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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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nordwestlich von hier liegenden Gipfel, dem Kalogeros ist der Sage nach das
Grab des h. Dionysios und auf dem nördlichsten, dem höchsten (9754 Fuß)
die kleine Kirche des h. Elias. Weiter unten, am östlichen Abhang ist ein
Kloster des h. Dionysios. Nilo erzählte, dieser habe dort mit einem Stäbe
an den Felsen geschlagen, worauf eine Quelle entsprungen sei, die noch fließe.
Der Gipfel, auf welchem ich stand, trug anstatt des goldnen Estrichs der
Olympischen Götterhallen einen Fußboden von großen rothen Fliesen aus ge¬
branntem Thon, die ungefähr anderthalb Fuß lang und breit waren. Als
die Aussicht auf das Meer sich öffnete und einige Segel als kleine weiße
Pünktchen sichtbar wurden, fragte mich Nilo, was dies doch wohl sein möchte.
Auf meine Antwort, es seien segelnde Schiffe, verwunderte er sich sehr; in
seinen Bergen aufgewachsen, hatte er, trotz der großen Nähe des Meeres, nie
ein Schiff gesehen.

Gern hätte ich länger verweilt auf dem erhabenen Gipfel des Götterberges,
gern hätte ich die völlige Aufklärung der Witterung abgewartet, aber es war
gar zu kalt dort oben. Die Füße, vom Schnee durchnäßt, schmerzten heftig;
auch neigte sich bereits die Sonne zum Untergange und der Jäger trieb uner¬
bittlich und mit Recht zur Rückkehr. Als wir ein wenig hinuntergestiegen,
hatte sich gegen Südosten, unter uns, eine ungeheure schwarze Wolkenmasse
zusammengethürmt, -- plötzlich zuckten lauge zackige Blitze aus ihr hervor und
ein mächtiger Donner durchhallte die einsame Gebirgswelt. Ich sah nach dein
Gipfel zurück, wo man einen Theil des Himmels von Wolken frei und sein
Blau vom tiefsten Dunkel erblickte, so wie ich sonst niemals an irgend einem
anderen Orte es gesehn. Der Jäger schaute auch hinauf, und sich bekreuzend
und die Pcmagia anrufend, sagte er: "Solcher Himmel erregt Schrecken, er
ist nicht blau, er ist schwarz!" In der That hatte diese Naturscene etwas
Schauer Erregendes: Noch lebt die Sage unter dem Volke, daß dort in alten
Zeiten Dämonen (^"t^o^t", worunter man heut zu Tage Teufel versteht) ge¬
haust hätten, und daß es jetzt immer noch nicht ganz richtig sei. Der Olymp
hat übrigens, indem er jetzt Elympos genannt wird, seinen antiken Namen
so ziemlich conservirt, während die meisten anderen griechischen Berge ihn
vollständig durch Vertauschung mit türkischen oder christlichen verloren haben.

Bald darauf sahen wir nicht gar weit von uns zwei wilde Ziegen oder
Gemsen, doch zu früh erblickten sie uns, Pfiffen und zogen sich pfeilschnell auf
ein Schneefeld zurück. Als wir uns wieder den niederen Regionen näherten
-- auf einem andern Wege als den wir hinaufgestiegen waren -- zeigte mir
der Jäger in der Ferne eine kleine grüne Wiesenstelle und bemerkte, daß
dort vielleicht gegen Abend sich Hirsche oder anderes großes Wild zur
Aetzung einstellen werde. Er schlug mir vor, daß ich allein dorthin gehen


nordwestlich von hier liegenden Gipfel, dem Kalogeros ist der Sage nach das
Grab des h. Dionysios und auf dem nördlichsten, dem höchsten (9754 Fuß)
die kleine Kirche des h. Elias. Weiter unten, am östlichen Abhang ist ein
Kloster des h. Dionysios. Nilo erzählte, dieser habe dort mit einem Stäbe
an den Felsen geschlagen, worauf eine Quelle entsprungen sei, die noch fließe.
Der Gipfel, auf welchem ich stand, trug anstatt des goldnen Estrichs der
Olympischen Götterhallen einen Fußboden von großen rothen Fliesen aus ge¬
branntem Thon, die ungefähr anderthalb Fuß lang und breit waren. Als
die Aussicht auf das Meer sich öffnete und einige Segel als kleine weiße
Pünktchen sichtbar wurden, fragte mich Nilo, was dies doch wohl sein möchte.
Auf meine Antwort, es seien segelnde Schiffe, verwunderte er sich sehr; in
seinen Bergen aufgewachsen, hatte er, trotz der großen Nähe des Meeres, nie
ein Schiff gesehen.

Gern hätte ich länger verweilt auf dem erhabenen Gipfel des Götterberges,
gern hätte ich die völlige Aufklärung der Witterung abgewartet, aber es war
gar zu kalt dort oben. Die Füße, vom Schnee durchnäßt, schmerzten heftig;
auch neigte sich bereits die Sonne zum Untergange und der Jäger trieb uner¬
bittlich und mit Recht zur Rückkehr. Als wir ein wenig hinuntergestiegen,
hatte sich gegen Südosten, unter uns, eine ungeheure schwarze Wolkenmasse
zusammengethürmt, — plötzlich zuckten lauge zackige Blitze aus ihr hervor und
ein mächtiger Donner durchhallte die einsame Gebirgswelt. Ich sah nach dein
Gipfel zurück, wo man einen Theil des Himmels von Wolken frei und sein
Blau vom tiefsten Dunkel erblickte, so wie ich sonst niemals an irgend einem
anderen Orte es gesehn. Der Jäger schaute auch hinauf, und sich bekreuzend
und die Pcmagia anrufend, sagte er: „Solcher Himmel erregt Schrecken, er
ist nicht blau, er ist schwarz!" In der That hatte diese Naturscene etwas
Schauer Erregendes: Noch lebt die Sage unter dem Volke, daß dort in alten
Zeiten Dämonen (^«t^o^t«, worunter man heut zu Tage Teufel versteht) ge¬
haust hätten, und daß es jetzt immer noch nicht ganz richtig sei. Der Olymp
hat übrigens, indem er jetzt Elympos genannt wird, seinen antiken Namen
so ziemlich conservirt, während die meisten anderen griechischen Berge ihn
vollständig durch Vertauschung mit türkischen oder christlichen verloren haben.

Bald darauf sahen wir nicht gar weit von uns zwei wilde Ziegen oder
Gemsen, doch zu früh erblickten sie uns, Pfiffen und zogen sich pfeilschnell auf
ein Schneefeld zurück. Als wir uns wieder den niederen Regionen näherten
— auf einem andern Wege als den wir hinaufgestiegen waren — zeigte mir
der Jäger in der Ferne eine kleine grüne Wiesenstelle und bemerkte, daß
dort vielleicht gegen Abend sich Hirsche oder anderes großes Wild zur
Aetzung einstellen werde. Er schlug mir vor, daß ich allein dorthin gehen


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[0279] nordwestlich von hier liegenden Gipfel, dem Kalogeros ist der Sage nach das Grab des h. Dionysios und auf dem nördlichsten, dem höchsten (9754 Fuß) die kleine Kirche des h. Elias. Weiter unten, am östlichen Abhang ist ein Kloster des h. Dionysios. Nilo erzählte, dieser habe dort mit einem Stäbe an den Felsen geschlagen, worauf eine Quelle entsprungen sei, die noch fließe. Der Gipfel, auf welchem ich stand, trug anstatt des goldnen Estrichs der Olympischen Götterhallen einen Fußboden von großen rothen Fliesen aus ge¬ branntem Thon, die ungefähr anderthalb Fuß lang und breit waren. Als die Aussicht auf das Meer sich öffnete und einige Segel als kleine weiße Pünktchen sichtbar wurden, fragte mich Nilo, was dies doch wohl sein möchte. Auf meine Antwort, es seien segelnde Schiffe, verwunderte er sich sehr; in seinen Bergen aufgewachsen, hatte er, trotz der großen Nähe des Meeres, nie ein Schiff gesehen. Gern hätte ich länger verweilt auf dem erhabenen Gipfel des Götterberges, gern hätte ich die völlige Aufklärung der Witterung abgewartet, aber es war gar zu kalt dort oben. Die Füße, vom Schnee durchnäßt, schmerzten heftig; auch neigte sich bereits die Sonne zum Untergange und der Jäger trieb uner¬ bittlich und mit Recht zur Rückkehr. Als wir ein wenig hinuntergestiegen, hatte sich gegen Südosten, unter uns, eine ungeheure schwarze Wolkenmasse zusammengethürmt, — plötzlich zuckten lauge zackige Blitze aus ihr hervor und ein mächtiger Donner durchhallte die einsame Gebirgswelt. Ich sah nach dein Gipfel zurück, wo man einen Theil des Himmels von Wolken frei und sein Blau vom tiefsten Dunkel erblickte, so wie ich sonst niemals an irgend einem anderen Orte es gesehn. Der Jäger schaute auch hinauf, und sich bekreuzend und die Pcmagia anrufend, sagte er: „Solcher Himmel erregt Schrecken, er ist nicht blau, er ist schwarz!" In der That hatte diese Naturscene etwas Schauer Erregendes: Noch lebt die Sage unter dem Volke, daß dort in alten Zeiten Dämonen (^«t^o^t«, worunter man heut zu Tage Teufel versteht) ge¬ haust hätten, und daß es jetzt immer noch nicht ganz richtig sei. Der Olymp hat übrigens, indem er jetzt Elympos genannt wird, seinen antiken Namen so ziemlich conservirt, während die meisten anderen griechischen Berge ihn vollständig durch Vertauschung mit türkischen oder christlichen verloren haben. Bald darauf sahen wir nicht gar weit von uns zwei wilde Ziegen oder Gemsen, doch zu früh erblickten sie uns, Pfiffen und zogen sich pfeilschnell auf ein Schneefeld zurück. Als wir uns wieder den niederen Regionen näherten — auf einem andern Wege als den wir hinaufgestiegen waren — zeigte mir der Jäger in der Ferne eine kleine grüne Wiesenstelle und bemerkte, daß dort vielleicht gegen Abend sich Hirsche oder anderes großes Wild zur Aetzung einstellen werde. Er schlug mir vor, daß ich allein dorthin gehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/279>, abgerufen am 27.09.2024.