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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Wesens unwillkürlich; die Noth zwang immer größeren Massen den Miethlings¬
spieß in die Hand. War doch die Zahl derer, die von der blinden Parteiwuth
der siegenden Oligarchen oder Demokraten der Heimath beraubt wurden, un¬
glaublich groß. Gleich beim Beginne des peloponnesischen Krieges z. B. zwangen
die Athener Aiginas wehrlose Einwohner sämmtlich auszuwandern.*) Die
tierbannten Heimathlosen sind zu allen Zeiten die Hauptträger des Söldnerthums
gewesen -- eine Erscheinung, die sich besonders deutlich im späterem Mittelalter
Italiens zeigt. -- Als dann der Bruderkrieg der hellenischen Stämme endete und der
Bruderkrieg der persischen Königssöhne begann, da boten sich in Griechenland
so viele unbenutzte kriegerische Kräfte dar, daß es dem jüngeren Knrnsch leicht
ward, eine Streitmacht von mehr als 13,000 hellenischen Söldnern aufzustel¬
len, unter denen sich nicht wenige wahrhaft ausgezeichnete Männer befanden.
Denn während früher Heimathlosigkcit als das größte Unglück betrachtet wor¬
den war, das einen Griechen treffen könne, so hatte nun der lange Bürgerkrieg
die Anhänglichkeit äst den Geburtsort zerstört. An ihre Stelle war ein Streben
in's Weite getreten, ja ein kosmopolitischer Zug, wie ihn z. B. Xenophones
Kyropädie erkennen läßt; und da Knrnsch versprach, er werde den Fußgängern,
die ihm dienen wollten, Rosse, den Reitern Wagen, allen aber Aecker und
Dörfer geben und den Sold nicht zählen, sondern messen, so begreift mau,
wie das die verarmten Griechen reizen mochte.

Und nun trat eine Erscheinung ein, welche gleichfalls in der Kriegsgeschichte
immer wiederkehrt: der neuen Art der Heeresaufstellung folgt eine neue
Taktik auf dem Fuße. Der Schauplatz, auf dem sich dieselbe entwickelt, ist
Asien. Die 13,000 Griechen des Knrnsch, obgleich nicht unter einheitlicher
Führung als organisches Ganzes zusammengehalten, siegten in der Schlacht
von Kunaxa, aber ihre 100,000 barbarischen Mitkämpfer unterlagen und Kn¬
rnsch selbst blieb. Die Schlacht hat, was die Theilnahme der Griechen an
ihr betrifft, ganz den Charakter der früheren; allenfalls mag man einen Fort¬
schritt in der bewußten Flankendeckung durch den Euphrat anerkennen. Ihre
eigentliche Bedeutung erhielt die asiatische Expedition erst durch den Rückzug
der Zehntausend. Unter des Atheners Xenophon Führung bahnten sich die
Griechen den Weg zur Heimath. Sie zogen zunächst längs der medischen
Mauer auf das linke Ufer des Tigris, dann an seinen Quellen vorbei zu denen
des Euphrat in den wünschen Gebirgen. Nach großen Jrrmärschen gelangte
das Heer an den Araxes und von hier über Trapezunt längs des schwarzen
Meeres nach Kotyora, von wo aus es sich zu Schiffe nach Herakleia begab.
Von hier zog ein Theil zu Lande, ein anderer zur See weiter. Bei dem Hafen



*) Göll: Kult"rbildcr ans Hellus u"d Rom.

Wesens unwillkürlich; die Noth zwang immer größeren Massen den Miethlings¬
spieß in die Hand. War doch die Zahl derer, die von der blinden Parteiwuth
der siegenden Oligarchen oder Demokraten der Heimath beraubt wurden, un¬
glaublich groß. Gleich beim Beginne des peloponnesischen Krieges z. B. zwangen
die Athener Aiginas wehrlose Einwohner sämmtlich auszuwandern.*) Die
tierbannten Heimathlosen sind zu allen Zeiten die Hauptträger des Söldnerthums
gewesen — eine Erscheinung, die sich besonders deutlich im späterem Mittelalter
Italiens zeigt. — Als dann der Bruderkrieg der hellenischen Stämme endete und der
Bruderkrieg der persischen Königssöhne begann, da boten sich in Griechenland
so viele unbenutzte kriegerische Kräfte dar, daß es dem jüngeren Knrnsch leicht
ward, eine Streitmacht von mehr als 13,000 hellenischen Söldnern aufzustel¬
len, unter denen sich nicht wenige wahrhaft ausgezeichnete Männer befanden.
Denn während früher Heimathlosigkcit als das größte Unglück betrachtet wor¬
den war, das einen Griechen treffen könne, so hatte nun der lange Bürgerkrieg
die Anhänglichkeit äst den Geburtsort zerstört. An ihre Stelle war ein Streben
in's Weite getreten, ja ein kosmopolitischer Zug, wie ihn z. B. Xenophones
Kyropädie erkennen läßt; und da Knrnsch versprach, er werde den Fußgängern,
die ihm dienen wollten, Rosse, den Reitern Wagen, allen aber Aecker und
Dörfer geben und den Sold nicht zählen, sondern messen, so begreift mau,
wie das die verarmten Griechen reizen mochte.

Und nun trat eine Erscheinung ein, welche gleichfalls in der Kriegsgeschichte
immer wiederkehrt: der neuen Art der Heeresaufstellung folgt eine neue
Taktik auf dem Fuße. Der Schauplatz, auf dem sich dieselbe entwickelt, ist
Asien. Die 13,000 Griechen des Knrnsch, obgleich nicht unter einheitlicher
Führung als organisches Ganzes zusammengehalten, siegten in der Schlacht
von Kunaxa, aber ihre 100,000 barbarischen Mitkämpfer unterlagen und Kn¬
rnsch selbst blieb. Die Schlacht hat, was die Theilnahme der Griechen an
ihr betrifft, ganz den Charakter der früheren; allenfalls mag man einen Fort¬
schritt in der bewußten Flankendeckung durch den Euphrat anerkennen. Ihre
eigentliche Bedeutung erhielt die asiatische Expedition erst durch den Rückzug
der Zehntausend. Unter des Atheners Xenophon Führung bahnten sich die
Griechen den Weg zur Heimath. Sie zogen zunächst längs der medischen
Mauer auf das linke Ufer des Tigris, dann an seinen Quellen vorbei zu denen
des Euphrat in den wünschen Gebirgen. Nach großen Jrrmärschen gelangte
das Heer an den Araxes und von hier über Trapezunt längs des schwarzen
Meeres nach Kotyora, von wo aus es sich zu Schiffe nach Herakleia begab.
Von hier zog ein Theil zu Lande, ein anderer zur See weiter. Bei dem Hafen



*) Göll: Kult»rbildcr ans Hellus u»d Rom.
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[0251] Wesens unwillkürlich; die Noth zwang immer größeren Massen den Miethlings¬ spieß in die Hand. War doch die Zahl derer, die von der blinden Parteiwuth der siegenden Oligarchen oder Demokraten der Heimath beraubt wurden, un¬ glaublich groß. Gleich beim Beginne des peloponnesischen Krieges z. B. zwangen die Athener Aiginas wehrlose Einwohner sämmtlich auszuwandern.*) Die tierbannten Heimathlosen sind zu allen Zeiten die Hauptträger des Söldnerthums gewesen — eine Erscheinung, die sich besonders deutlich im späterem Mittelalter Italiens zeigt. — Als dann der Bruderkrieg der hellenischen Stämme endete und der Bruderkrieg der persischen Königssöhne begann, da boten sich in Griechenland so viele unbenutzte kriegerische Kräfte dar, daß es dem jüngeren Knrnsch leicht ward, eine Streitmacht von mehr als 13,000 hellenischen Söldnern aufzustel¬ len, unter denen sich nicht wenige wahrhaft ausgezeichnete Männer befanden. Denn während früher Heimathlosigkcit als das größte Unglück betrachtet wor¬ den war, das einen Griechen treffen könne, so hatte nun der lange Bürgerkrieg die Anhänglichkeit äst den Geburtsort zerstört. An ihre Stelle war ein Streben in's Weite getreten, ja ein kosmopolitischer Zug, wie ihn z. B. Xenophones Kyropädie erkennen läßt; und da Knrnsch versprach, er werde den Fußgängern, die ihm dienen wollten, Rosse, den Reitern Wagen, allen aber Aecker und Dörfer geben und den Sold nicht zählen, sondern messen, so begreift mau, wie das die verarmten Griechen reizen mochte. Und nun trat eine Erscheinung ein, welche gleichfalls in der Kriegsgeschichte immer wiederkehrt: der neuen Art der Heeresaufstellung folgt eine neue Taktik auf dem Fuße. Der Schauplatz, auf dem sich dieselbe entwickelt, ist Asien. Die 13,000 Griechen des Knrnsch, obgleich nicht unter einheitlicher Führung als organisches Ganzes zusammengehalten, siegten in der Schlacht von Kunaxa, aber ihre 100,000 barbarischen Mitkämpfer unterlagen und Kn¬ rnsch selbst blieb. Die Schlacht hat, was die Theilnahme der Griechen an ihr betrifft, ganz den Charakter der früheren; allenfalls mag man einen Fort¬ schritt in der bewußten Flankendeckung durch den Euphrat anerkennen. Ihre eigentliche Bedeutung erhielt die asiatische Expedition erst durch den Rückzug der Zehntausend. Unter des Atheners Xenophon Führung bahnten sich die Griechen den Weg zur Heimath. Sie zogen zunächst längs der medischen Mauer auf das linke Ufer des Tigris, dann an seinen Quellen vorbei zu denen des Euphrat in den wünschen Gebirgen. Nach großen Jrrmärschen gelangte das Heer an den Araxes und von hier über Trapezunt längs des schwarzen Meeres nach Kotyora, von wo aus es sich zu Schiffe nach Herakleia begab. Von hier zog ein Theil zu Lande, ein anderer zur See weiter. Bei dem Hafen *) Göll: Kult»rbildcr ans Hellus u»d Rom.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/251>, abgerufen am 20.10.2024.