen und nach den Schilderungen anderer Zeit¬
genossen von ihm zu machen berechtigt ist. Schlauheit und Verstellungskunst
siud so niedere Eigenschaften des Verstandes und Gemüthes, daß wir sie
unserem großen Helden nicht gern zusprechen möchten. Schade, daß wir von
Clausewitz, der eine Reihe von Persönlichkeiten mit wunderbarer Schärfe
charakterisirte, nicht auch ein solches Porträt Scharnhorst's besitzen. Wer sich
von des ersteren Meisterschaft überzeugen will, der lese nur die Charakteristik
des bei Saalfeld gebliebenen Prinzen Louis von Preußen.

Nach dem Jahre 1815 tritt nun von Hüser selbst, als handelnde Person,
mehr in den Vordergrund. Ueberall zeigt sich ein redliches Streben, das
höhere Ziele im Auge hat. So als Lehrer und Erzieher im Kadetten-Korps,
wo er Dank und Anerkennung erntet. Als er im Jahre 1823 wieder in die
Armee übertrat, erwies er sich auch als ein tüchtiger praktischer Soldat. Von
Stufe zu Stufe emporsteigend, erwarb er sich nicht nur die Zuneigung seiner
Untergebenen, sondern auch volles Vertrauen in den nichtmilitärischen Kreisen,
mit denen ein gutes Verhältniß zu unterhalten er jederzeit bestrebt war. Den
wichtigsten und einflußreichsten Theil seiner militärischen Laufbahn erlebte er
von 1828 bis 1849 in der Rheinprovinz; Saarlouis, Trier, Düsseldorf und
Mainz waren die Stätten seines Wirkens. In dieser Uebergangsepoche zu


gleich bei Beginn der Schlacht, so schwer verwundet, daß er erst Mitte
September, kaum nothdürftig wieder hergestellt, sich wieder zum Dienst melden
konnte. In den ersten Oktober-Tagen erhielt von Hüser eine anderweitige
Bestimmung, indem man ihm den Auftrag ertheilte, mit vier schlesischen Land¬
wehr-Bataillonen die Saalbrücke bei Halle zu decken. In Folge dessen konnte
er an der Schlacht bei Leipzig und den darauf folgenden Aktionen nicht Theil
nehmen, kam vielmehr im November als Adjutant zu dem Gouvernement
zwischen Elbe und Weser nach Halberstadt. Bei Wiederausbruch der Feind¬
seligkeiten im Jahre 1815 wurde er wiederum zum Blücherschen Hauptquartier
kommandirt, traf jedoch erst nach der Schlacht bei Belle-Alliance bei demselben
ein. Bei diesem Lebensgeschick wird man erklärlich finden, wenn uns die
Denkwürdigkeiten keine großen historischen Gemälde, sondern mehr Genreskizzen,
untermischt mit Porträts, 'zur Darstellung bringen. Indessen auch das Fach
der Genremalerei hat seinen Werth und viele der Schilderungen über Zustände
und Verhältnisse aus allen Bereichen des menschlichen Lebens sind anregend
und für kulturhistorische Studien nicht ohne Bedeutung. Ueber den Stand des
damaligen Militär-Bildungs- und Erziehungswesens erhalten wir interessante Ans -
Müsse. Was jedoch die Porträts anbetrifft, so möchten wir für deren frappante
Aehnlichkeit mit den Originalen nicht immer einstehen. So stimmt die von
Scharnhorst entworfene Charakterskizze wohl nicht ganz mit dem Bilde überein,
das man sich nach seinen Briefen und nach den Schilderungen anderer Zeit¬
genossen von ihm zu machen berechtigt ist. Schlauheit und Verstellungskunst
siud so niedere Eigenschaften des Verstandes und Gemüthes, daß wir sie
unserem großen Helden nicht gern zusprechen möchten. Schade, daß wir von
Clausewitz, der eine Reihe von Persönlichkeiten mit wunderbarer Schärfe
charakterisirte, nicht auch ein solches Porträt Scharnhorst's besitzen. Wer sich
von des ersteren Meisterschaft überzeugen will, der lese nur die Charakteristik
des bei Saalfeld gebliebenen Prinzen Louis von Preußen.

Nach dem Jahre 1815 tritt nun von Hüser selbst, als handelnde Person,
mehr in den Vordergrund. Ueberall zeigt sich ein redliches Streben, das
höhere Ziele im Auge hat. So als Lehrer und Erzieher im Kadetten-Korps,
wo er Dank und Anerkennung erntet. Als er im Jahre 1823 wieder in die
Armee übertrat, erwies er sich auch als ein tüchtiger praktischer Soldat. Von
Stufe zu Stufe emporsteigend, erwarb er sich nicht nur die Zuneigung seiner
Untergebenen, sondern auch volles Vertrauen in den nichtmilitärischen Kreisen,
mit denen ein gutes Verhältniß zu unterhalten er jederzeit bestrebt war. Den
wichtigsten und einflußreichsten Theil seiner militärischen Laufbahn erlebte er
von 1828 bis 1849 in der Rheinprovinz; Saarlouis, Trier, Düsseldorf und
Mainz waren die Stätten seines Wirkens. In dieser Uebergangsepoche zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/46>, abgerufen am 19.10.2024.