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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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mal vorhanden ist, der Unterrichts z w a n g unter allen Umständen eine Härte
in sich schließt. Aus diesem Grunde ist selbst von unzweifelhaft freisinnigen
und staatsfreundlichen Stimmen die Berücksichtigung der Forderungen der
Zentrumspartei bis zu einem gewissen Grade befürwortet worden.

Sehr anders nimmt sich jedoch die Frage unter dem staatlichen Gesichts¬
punkt beurtheilt aus. Nach dem geltenden Recht ist die öffentliche Volksschule
eine ausschließlich staatliche Anstalt. Der Religionsunterricht ist ein integriren-
der Bestandtheil des Lehrplanes dieser Volksschule, wird also wie jeder andere
Unterrichtszweig im Auftrage des Staates ertheilt. Den verschiedenen Reli¬
gionsgesellschaften ist zwar durch Art. 24 der Verfassung das Recht der "Lei¬
tung" des Religionsunterrichts in der Volksschule zugestanden; aber aus der
eben bezeichneten prinzipiellen Stellung des Staates zur Volksschule ergiebt
sich von selbst, daß dies Recht auf Leitung nicht identisch sein kann mit einem
Recht auf Erth eilung des Religionsunterrichts. Die Leitung kann vielmehr
in der praktischen Ausübung nur eine Kontrole der Richtigkeit der Religions-
lehre und eventuell eine entsprechende Beschwerdeführung bei der staatlichen
Oberbehörde bedeuten. Nach alledem ist klar, daß der Staat an der beson¬
deren missio 0g,nom<A des von ihm mit der Ertheilung des katholischen Reli¬
gionsunterrichts Beauftragten gar kein Interesse hat; sür ihn genügt es, wenn
derselbe in dem vorgeschriebenen Bildungsgange die materielle Befähigung zur
Ertheilung des Religionsunterrichts nach den Lehren der katholischen Kirche
erlangt hat.

Wie hat sich nun das Verhältniß in den bischvsslvsen Diözesen thatsäch¬
lich gestaltet? Früher wurde zu der Prüfung der Abiturienten der katholischen
Schullehrerseminare ein bischöflicher Delegirter entsandt, und die in dessen An¬
wesenheit bestandene Prüfung in der Befähigung zur Ertheilung des Religions¬
unterrichts galt zugleich als die inissw <Änomca. Der ganze Unterschied zwischen
sonst und jetzt besteht also lediglich darin, daß die betreffende Prüfung ohne
die Gegenwart eines besonderen bischöflichen Delegirten stattfindet. Im Uebrigen
genießen die katholischen Volksschullehrer genau dieselbe Vorbildung wie ehe¬
dem; die Organisation der Schullehrerseminare ist unverändert geblieben, selbst
die Lehrer ein denselben sind fast durchweg uoch diejenigen, deren Rechtgläubig-
keit von den abgesetzten Bischöfen seiner Zeit niemals in Zweifel gezogen
worden. Welcher Grund könnte da den Staat bestimmen, betreffs des Reli¬
gionsunterrichts der neu angestellten katholischen Lehrer auf eines der Funda¬
mente unseres Volksschulwesens, auf den obligatorischen Charakter des Unter¬
richts zu verzichten?

Alls den ersten Blick mag es Manchem unbedenklich scheinen, wenn der
Staat diejenigen, welche in der mangelnden missio eammj">, nnn einmal einen


mal vorhanden ist, der Unterrichts z w a n g unter allen Umständen eine Härte
in sich schließt. Aus diesem Grunde ist selbst von unzweifelhaft freisinnigen
und staatsfreundlichen Stimmen die Berücksichtigung der Forderungen der
Zentrumspartei bis zu einem gewissen Grade befürwortet worden.

Sehr anders nimmt sich jedoch die Frage unter dem staatlichen Gesichts¬
punkt beurtheilt aus. Nach dem geltenden Recht ist die öffentliche Volksschule
eine ausschließlich staatliche Anstalt. Der Religionsunterricht ist ein integriren-
der Bestandtheil des Lehrplanes dieser Volksschule, wird also wie jeder andere
Unterrichtszweig im Auftrage des Staates ertheilt. Den verschiedenen Reli¬
gionsgesellschaften ist zwar durch Art. 24 der Verfassung das Recht der „Lei¬
tung" des Religionsunterrichts in der Volksschule zugestanden; aber aus der
eben bezeichneten prinzipiellen Stellung des Staates zur Volksschule ergiebt
sich von selbst, daß dies Recht auf Leitung nicht identisch sein kann mit einem
Recht auf Erth eilung des Religionsunterrichts. Die Leitung kann vielmehr
in der praktischen Ausübung nur eine Kontrole der Richtigkeit der Religions-
lehre und eventuell eine entsprechende Beschwerdeführung bei der staatlichen
Oberbehörde bedeuten. Nach alledem ist klar, daß der Staat an der beson¬
deren missio 0g,nom<A des von ihm mit der Ertheilung des katholischen Reli¬
gionsunterrichts Beauftragten gar kein Interesse hat; sür ihn genügt es, wenn
derselbe in dem vorgeschriebenen Bildungsgange die materielle Befähigung zur
Ertheilung des Religionsunterrichts nach den Lehren der katholischen Kirche
erlangt hat.

Wie hat sich nun das Verhältniß in den bischvsslvsen Diözesen thatsäch¬
lich gestaltet? Früher wurde zu der Prüfung der Abiturienten der katholischen
Schullehrerseminare ein bischöflicher Delegirter entsandt, und die in dessen An¬
wesenheit bestandene Prüfung in der Befähigung zur Ertheilung des Religions¬
unterrichts galt zugleich als die inissw <Änomca. Der ganze Unterschied zwischen
sonst und jetzt besteht also lediglich darin, daß die betreffende Prüfung ohne
die Gegenwart eines besonderen bischöflichen Delegirten stattfindet. Im Uebrigen
genießen die katholischen Volksschullehrer genau dieselbe Vorbildung wie ehe¬
dem; die Organisation der Schullehrerseminare ist unverändert geblieben, selbst
die Lehrer ein denselben sind fast durchweg uoch diejenigen, deren Rechtgläubig-
keit von den abgesetzten Bischöfen seiner Zeit niemals in Zweifel gezogen
worden. Welcher Grund könnte da den Staat bestimmen, betreffs des Reli¬
gionsunterrichts der neu angestellten katholischen Lehrer auf eines der Funda¬
mente unseres Volksschulwesens, auf den obligatorischen Charakter des Unter¬
richts zu verzichten?

Alls den ersten Blick mag es Manchem unbedenklich scheinen, wenn der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/244>, abgerufen am 20.10.2024.