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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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stellmig. Aber auch sie muß man kennen, um beurtheilen zu können, in wie
weit auch die zweite Anklage begründet ist oder nicht.

Willkommene Gaste sind dem Bibliothekar natürlich die, die ein bestimmtes,
wirklich in der Welt existirendes Buch fordern und diese Forderung, sei es
mündlich oder schriftlich, so formuliren, daß sie an bibliographischer Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig läßt und jede Verwechslung ausschließt. Das Buch
ist dann, wie der Katalog ausweist, entweder "da" oder "nicht da", und wenn
es "da" ist, so ist es, wie wiederum der Standort ausweist, entweder "zu
Hause" oder "verliehen." In zwei Minuten ist das Geschäft erledigt. Beweist
der Suchende zum Ueberfluß einen so weiten Blick, daß er für den Fall, daß
das gewünschte Buch "uicht zu Hause" sein sollte, ein zweites und für dieses
wieder ein drittes, in der Bibliothek vielleicht dicht neben dem ersten stehendes
als eventuellen Ersatz bezeichnet und so dem Bibliothekar den. wiederholten Weg
durch vier, fünf Säle, treppauf treppab, erspart, so ist die Summe dessen erfüllt,
was einen Bibliotheksbesncher in den Augen des Bibliothekars empfehlen kann.
Der letztere wird natürlich, wo diese Weite des Blickes dem Besucher fehlt,
selber stets von vornherein durch entsprechende Fragen und daran geknüpfte
Vorschlüge das Verfahren abzukürzen suchen, namentlich wenn es sich um
Bücher handelt, die im Nothfalle leicht dnrch andere ersetzt werden können.

Und doch sind die eben geschilderten die liebsten Gäste noch nicht. Wenn
der Bibliothekar mehr als ein gewöhnlicher Bibliotheksbeamter oder Expedient,
wenn er ein wirklicher Bibliothekar ist, so giebt es andere Gäste für ihn, die
ihm noch willkommener sind. Das sind die, welche zunächst gar kein bestimmtes
Buch, soudern vor allen Dingen guten Rath suchen. Jedem, der wissenschaftlich
arbeitet, begegnet es, daß er bei seinen Studien genöthigt ist, Streifzüge in die
Grenzgebiete seiner speziellen Fachwissenschaft zu unternehmen; daß er auch
in diesen Grenzgebieten und ihrer Literatur so zu Hause sei, wie in dem
Hauptgebiete seiner Studien, ist nicht vorauszusetzen. Hier beginnt nun die
dankbarste und erfreulichste Aufgabe des Bibliothekars. Er wird vermöge
seiner allgemeineren, wenn auch oft nur sehr äußerlichen Bücherkenntniß in
vielen Fällen mit Winken und Rathschlägen an die Hand gehen können, wird
dem. der sich orientiren will, die geeignetsten Hilfsmittel nachweisen --
nöthigenfalls unterstützt durch den nicht alphabetisch, sondern systematisch ge¬
ordneten "Fachkatalog." Aber auch auf seinem eigensten Gebiete kann der
Arbeitende bisweilen in Bedrängnisse kommen, aus denen nur der Bibliothekar
ihn retten kann. Man denke an ungenaue oder allzu abgekürzte und deßhalb
kaum verständliche oder womöglich gar falsche Zitate. Diesem Ungeziefer gegen¬
über, das nun einmal in wissenschaftlichen Werken nicht auszurotten ist, bleibt
die bibliothekarische Routine oft die einzige Zuflucht. Man kann z. B. ein sehr


stellmig. Aber auch sie muß man kennen, um beurtheilen zu können, in wie
weit auch die zweite Anklage begründet ist oder nicht.

Willkommene Gaste sind dem Bibliothekar natürlich die, die ein bestimmtes,
wirklich in der Welt existirendes Buch fordern und diese Forderung, sei es
mündlich oder schriftlich, so formuliren, daß sie an bibliographischer Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig läßt und jede Verwechslung ausschließt. Das Buch
ist dann, wie der Katalog ausweist, entweder „da" oder „nicht da", und wenn
es „da" ist, so ist es, wie wiederum der Standort ausweist, entweder „zu
Hause" oder „verliehen." In zwei Minuten ist das Geschäft erledigt. Beweist
der Suchende zum Ueberfluß einen so weiten Blick, daß er für den Fall, daß
das gewünschte Buch „uicht zu Hause" sein sollte, ein zweites und für dieses
wieder ein drittes, in der Bibliothek vielleicht dicht neben dem ersten stehendes
als eventuellen Ersatz bezeichnet und so dem Bibliothekar den. wiederholten Weg
durch vier, fünf Säle, treppauf treppab, erspart, so ist die Summe dessen erfüllt,
was einen Bibliotheksbesncher in den Augen des Bibliothekars empfehlen kann.
Der letztere wird natürlich, wo diese Weite des Blickes dem Besucher fehlt,
selber stets von vornherein durch entsprechende Fragen und daran geknüpfte
Vorschlüge das Verfahren abzukürzen suchen, namentlich wenn es sich um
Bücher handelt, die im Nothfalle leicht dnrch andere ersetzt werden können.

Und doch sind die eben geschilderten die liebsten Gäste noch nicht. Wenn
der Bibliothekar mehr als ein gewöhnlicher Bibliotheksbeamter oder Expedient,
wenn er ein wirklicher Bibliothekar ist, so giebt es andere Gäste für ihn, die
ihm noch willkommener sind. Das sind die, welche zunächst gar kein bestimmtes
Buch, soudern vor allen Dingen guten Rath suchen. Jedem, der wissenschaftlich
arbeitet, begegnet es, daß er bei seinen Studien genöthigt ist, Streifzüge in die
Grenzgebiete seiner speziellen Fachwissenschaft zu unternehmen; daß er auch
in diesen Grenzgebieten und ihrer Literatur so zu Hause sei, wie in dem
Hauptgebiete seiner Studien, ist nicht vorauszusetzen. Hier beginnt nun die
dankbarste und erfreulichste Aufgabe des Bibliothekars. Er wird vermöge
seiner allgemeineren, wenn auch oft nur sehr äußerlichen Bücherkenntniß in
vielen Fällen mit Winken und Rathschlägen an die Hand gehen können, wird
dem. der sich orientiren will, die geeignetsten Hilfsmittel nachweisen —
nöthigenfalls unterstützt durch den nicht alphabetisch, sondern systematisch ge¬
ordneten „Fachkatalog." Aber auch auf seinem eigensten Gebiete kann der
Arbeitende bisweilen in Bedrängnisse kommen, aus denen nur der Bibliothekar
ihn retten kann. Man denke an ungenaue oder allzu abgekürzte und deßhalb
kaum verständliche oder womöglich gar falsche Zitate. Diesem Ungeziefer gegen¬
über, das nun einmal in wissenschaftlichen Werken nicht auszurotten ist, bleibt
die bibliothekarische Routine oft die einzige Zuflucht. Man kann z. B. ein sehr


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[0266] stellmig. Aber auch sie muß man kennen, um beurtheilen zu können, in wie weit auch die zweite Anklage begründet ist oder nicht. Willkommene Gaste sind dem Bibliothekar natürlich die, die ein bestimmtes, wirklich in der Welt existirendes Buch fordern und diese Forderung, sei es mündlich oder schriftlich, so formuliren, daß sie an bibliographischer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt und jede Verwechslung ausschließt. Das Buch ist dann, wie der Katalog ausweist, entweder „da" oder „nicht da", und wenn es „da" ist, so ist es, wie wiederum der Standort ausweist, entweder „zu Hause" oder „verliehen." In zwei Minuten ist das Geschäft erledigt. Beweist der Suchende zum Ueberfluß einen so weiten Blick, daß er für den Fall, daß das gewünschte Buch „uicht zu Hause" sein sollte, ein zweites und für dieses wieder ein drittes, in der Bibliothek vielleicht dicht neben dem ersten stehendes als eventuellen Ersatz bezeichnet und so dem Bibliothekar den. wiederholten Weg durch vier, fünf Säle, treppauf treppab, erspart, so ist die Summe dessen erfüllt, was einen Bibliotheksbesncher in den Augen des Bibliothekars empfehlen kann. Der letztere wird natürlich, wo diese Weite des Blickes dem Besucher fehlt, selber stets von vornherein durch entsprechende Fragen und daran geknüpfte Vorschlüge das Verfahren abzukürzen suchen, namentlich wenn es sich um Bücher handelt, die im Nothfalle leicht dnrch andere ersetzt werden können. Und doch sind die eben geschilderten die liebsten Gäste noch nicht. Wenn der Bibliothekar mehr als ein gewöhnlicher Bibliotheksbeamter oder Expedient, wenn er ein wirklicher Bibliothekar ist, so giebt es andere Gäste für ihn, die ihm noch willkommener sind. Das sind die, welche zunächst gar kein bestimmtes Buch, soudern vor allen Dingen guten Rath suchen. Jedem, der wissenschaftlich arbeitet, begegnet es, daß er bei seinen Studien genöthigt ist, Streifzüge in die Grenzgebiete seiner speziellen Fachwissenschaft zu unternehmen; daß er auch in diesen Grenzgebieten und ihrer Literatur so zu Hause sei, wie in dem Hauptgebiete seiner Studien, ist nicht vorauszusetzen. Hier beginnt nun die dankbarste und erfreulichste Aufgabe des Bibliothekars. Er wird vermöge seiner allgemeineren, wenn auch oft nur sehr äußerlichen Bücherkenntniß in vielen Fällen mit Winken und Rathschlägen an die Hand gehen können, wird dem. der sich orientiren will, die geeignetsten Hilfsmittel nachweisen — nöthigenfalls unterstützt durch den nicht alphabetisch, sondern systematisch ge¬ ordneten „Fachkatalog." Aber auch auf seinem eigensten Gebiete kann der Arbeitende bisweilen in Bedrängnisse kommen, aus denen nur der Bibliothekar ihn retten kann. Man denke an ungenaue oder allzu abgekürzte und deßhalb kaum verständliche oder womöglich gar falsche Zitate. Diesem Ungeziefer gegen¬ über, das nun einmal in wissenschaftlichen Werken nicht auszurotten ist, bleibt die bibliothekarische Routine oft die einzige Zuflucht. Man kann z. B. ein sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/266>, abgerufen am 27.09.2024.