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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Handwerksbeflissene, wie notorisch feststeht, nicht in der Werkstatt mit Berufs¬
arbeiten, sondern im Dienste der Frau Meisterin in der Küche, der Kinder¬
stube, auf dem Felde. Ueberdies suchte der Meister ihn von den feineren
Handwerksarbeiten geflissentlich fern zu halten; denn einmal trieb ihn der Vor¬
theil, den Lehrling nur zu groben Handarbeiten zu benutzen, dann aber auch
fürchtete er, daß er mit der Einweihung in die Kunstgriffe des Handwerks, in
die Auswahl der Materialien u. f. w. den jungen Menschen dereinst zu einem
gefährlichen Konkurrenten heranziehen konnte. Dabei war, wie sich aus der
obigen Gesetzesstelle ergiebt, die Behandlung des Lehrlings in der Regel eine
inhumane. Meister und Meisterin, erwachsenen Kindern und Gesellen, Allen
diente er zum Ableiter ihrer schlechten Laune, zum Gegenstande der Belusti¬
gung und des Spottes; kurz, die ganze Lehrlingserziehung des 17. und 18.
Jahrhunderts scheint vornehmlich auf die Ausbildung des Charakters im Er¬
tragen und Dulden von Ungerechtigkeiten und Rohheiten angelegt gewesen zu sein.

Daß bei einer solchen Stellung der Lehrling ein Pfuscher in seinem Be¬
rufe oder im günstigsten Falle, nur ein mittelmäßiger Arbeiter wurde, liegt
auf der Hand und bedarf keiner Erklärung. In der That enthält der ganze
Apparat des Gesellenmachens und Freisprechens, der nach beendigter Lehrzeit
bei dem Uebertritte des Lehrlings in den Gesellenstand zur Anwendung kam,
neben einer Fülle von sinnlosem Zeremoniell und grobem Unfug nicht eine
einzige praktische Einrichtung, die zur Prüfung des Lehrlings auf seine Fach¬
kenntnisse gedient hätte. Die Anfertigung eines Gesellenstücks geschah erst
gegen das Ende des 18. Jahrhunderts, als die technische Verkümmerung des
Handwerks einen erschreckend hohen Grad erreicht hatte und man die Unzu¬
länglichkeit der bisherigen ungesunden Verhältnisse erkannte. Und diese Schöpfung
der Gesellenprüfung geschah nicht etwa aus eigner Initiative der Interessenten, des
Gewerbestandes, sondern verdankt lediglich ihr Entstehen landesherrlichen Erlassen.

Es erübrigt nun noch, nnter den zahlreichen wider die Zunftmißbränche
erlassenen Reichsverfügungen eiues Gesetzes zu gedenken, das neben einer all¬
gemeinen Hebung der Zünfte speziell die Reform des Lehrlingswefens anstrebte.
Es ist dies der Reichsbeschluß vom 16. Aug. 1731 oder, wie er gewöhnlich
genannt wird, die "Reichszunftordnung." Dieselbe schärfte die bereits in
den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 verfügte Bestimmung über
die Zulassung aller Stunde zum Handwerke auf's Neue ein. Nur dem
Fröhner und Scharfrichter sprach das bezügliche Gesetz die Ehrlichkeit ab und
bestimmte, daß die Kinder desselben erst in zweiter Generation, wenn sie in¬
zwischen einen ehrlichen Lebensberuf erwählt und in demselben mit ihrer Fa¬
milie 30 Jahre hindurch thätig gewesen wären, wieder für handwerksfähig
sollten erachtet werden. -- Weiterhin trat die Reichszunftordnung den zahl-


Handwerksbeflissene, wie notorisch feststeht, nicht in der Werkstatt mit Berufs¬
arbeiten, sondern im Dienste der Frau Meisterin in der Küche, der Kinder¬
stube, auf dem Felde. Ueberdies suchte der Meister ihn von den feineren
Handwerksarbeiten geflissentlich fern zu halten; denn einmal trieb ihn der Vor¬
theil, den Lehrling nur zu groben Handarbeiten zu benutzen, dann aber auch
fürchtete er, daß er mit der Einweihung in die Kunstgriffe des Handwerks, in
die Auswahl der Materialien u. f. w. den jungen Menschen dereinst zu einem
gefährlichen Konkurrenten heranziehen konnte. Dabei war, wie sich aus der
obigen Gesetzesstelle ergiebt, die Behandlung des Lehrlings in der Regel eine
inhumane. Meister und Meisterin, erwachsenen Kindern und Gesellen, Allen
diente er zum Ableiter ihrer schlechten Laune, zum Gegenstande der Belusti¬
gung und des Spottes; kurz, die ganze Lehrlingserziehung des 17. und 18.
Jahrhunderts scheint vornehmlich auf die Ausbildung des Charakters im Er¬
tragen und Dulden von Ungerechtigkeiten und Rohheiten angelegt gewesen zu sein.

Daß bei einer solchen Stellung der Lehrling ein Pfuscher in seinem Be¬
rufe oder im günstigsten Falle, nur ein mittelmäßiger Arbeiter wurde, liegt
auf der Hand und bedarf keiner Erklärung. In der That enthält der ganze
Apparat des Gesellenmachens und Freisprechens, der nach beendigter Lehrzeit
bei dem Uebertritte des Lehrlings in den Gesellenstand zur Anwendung kam,
neben einer Fülle von sinnlosem Zeremoniell und grobem Unfug nicht eine
einzige praktische Einrichtung, die zur Prüfung des Lehrlings auf seine Fach¬
kenntnisse gedient hätte. Die Anfertigung eines Gesellenstücks geschah erst
gegen das Ende des 18. Jahrhunderts, als die technische Verkümmerung des
Handwerks einen erschreckend hohen Grad erreicht hatte und man die Unzu¬
länglichkeit der bisherigen ungesunden Verhältnisse erkannte. Und diese Schöpfung
der Gesellenprüfung geschah nicht etwa aus eigner Initiative der Interessenten, des
Gewerbestandes, sondern verdankt lediglich ihr Entstehen landesherrlichen Erlassen.

Es erübrigt nun noch, nnter den zahlreichen wider die Zunftmißbränche
erlassenen Reichsverfügungen eiues Gesetzes zu gedenken, das neben einer all¬
gemeinen Hebung der Zünfte speziell die Reform des Lehrlingswefens anstrebte.
Es ist dies der Reichsbeschluß vom 16. Aug. 1731 oder, wie er gewöhnlich
genannt wird, die „Reichszunftordnung." Dieselbe schärfte die bereits in
den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 verfügte Bestimmung über
die Zulassung aller Stunde zum Handwerke auf's Neue ein. Nur dem
Fröhner und Scharfrichter sprach das bezügliche Gesetz die Ehrlichkeit ab und
bestimmte, daß die Kinder desselben erst in zweiter Generation, wenn sie in¬
zwischen einen ehrlichen Lebensberuf erwählt und in demselben mit ihrer Fa¬
milie 30 Jahre hindurch thätig gewesen wären, wieder für handwerksfähig
sollten erachtet werden. — Weiterhin trat die Reichszunftordnung den zahl-


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[0351] Handwerksbeflissene, wie notorisch feststeht, nicht in der Werkstatt mit Berufs¬ arbeiten, sondern im Dienste der Frau Meisterin in der Küche, der Kinder¬ stube, auf dem Felde. Ueberdies suchte der Meister ihn von den feineren Handwerksarbeiten geflissentlich fern zu halten; denn einmal trieb ihn der Vor¬ theil, den Lehrling nur zu groben Handarbeiten zu benutzen, dann aber auch fürchtete er, daß er mit der Einweihung in die Kunstgriffe des Handwerks, in die Auswahl der Materialien u. f. w. den jungen Menschen dereinst zu einem gefährlichen Konkurrenten heranziehen konnte. Dabei war, wie sich aus der obigen Gesetzesstelle ergiebt, die Behandlung des Lehrlings in der Regel eine inhumane. Meister und Meisterin, erwachsenen Kindern und Gesellen, Allen diente er zum Ableiter ihrer schlechten Laune, zum Gegenstande der Belusti¬ gung und des Spottes; kurz, die ganze Lehrlingserziehung des 17. und 18. Jahrhunderts scheint vornehmlich auf die Ausbildung des Charakters im Er¬ tragen und Dulden von Ungerechtigkeiten und Rohheiten angelegt gewesen zu sein. Daß bei einer solchen Stellung der Lehrling ein Pfuscher in seinem Be¬ rufe oder im günstigsten Falle, nur ein mittelmäßiger Arbeiter wurde, liegt auf der Hand und bedarf keiner Erklärung. In der That enthält der ganze Apparat des Gesellenmachens und Freisprechens, der nach beendigter Lehrzeit bei dem Uebertritte des Lehrlings in den Gesellenstand zur Anwendung kam, neben einer Fülle von sinnlosem Zeremoniell und grobem Unfug nicht eine einzige praktische Einrichtung, die zur Prüfung des Lehrlings auf seine Fach¬ kenntnisse gedient hätte. Die Anfertigung eines Gesellenstücks geschah erst gegen das Ende des 18. Jahrhunderts, als die technische Verkümmerung des Handwerks einen erschreckend hohen Grad erreicht hatte und man die Unzu¬ länglichkeit der bisherigen ungesunden Verhältnisse erkannte. Und diese Schöpfung der Gesellenprüfung geschah nicht etwa aus eigner Initiative der Interessenten, des Gewerbestandes, sondern verdankt lediglich ihr Entstehen landesherrlichen Erlassen. Es erübrigt nun noch, nnter den zahlreichen wider die Zunftmißbränche erlassenen Reichsverfügungen eiues Gesetzes zu gedenken, das neben einer all¬ gemeinen Hebung der Zünfte speziell die Reform des Lehrlingswefens anstrebte. Es ist dies der Reichsbeschluß vom 16. Aug. 1731 oder, wie er gewöhnlich genannt wird, die „Reichszunftordnung." Dieselbe schärfte die bereits in den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 verfügte Bestimmung über die Zulassung aller Stunde zum Handwerke auf's Neue ein. Nur dem Fröhner und Scharfrichter sprach das bezügliche Gesetz die Ehrlichkeit ab und bestimmte, daß die Kinder desselben erst in zweiter Generation, wenn sie in¬ zwischen einen ehrlichen Lebensberuf erwählt und in demselben mit ihrer Fa¬ milie 30 Jahre hindurch thätig gewesen wären, wieder für handwerksfähig sollten erachtet werden. — Weiterhin trat die Reichszunftordnung den zahl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/351>, abgerufen am 27.09.2024.