Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von dem zwar nur noch wenige Steine erhalten sind, dessen Stelle jedoch
dnrch die Vertiefung des Terrains noch sehr deutlich bezeichnet wird, und da¬
für spricht, daß die alte Stadt auf dem Boden des heutigen Larissa gelegen
ist. Türkischer Pöbel versammelte sich, unzufrieden murrend, als man mich
in der Nähe des Theaters eine Inschrift reinigen und lesen, und dessen Halb¬
zirkel abschreiten sah; lind ein Bube stieß sogar die allerdings mich weiter
nicht störende Drohung aus, daß er hingehn wolle mich anzugeben, damit die
Wache mich greifen solle. Larissa erschien mir überhaupt als ein Nest, in dem
der alte fanatische Türkengeist noch recht warm sitzt und brütet. Man erzählte
mir, daß vor nicht langer Zeit der Erzbischof sich habe müssen gefallen lassen,
von den Türken am Barte gezaust und geohrfeigt zu werden.

Um die geistlichen Herren, bei denen ich eingekehrt war, nicht weiter zu
geniren, miethete ich eine Wohnung, die mir angeboten wurde, bei zwei Brüdern
Theodoros und Mangaritis, sehr gutmüthigen und gefälligen Griechen, die
mich nun überall hin begleiteten, und mir sammt dem hellenischen Lehrer sehr
gute Gesellschaft leisteten. Diese drei und einen zum Besuch im Hause anwesenden
Fremden, Namens Thomas, Bürger der Thessalischen Stadt Turnavos, lud
ich mir zum Abendbrot ein. Nun wurde in meinem Zimmer zwar der
Tisch gedeckt, aber zu meinem Erstaunen brachten die guten Leute, um mir,
wie sie sagten, nicht beschwerlich zu fallen, jeder sein Essen, seinen Wein und
sogar sein Brod mit. Ich unterhielt mich den ganzen Abend sehr angenehm
mit ihnen, und war überrascht bei Thomas, der in Thessalien zu Hanse war
nild nur selten sein Turnavos verlassen hatte, genaue Bekanntschaft mit der
Geschichte Friedrichs des Großen, und sogar überaus tolerante Vorstellungen
von Luther und der Reformation zu finden, wie er denn auch in den Schriften
feiner Vorfahren, der alten Griechen, recht hübsch bewandert war. Erst um
Mitternacht nahm ich Abschied von meinen neuen Thessalischen Freunden,
unter lebhaftem Wunsche von beiden Seiten, daß wir uns wiedersehn möchten,
was natürlich nicht leicht in Erfüllung gehen konnte, da ich am andern Tage
in aller Frühe Larissa zu verlassen gedachte, und wohl nicht hoffen durfte, je
in meinem Leben dahin zurückzukehren.

Sowie der Morgen graute, setzte ich die Reise nach meinem Ziele, dem
alten Götterberge fort. Als ich über die lange steinerne Brücke des Peneus
ritt, umschimmerte schon die Morgenröthe den höchsten Gipfel, welchen leichte
Wolken in luftigen, röthlich glänzenden Gestalten umschwebten, erinnernd an
Homers Eos, die zum hohen Olymp hinaufsteigt, den Göttern und Sterblichen
das Licht des Tages zu verkünden. Bald vergoldete die aufgehende Sonne
die bethauten Wiesenebenen, durch die mein Weg mich hinführte, und nachdem
ich diese theils in erquickender Morgenluft, theils in glühender Tageshitze


von dem zwar nur noch wenige Steine erhalten sind, dessen Stelle jedoch
dnrch die Vertiefung des Terrains noch sehr deutlich bezeichnet wird, und da¬
für spricht, daß die alte Stadt auf dem Boden des heutigen Larissa gelegen
ist. Türkischer Pöbel versammelte sich, unzufrieden murrend, als man mich
in der Nähe des Theaters eine Inschrift reinigen und lesen, und dessen Halb¬
zirkel abschreiten sah; lind ein Bube stieß sogar die allerdings mich weiter
nicht störende Drohung aus, daß er hingehn wolle mich anzugeben, damit die
Wache mich greifen solle. Larissa erschien mir überhaupt als ein Nest, in dem
der alte fanatische Türkengeist noch recht warm sitzt und brütet. Man erzählte
mir, daß vor nicht langer Zeit der Erzbischof sich habe müssen gefallen lassen,
von den Türken am Barte gezaust und geohrfeigt zu werden.

Um die geistlichen Herren, bei denen ich eingekehrt war, nicht weiter zu
geniren, miethete ich eine Wohnung, die mir angeboten wurde, bei zwei Brüdern
Theodoros und Mangaritis, sehr gutmüthigen und gefälligen Griechen, die
mich nun überall hin begleiteten, und mir sammt dem hellenischen Lehrer sehr
gute Gesellschaft leisteten. Diese drei und einen zum Besuch im Hause anwesenden
Fremden, Namens Thomas, Bürger der Thessalischen Stadt Turnavos, lud
ich mir zum Abendbrot ein. Nun wurde in meinem Zimmer zwar der
Tisch gedeckt, aber zu meinem Erstaunen brachten die guten Leute, um mir,
wie sie sagten, nicht beschwerlich zu fallen, jeder sein Essen, seinen Wein und
sogar sein Brod mit. Ich unterhielt mich den ganzen Abend sehr angenehm
mit ihnen, und war überrascht bei Thomas, der in Thessalien zu Hanse war
nild nur selten sein Turnavos verlassen hatte, genaue Bekanntschaft mit der
Geschichte Friedrichs des Großen, und sogar überaus tolerante Vorstellungen
von Luther und der Reformation zu finden, wie er denn auch in den Schriften
feiner Vorfahren, der alten Griechen, recht hübsch bewandert war. Erst um
Mitternacht nahm ich Abschied von meinen neuen Thessalischen Freunden,
unter lebhaftem Wunsche von beiden Seiten, daß wir uns wiedersehn möchten,
was natürlich nicht leicht in Erfüllung gehen konnte, da ich am andern Tage
in aller Frühe Larissa zu verlassen gedachte, und wohl nicht hoffen durfte, je
in meinem Leben dahin zurückzukehren.

Sowie der Morgen graute, setzte ich die Reise nach meinem Ziele, dem
alten Götterberge fort. Als ich über die lange steinerne Brücke des Peneus
ritt, umschimmerte schon die Morgenröthe den höchsten Gipfel, welchen leichte
Wolken in luftigen, röthlich glänzenden Gestalten umschwebten, erinnernd an
Homers Eos, die zum hohen Olymp hinaufsteigt, den Göttern und Sterblichen
das Licht des Tages zu verkünden. Bald vergoldete die aufgehende Sonne
die bethauten Wiesenebenen, durch die mein Weg mich hinführte, und nachdem
ich diese theils in erquickender Morgenluft, theils in glühender Tageshitze


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139531"/>
          <p xml:id="ID_665" prev="#ID_664"> von dem zwar nur noch wenige Steine erhalten sind, dessen Stelle jedoch<lb/>
dnrch die Vertiefung des Terrains noch sehr deutlich bezeichnet wird, und da¬<lb/>
für spricht, daß die alte Stadt auf dem Boden des heutigen Larissa gelegen<lb/>
ist. Türkischer Pöbel versammelte sich, unzufrieden murrend, als man mich<lb/>
in der Nähe des Theaters eine Inschrift reinigen und lesen, und dessen Halb¬<lb/>
zirkel abschreiten sah; lind ein Bube stieß sogar die allerdings mich weiter<lb/>
nicht störende Drohung aus, daß er hingehn wolle mich anzugeben, damit die<lb/>
Wache mich greifen solle. Larissa erschien mir überhaupt als ein Nest, in dem<lb/>
der alte fanatische Türkengeist noch recht warm sitzt und brütet. Man erzählte<lb/>
mir, daß vor nicht langer Zeit der Erzbischof sich habe müssen gefallen lassen,<lb/>
von den Türken am Barte gezaust und geohrfeigt zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_666"> Um die geistlichen Herren, bei denen ich eingekehrt war, nicht weiter zu<lb/>
geniren, miethete ich eine Wohnung, die mir angeboten wurde, bei zwei Brüdern<lb/>
Theodoros und Mangaritis, sehr gutmüthigen und gefälligen Griechen, die<lb/>
mich nun überall hin begleiteten, und mir sammt dem hellenischen Lehrer sehr<lb/>
gute Gesellschaft leisteten. Diese drei und einen zum Besuch im Hause anwesenden<lb/>
Fremden, Namens Thomas, Bürger der Thessalischen Stadt Turnavos, lud<lb/>
ich mir zum Abendbrot ein. Nun wurde in meinem Zimmer zwar der<lb/>
Tisch gedeckt, aber zu meinem Erstaunen brachten die guten Leute, um mir,<lb/>
wie sie sagten, nicht beschwerlich zu fallen, jeder sein Essen, seinen Wein und<lb/>
sogar sein Brod mit. Ich unterhielt mich den ganzen Abend sehr angenehm<lb/>
mit ihnen, und war überrascht bei Thomas, der in Thessalien zu Hanse war<lb/>
nild nur selten sein Turnavos verlassen hatte, genaue Bekanntschaft mit der<lb/>
Geschichte Friedrichs des Großen, und sogar überaus tolerante Vorstellungen<lb/>
von Luther und der Reformation zu finden, wie er denn auch in den Schriften<lb/>
feiner Vorfahren, der alten Griechen, recht hübsch bewandert war. Erst um<lb/>
Mitternacht nahm ich Abschied von meinen neuen Thessalischen Freunden,<lb/>
unter lebhaftem Wunsche von beiden Seiten, daß wir uns wiedersehn möchten,<lb/>
was natürlich nicht leicht in Erfüllung gehen konnte, da ich am andern Tage<lb/>
in aller Frühe Larissa zu verlassen gedachte, und wohl nicht hoffen durfte, je<lb/>
in meinem Leben dahin zurückzukehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_667" next="#ID_668"> Sowie der Morgen graute, setzte ich die Reise nach meinem Ziele, dem<lb/>
alten Götterberge fort. Als ich über die lange steinerne Brücke des Peneus<lb/>
ritt, umschimmerte schon die Morgenröthe den höchsten Gipfel, welchen leichte<lb/>
Wolken in luftigen, röthlich glänzenden Gestalten umschwebten, erinnernd an<lb/>
Homers Eos, die zum hohen Olymp hinaufsteigt, den Göttern und Sterblichen<lb/>
das Licht des Tages zu verkünden. Bald vergoldete die aufgehende Sonne<lb/>
die bethauten Wiesenebenen, durch die mein Weg mich hinführte, und nachdem<lb/>
ich diese theils in erquickender Morgenluft, theils in glühender Tageshitze</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0238] von dem zwar nur noch wenige Steine erhalten sind, dessen Stelle jedoch dnrch die Vertiefung des Terrains noch sehr deutlich bezeichnet wird, und da¬ für spricht, daß die alte Stadt auf dem Boden des heutigen Larissa gelegen ist. Türkischer Pöbel versammelte sich, unzufrieden murrend, als man mich in der Nähe des Theaters eine Inschrift reinigen und lesen, und dessen Halb¬ zirkel abschreiten sah; lind ein Bube stieß sogar die allerdings mich weiter nicht störende Drohung aus, daß er hingehn wolle mich anzugeben, damit die Wache mich greifen solle. Larissa erschien mir überhaupt als ein Nest, in dem der alte fanatische Türkengeist noch recht warm sitzt und brütet. Man erzählte mir, daß vor nicht langer Zeit der Erzbischof sich habe müssen gefallen lassen, von den Türken am Barte gezaust und geohrfeigt zu werden. Um die geistlichen Herren, bei denen ich eingekehrt war, nicht weiter zu geniren, miethete ich eine Wohnung, die mir angeboten wurde, bei zwei Brüdern Theodoros und Mangaritis, sehr gutmüthigen und gefälligen Griechen, die mich nun überall hin begleiteten, und mir sammt dem hellenischen Lehrer sehr gute Gesellschaft leisteten. Diese drei und einen zum Besuch im Hause anwesenden Fremden, Namens Thomas, Bürger der Thessalischen Stadt Turnavos, lud ich mir zum Abendbrot ein. Nun wurde in meinem Zimmer zwar der Tisch gedeckt, aber zu meinem Erstaunen brachten die guten Leute, um mir, wie sie sagten, nicht beschwerlich zu fallen, jeder sein Essen, seinen Wein und sogar sein Brod mit. Ich unterhielt mich den ganzen Abend sehr angenehm mit ihnen, und war überrascht bei Thomas, der in Thessalien zu Hanse war nild nur selten sein Turnavos verlassen hatte, genaue Bekanntschaft mit der Geschichte Friedrichs des Großen, und sogar überaus tolerante Vorstellungen von Luther und der Reformation zu finden, wie er denn auch in den Schriften feiner Vorfahren, der alten Griechen, recht hübsch bewandert war. Erst um Mitternacht nahm ich Abschied von meinen neuen Thessalischen Freunden, unter lebhaftem Wunsche von beiden Seiten, daß wir uns wiedersehn möchten, was natürlich nicht leicht in Erfüllung gehen konnte, da ich am andern Tage in aller Frühe Larissa zu verlassen gedachte, und wohl nicht hoffen durfte, je in meinem Leben dahin zurückzukehren. Sowie der Morgen graute, setzte ich die Reise nach meinem Ziele, dem alten Götterberge fort. Als ich über die lange steinerne Brücke des Peneus ritt, umschimmerte schon die Morgenröthe den höchsten Gipfel, welchen leichte Wolken in luftigen, röthlich glänzenden Gestalten umschwebten, erinnernd an Homers Eos, die zum hohen Olymp hinaufsteigt, den Göttern und Sterblichen das Licht des Tages zu verkünden. Bald vergoldete die aufgehende Sonne die bethauten Wiesenebenen, durch die mein Weg mich hinführte, und nachdem ich diese theils in erquickender Morgenluft, theils in glühender Tageshitze

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/238
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/238>, abgerufen am 20.10.2024.