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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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ob man die Schmetterlinge mit der Angelruthe finge und diese sich dann ge¬
legentlich "losrissen!" Zu Anfang des 4. Aktes sagt Götz: "Ich komme mir
vor wie der böse Geist, den der Kapuziner in einen Sack beschwor." W. hat
hierzu die Anmerkung: "Geister von Verstorbenen, die zur Strafe für ein im
Leben begangenes Verbrechen nach dem Tode am Orte ihrer That spukten,
ließ man durch Priester oder Mönche, gewöhnlich durch Jesuiten, Franziskaner,
Kapuziner unter Beschwörungsformeln in Säcke, Büchsen oder Schachteln
bannen, "hineinlesen", und dann an einen fernen Ort tragen." N. hat zu
derselben Stelle die geradezu irreleitende Bemerkung: "Einen hauptsächlichen
Theil der Beschwörungskunst bildet die Beschwörung der Todten (Nekromantie),
wodurch man die Seele der Verstorbenen erscheinen lassen zu können glaubte.
Im Mittelalter pflanzte sich dieser alte Aberglaube auch unter den Christen fort."

Unter den rein sprachlichen Erklärungen ist einzelnes Brauchbare. Für
die Ausdrücke "Sesterzen und Scherwenzen" I, 3 und "saubern und trenteln"
V, 1, die W. fälschlich für bloße Onomatopoetika ansieht, bringt N. zum
Theil die richtige Ableitung bei. Daneben begegnet aber auch hier wieder viel
Verfehltes. Nur ein Beispiel möge hervorgehoben sein. Zu I, 2 "an Kopf"
und "in Streit" bemerkt Naumcinn, es sei hier "in populärer Weise der Artikel
ausgelassen." Das Nichtige ist aber doch, daß der Artikel mit der Praeposition
verschmolzen, folglich "an Kopf" zu verstehen ist "an'n Kopf", wie denn die
ältere Sprache wirklich schrieb "ann Kopf." Goethe giebt in solchen Fällen
immer nur den einfachen Konsonanten, wie I, 3 "ein Lammsbraten" (was Nau-
mann für Neutrum hält!) statt "ein'u Lammsbraten", 1,1 ""erkundschaft" statt
"verkuudschaft't", V, 1 "daß eine Lust war" statt "daß's eine Lust war" ?c.
Arge Nachlässigkeiten sind es, wenn der Herausgeber zu ein und demselben
Worte an zwei verschiedenen Stellen zwei verschiedene Anmerkungen macht,
wie S. 78 und S. 113 zu "bieten", oder wenn er S. 52 schreibt, der Name
des "verfluchten schwarzen Jtaliäners", des Assessors Sapupi sei ein Anagramm
des Namens "Sape oder sapius" (anstatt Pape oder Papius).

Von dem Deutsch, in welchem namentlich längere Anmerkungen des Her¬
ausgebers bisweilen abgefaßt sind, mag das Folgende ein paar Proben geben.
S. 44 bemerkt er zu den Worten Adelheid's: "Hörner von deinem Weibe":
"Der Ausdruck wird von der Jagdgerechtsame hergeleitet, die ein oströmischer
Kaiser den Höflingen verlieh, die ihm ihre Frauen überließen und zu deren
äußeren Zeichen dieselben Hörner oder Geweihe über ihrer Hausthiire auf¬
stecken durften." S. 41 spricht er von "kastigirten Ausgaben mit Paraphrasen",
S. 112 nennt er die Blutwurzel eine "offizinelle" Wurzel, die unter die "ad-
stringirenden" Mittel gehöre. Da thäte es wahrlich noth, daß jemand käme
und zu dem Naumann'schen Kommentar abermals einen Kommentar schriebe.


ob man die Schmetterlinge mit der Angelruthe finge und diese sich dann ge¬
legentlich „losrissen!" Zu Anfang des 4. Aktes sagt Götz: „Ich komme mir
vor wie der böse Geist, den der Kapuziner in einen Sack beschwor." W. hat
hierzu die Anmerkung: „Geister von Verstorbenen, die zur Strafe für ein im
Leben begangenes Verbrechen nach dem Tode am Orte ihrer That spukten,
ließ man durch Priester oder Mönche, gewöhnlich durch Jesuiten, Franziskaner,
Kapuziner unter Beschwörungsformeln in Säcke, Büchsen oder Schachteln
bannen, „hineinlesen", und dann an einen fernen Ort tragen." N. hat zu
derselben Stelle die geradezu irreleitende Bemerkung: „Einen hauptsächlichen
Theil der Beschwörungskunst bildet die Beschwörung der Todten (Nekromantie),
wodurch man die Seele der Verstorbenen erscheinen lassen zu können glaubte.
Im Mittelalter pflanzte sich dieser alte Aberglaube auch unter den Christen fort."

Unter den rein sprachlichen Erklärungen ist einzelnes Brauchbare. Für
die Ausdrücke „Sesterzen und Scherwenzen" I, 3 und „saubern und trenteln"
V, 1, die W. fälschlich für bloße Onomatopoetika ansieht, bringt N. zum
Theil die richtige Ableitung bei. Daneben begegnet aber auch hier wieder viel
Verfehltes. Nur ein Beispiel möge hervorgehoben sein. Zu I, 2 „an Kopf"
und „in Streit" bemerkt Naumcinn, es sei hier „in populärer Weise der Artikel
ausgelassen." Das Nichtige ist aber doch, daß der Artikel mit der Praeposition
verschmolzen, folglich „an Kopf" zu verstehen ist „an'n Kopf", wie denn die
ältere Sprache wirklich schrieb „ann Kopf." Goethe giebt in solchen Fällen
immer nur den einfachen Konsonanten, wie I, 3 „ein Lammsbraten" (was Nau-
mann für Neutrum hält!) statt „ein'u Lammsbraten", 1,1 „»erkundschaft" statt
„verkuudschaft't", V, 1 „daß eine Lust war" statt „daß's eine Lust war" ?c.
Arge Nachlässigkeiten sind es, wenn der Herausgeber zu ein und demselben
Worte an zwei verschiedenen Stellen zwei verschiedene Anmerkungen macht,
wie S. 78 und S. 113 zu „bieten", oder wenn er S. 52 schreibt, der Name
des „verfluchten schwarzen Jtaliäners", des Assessors Sapupi sei ein Anagramm
des Namens „Sape oder sapius" (anstatt Pape oder Papius).

Von dem Deutsch, in welchem namentlich längere Anmerkungen des Her¬
ausgebers bisweilen abgefaßt sind, mag das Folgende ein paar Proben geben.
S. 44 bemerkt er zu den Worten Adelheid's: „Hörner von deinem Weibe":
„Der Ausdruck wird von der Jagdgerechtsame hergeleitet, die ein oströmischer
Kaiser den Höflingen verlieh, die ihm ihre Frauen überließen und zu deren
äußeren Zeichen dieselben Hörner oder Geweihe über ihrer Hausthiire auf¬
stecken durften." S. 41 spricht er von „kastigirten Ausgaben mit Paraphrasen",
S. 112 nennt er die Blutwurzel eine „offizinelle" Wurzel, die unter die „ad-
stringirenden" Mittel gehöre. Da thäte es wahrlich noth, daß jemand käme
und zu dem Naumann'schen Kommentar abermals einen Kommentar schriebe.


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[0404] ob man die Schmetterlinge mit der Angelruthe finge und diese sich dann ge¬ legentlich „losrissen!" Zu Anfang des 4. Aktes sagt Götz: „Ich komme mir vor wie der böse Geist, den der Kapuziner in einen Sack beschwor." W. hat hierzu die Anmerkung: „Geister von Verstorbenen, die zur Strafe für ein im Leben begangenes Verbrechen nach dem Tode am Orte ihrer That spukten, ließ man durch Priester oder Mönche, gewöhnlich durch Jesuiten, Franziskaner, Kapuziner unter Beschwörungsformeln in Säcke, Büchsen oder Schachteln bannen, „hineinlesen", und dann an einen fernen Ort tragen." N. hat zu derselben Stelle die geradezu irreleitende Bemerkung: „Einen hauptsächlichen Theil der Beschwörungskunst bildet die Beschwörung der Todten (Nekromantie), wodurch man die Seele der Verstorbenen erscheinen lassen zu können glaubte. Im Mittelalter pflanzte sich dieser alte Aberglaube auch unter den Christen fort." Unter den rein sprachlichen Erklärungen ist einzelnes Brauchbare. Für die Ausdrücke „Sesterzen und Scherwenzen" I, 3 und „saubern und trenteln" V, 1, die W. fälschlich für bloße Onomatopoetika ansieht, bringt N. zum Theil die richtige Ableitung bei. Daneben begegnet aber auch hier wieder viel Verfehltes. Nur ein Beispiel möge hervorgehoben sein. Zu I, 2 „an Kopf" und „in Streit" bemerkt Naumcinn, es sei hier „in populärer Weise der Artikel ausgelassen." Das Nichtige ist aber doch, daß der Artikel mit der Praeposition verschmolzen, folglich „an Kopf" zu verstehen ist „an'n Kopf", wie denn die ältere Sprache wirklich schrieb „ann Kopf." Goethe giebt in solchen Fällen immer nur den einfachen Konsonanten, wie I, 3 „ein Lammsbraten" (was Nau- mann für Neutrum hält!) statt „ein'u Lammsbraten", 1,1 „»erkundschaft" statt „verkuudschaft't", V, 1 „daß eine Lust war" statt „daß's eine Lust war" ?c. Arge Nachlässigkeiten sind es, wenn der Herausgeber zu ein und demselben Worte an zwei verschiedenen Stellen zwei verschiedene Anmerkungen macht, wie S. 78 und S. 113 zu „bieten", oder wenn er S. 52 schreibt, der Name des „verfluchten schwarzen Jtaliäners", des Assessors Sapupi sei ein Anagramm des Namens „Sape oder sapius" (anstatt Pape oder Papius). Von dem Deutsch, in welchem namentlich längere Anmerkungen des Her¬ ausgebers bisweilen abgefaßt sind, mag das Folgende ein paar Proben geben. S. 44 bemerkt er zu den Worten Adelheid's: „Hörner von deinem Weibe": „Der Ausdruck wird von der Jagdgerechtsame hergeleitet, die ein oströmischer Kaiser den Höflingen verlieh, die ihm ihre Frauen überließen und zu deren äußeren Zeichen dieselben Hörner oder Geweihe über ihrer Hausthiire auf¬ stecken durften." S. 41 spricht er von „kastigirten Ausgaben mit Paraphrasen", S. 112 nennt er die Blutwurzel eine „offizinelle" Wurzel, die unter die „ad- stringirenden" Mittel gehöre. Da thäte es wahrlich noth, daß jemand käme und zu dem Naumann'schen Kommentar abermals einen Kommentar schriebe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/404>, abgerufen am 27.09.2024.