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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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ten, lieber waren und er z.B. aus dem Umgange mit Beethoven im Sommer
1812 in Teplitz eben auch nur gelernt hatte, was man "auf dein Clavier"
machen könne",*) so war es auch hier freilich nnr solch ein finger- und
formfixer Musiker, deu er in dem kleinen Zirkel, welchen seine Person sich ge¬
bildet, duldete und auch wirklich nur dulden konnte und der seinerseits den per¬
sönlichen Kreis sachlich erweiterte, ohne ihn doch irgend anspruchsvoll oder
geistig und sozial bildungslos zu stören. Es war der spätere k. k. Hofkapell¬
meister Adalbert Gyrowetz aus Böhmen, der damals als Sekretär und
Violinspieler des Fürsten Ruspoli seit kurzem in Rom lebte. Hören wir, was
dieser erzählt. Sind seine Aufzeichnungen auch nicht von entscheidenden Be¬
lang, so erscheinen sie doch in einigen Punkten aufbewahrenswerth auch für
die eigentliche Goethe-Literatur und namentlich für des Dichters Biographie,
die ja noch lange nicht abgeschlossen vorliegt.

"Er lebt übrigens in stiller Zurückgezogenheit, in seinem gemüthlichen
Bewußtsein, daß er mit seinem Willen keinem Menschen in dieser Welt geschadet
habe, und erwartet ruhig und friedlich das Ende seines mühevollen Lebens,
nachdem er im Jahre 1847 ein Alter von 85 Jahren erreicht hatte", so sagt,
ihren Verfasser nach Seiten seines Charakters deutlich genug bezeichnend, die
"Biographie des Adalbert Gyrowetz", die er damals selbst geschrieben und die
im folgenden Jahre, 1848, in Wien in der Mechitaristen-Buchdruckerei für
seine Freunde und näheren Bekannten gedruckt wurde. Den Ausdruck großer
Gutmüthigkeit hat auch das Porträt des alten weißen Kopfes, das dem Heftchen
beigegeben ist. Und wenn wir nun weiter hören, daß neben dieser bequemen
Umgänglichkeit, die vor allen den slavischen Oesterreicher auszeichnet, auch
abgesehen von den musikalischen Fähigkeiten eine gewisse allgemeine Bildung
herging, so begreifen wir, daß Goethe in feiner damaligen Lage und Verfassung
einen solchen jungen Mann gerade am liebsten unmittelbar um und bei sich haben
mochte. Er störte ihn nicht in seinen Intuitionen, von denen der junge
Böhme gewiß keine Ahnung hatte, und nahm doch Antheil genug an den
großen und schönen Dingen, die ihnen allen da Tag sür Tag begegneten und in
Goethe eine "Wiedergeburt vou innen heraus" wirkten, hatte aber andererseits
auch ein geistiges Eigengebiet, und zwar ein solches, dem Goethe um so mehr
still verehrend gegenüberstand, als es ihm ein unverstandnes und doch nach
seiner Tiefe wohl geahntes war, dessen Priester ihm auch bei niederen Weihen
immer noch würdige Leute blieben.**)




Diese Aeußerung stammt aus den Gesprächen über Goethe in den auf der Berliner
Bibliothek befindlichen sog. Konversntionsbüchern Beethovens. Vgl. mein "Beethovens Leben"
(Leipzig 1377, III. 260).
**) Bei dem zweiten Aufenthalte in Rom hatte er seinen, man darf sagen, Leibkompo-
Grenzboten I. 1378. 24

ten, lieber waren und er z.B. aus dem Umgange mit Beethoven im Sommer
1812 in Teplitz eben auch nur gelernt hatte, was man „auf dein Clavier"
machen könne",*) so war es auch hier freilich nnr solch ein finger- und
formfixer Musiker, deu er in dem kleinen Zirkel, welchen seine Person sich ge¬
bildet, duldete und auch wirklich nur dulden konnte und der seinerseits den per¬
sönlichen Kreis sachlich erweiterte, ohne ihn doch irgend anspruchsvoll oder
geistig und sozial bildungslos zu stören. Es war der spätere k. k. Hofkapell¬
meister Adalbert Gyrowetz aus Böhmen, der damals als Sekretär und
Violinspieler des Fürsten Ruspoli seit kurzem in Rom lebte. Hören wir, was
dieser erzählt. Sind seine Aufzeichnungen auch nicht von entscheidenden Be¬
lang, so erscheinen sie doch in einigen Punkten aufbewahrenswerth auch für
die eigentliche Goethe-Literatur und namentlich für des Dichters Biographie,
die ja noch lange nicht abgeschlossen vorliegt.

„Er lebt übrigens in stiller Zurückgezogenheit, in seinem gemüthlichen
Bewußtsein, daß er mit seinem Willen keinem Menschen in dieser Welt geschadet
habe, und erwartet ruhig und friedlich das Ende seines mühevollen Lebens,
nachdem er im Jahre 1847 ein Alter von 85 Jahren erreicht hatte", so sagt,
ihren Verfasser nach Seiten seines Charakters deutlich genug bezeichnend, die
„Biographie des Adalbert Gyrowetz", die er damals selbst geschrieben und die
im folgenden Jahre, 1848, in Wien in der Mechitaristen-Buchdruckerei für
seine Freunde und näheren Bekannten gedruckt wurde. Den Ausdruck großer
Gutmüthigkeit hat auch das Porträt des alten weißen Kopfes, das dem Heftchen
beigegeben ist. Und wenn wir nun weiter hören, daß neben dieser bequemen
Umgänglichkeit, die vor allen den slavischen Oesterreicher auszeichnet, auch
abgesehen von den musikalischen Fähigkeiten eine gewisse allgemeine Bildung
herging, so begreifen wir, daß Goethe in feiner damaligen Lage und Verfassung
einen solchen jungen Mann gerade am liebsten unmittelbar um und bei sich haben
mochte. Er störte ihn nicht in seinen Intuitionen, von denen der junge
Böhme gewiß keine Ahnung hatte, und nahm doch Antheil genug an den
großen und schönen Dingen, die ihnen allen da Tag sür Tag begegneten und in
Goethe eine „Wiedergeburt vou innen heraus" wirkten, hatte aber andererseits
auch ein geistiges Eigengebiet, und zwar ein solches, dem Goethe um so mehr
still verehrend gegenüberstand, als es ihm ein unverstandnes und doch nach
seiner Tiefe wohl geahntes war, dessen Priester ihm auch bei niederen Weihen
immer noch würdige Leute blieben.**)




Diese Aeußerung stammt aus den Gesprächen über Goethe in den auf der Berliner
Bibliothek befindlichen sog. Konversntionsbüchern Beethovens. Vgl. mein „Beethovens Leben"
(Leipzig 1377, III. 260).
**) Bei dem zweiten Aufenthalte in Rom hatte er seinen, man darf sagen, Leibkompo-
Grenzboten I. 1378. 24
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[0193] ten, lieber waren und er z.B. aus dem Umgange mit Beethoven im Sommer 1812 in Teplitz eben auch nur gelernt hatte, was man „auf dein Clavier" machen könne",*) so war es auch hier freilich nnr solch ein finger- und formfixer Musiker, deu er in dem kleinen Zirkel, welchen seine Person sich ge¬ bildet, duldete und auch wirklich nur dulden konnte und der seinerseits den per¬ sönlichen Kreis sachlich erweiterte, ohne ihn doch irgend anspruchsvoll oder geistig und sozial bildungslos zu stören. Es war der spätere k. k. Hofkapell¬ meister Adalbert Gyrowetz aus Böhmen, der damals als Sekretär und Violinspieler des Fürsten Ruspoli seit kurzem in Rom lebte. Hören wir, was dieser erzählt. Sind seine Aufzeichnungen auch nicht von entscheidenden Be¬ lang, so erscheinen sie doch in einigen Punkten aufbewahrenswerth auch für die eigentliche Goethe-Literatur und namentlich für des Dichters Biographie, die ja noch lange nicht abgeschlossen vorliegt. „Er lebt übrigens in stiller Zurückgezogenheit, in seinem gemüthlichen Bewußtsein, daß er mit seinem Willen keinem Menschen in dieser Welt geschadet habe, und erwartet ruhig und friedlich das Ende seines mühevollen Lebens, nachdem er im Jahre 1847 ein Alter von 85 Jahren erreicht hatte", so sagt, ihren Verfasser nach Seiten seines Charakters deutlich genug bezeichnend, die „Biographie des Adalbert Gyrowetz", die er damals selbst geschrieben und die im folgenden Jahre, 1848, in Wien in der Mechitaristen-Buchdruckerei für seine Freunde und näheren Bekannten gedruckt wurde. Den Ausdruck großer Gutmüthigkeit hat auch das Porträt des alten weißen Kopfes, das dem Heftchen beigegeben ist. Und wenn wir nun weiter hören, daß neben dieser bequemen Umgänglichkeit, die vor allen den slavischen Oesterreicher auszeichnet, auch abgesehen von den musikalischen Fähigkeiten eine gewisse allgemeine Bildung herging, so begreifen wir, daß Goethe in feiner damaligen Lage und Verfassung einen solchen jungen Mann gerade am liebsten unmittelbar um und bei sich haben mochte. Er störte ihn nicht in seinen Intuitionen, von denen der junge Böhme gewiß keine Ahnung hatte, und nahm doch Antheil genug an den großen und schönen Dingen, die ihnen allen da Tag sür Tag begegneten und in Goethe eine „Wiedergeburt vou innen heraus" wirkten, hatte aber andererseits auch ein geistiges Eigengebiet, und zwar ein solches, dem Goethe um so mehr still verehrend gegenüberstand, als es ihm ein unverstandnes und doch nach seiner Tiefe wohl geahntes war, dessen Priester ihm auch bei niederen Weihen immer noch würdige Leute blieben.**) Diese Aeußerung stammt aus den Gesprächen über Goethe in den auf der Berliner Bibliothek befindlichen sog. Konversntionsbüchern Beethovens. Vgl. mein „Beethovens Leben" (Leipzig 1377, III. 260). **) Bei dem zweiten Aufenthalte in Rom hatte er seinen, man darf sagen, Leibkompo- Grenzboten I. 1378. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/193>, abgerufen am 19.10.2024.