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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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genseitig vor Verirrungen in extreme Abstraktionen zu schützen. Aeußerlich
prägte sich diese Einsicht in dem Abkommen aus, daß der kathedersozialistische
und der volkswirtschaftliche Kongreß Jahr um Jahr mit ihren Versammlun¬
gen alterniren und jeder von ihnen den Mitgliedern des andern als stimmbe¬
rechtigten Gästen Zutritt zu seinen Verhandlungen gewähren solle. Zweimal be¬
reits hat sich diese Einrichtung dnrch ausbewührt; 1876 auf dem volkswirtschaft¬
lichen Kongresse in Bremen, 1877 auf dem sozialpolitischen Kongresse in Ber¬
lin. Der Glanzpunkt dieser letzteren Versammlung war Schmoller's schönes
Referat über die Reform der Gewerbeordnug, das ganz frei von allen sub¬
jektiven Weltverbesserungsplänen, aus der historischen Entwicklung der deutschen
Gewerbe die nothwendigen Gesichtspunkte der Reform wie von selbst hervor¬
treten ließ und in ergreifenden Worten den deutschen Idealismus und den
deutschen Staat als die Mächte feierte, die sicher der Zukunft über den sozia¬
len Wirren der Gegenwart walteten. Es war bezeichnend, daß ein so einflu߬
reiches und hervorragendes Mitglied des volkswirtschaftlichen Kongresses, wie
H. B. Oppenheim ist, Schmoller die Hand zu gemeinsamem Wirken reichte und
sich mit seinen positiven Forderungen in Allem Md Jedem einverstanden
erklärte.

Bei solcher Lage der Dinge bedarf es keiner näheren Ausführung, wie
sehr der Geist weltenstürmender Opposition, in welchem nicht die meisten, aber
die lautesten seiner Gründer den "Verein für Sozialpolitik" stifteten, sich bis auf
den letzten Hauch verflüchtigt hat, weßhalb die Trüger dieses Geistes auf der
vorjährigen Generalversammlung ganz und gar in den Hintergrund traten.
Nur das kämpf- und streitlustigste Mitglied dieser Richtung, Professor Adolf
Wagner, Ordinarius der Volkswirthschaft an der Berliner Universität, mochte
den Verlornen Posten der Sozialisterei -- wenn es gestattet ist, diesen Aus¬
druck für eine schwankende Koketterie zu gebrauchen, die weder nach rechts
und nach links hin konsequent zu sein wagt -- ohne Weiteres aufgeben.
Er referirte auf jenem Kongresse über die Kommnnalsteuerreform und wußte
selbst in diese trockene und verwickelte Materie allerlei sozialistische Gedanken¬
späne zu verweben, die gemeiniglich in der Form ebenso provocirend, als im
Inhalte viel- und eben deshalb nichtssagend waren. Wenn er beispielsweise
die Ausdehnung des kommunistischen, des gemeinwirthschaftlichen Systems,
speziell der bezügliche" Thätigkeiten des Staats und der Gemeinde, extensiv
und intensiv als die Signatur unserer Zeit bezeichnet, so lassen sich unter
diese weitbauschige Redewendung ebensogut sehr gefährliche, wie sehr unschul¬
dige Gedankenreihen subsumiren. Wagner erfuhr wegen dieser Orakelsprüche
heftige Angriffe von Karl Braun, dem Präsidenten des volkswirthschaftlichen
Kongresses; darauf mußte er gefaßt fein, und er legte sich in seinen Repliken


genseitig vor Verirrungen in extreme Abstraktionen zu schützen. Aeußerlich
prägte sich diese Einsicht in dem Abkommen aus, daß der kathedersozialistische
und der volkswirtschaftliche Kongreß Jahr um Jahr mit ihren Versammlun¬
gen alterniren und jeder von ihnen den Mitgliedern des andern als stimmbe¬
rechtigten Gästen Zutritt zu seinen Verhandlungen gewähren solle. Zweimal be¬
reits hat sich diese Einrichtung dnrch ausbewührt; 1876 auf dem volkswirtschaft¬
lichen Kongresse in Bremen, 1877 auf dem sozialpolitischen Kongresse in Ber¬
lin. Der Glanzpunkt dieser letzteren Versammlung war Schmoller's schönes
Referat über die Reform der Gewerbeordnug, das ganz frei von allen sub¬
jektiven Weltverbesserungsplänen, aus der historischen Entwicklung der deutschen
Gewerbe die nothwendigen Gesichtspunkte der Reform wie von selbst hervor¬
treten ließ und in ergreifenden Worten den deutschen Idealismus und den
deutschen Staat als die Mächte feierte, die sicher der Zukunft über den sozia¬
len Wirren der Gegenwart walteten. Es war bezeichnend, daß ein so einflu߬
reiches und hervorragendes Mitglied des volkswirtschaftlichen Kongresses, wie
H. B. Oppenheim ist, Schmoller die Hand zu gemeinsamem Wirken reichte und
sich mit seinen positiven Forderungen in Allem Md Jedem einverstanden
erklärte.

Bei solcher Lage der Dinge bedarf es keiner näheren Ausführung, wie
sehr der Geist weltenstürmender Opposition, in welchem nicht die meisten, aber
die lautesten seiner Gründer den „Verein für Sozialpolitik" stifteten, sich bis auf
den letzten Hauch verflüchtigt hat, weßhalb die Trüger dieses Geistes auf der
vorjährigen Generalversammlung ganz und gar in den Hintergrund traten.
Nur das kämpf- und streitlustigste Mitglied dieser Richtung, Professor Adolf
Wagner, Ordinarius der Volkswirthschaft an der Berliner Universität, mochte
den Verlornen Posten der Sozialisterei — wenn es gestattet ist, diesen Aus¬
druck für eine schwankende Koketterie zu gebrauchen, die weder nach rechts
und nach links hin konsequent zu sein wagt — ohne Weiteres aufgeben.
Er referirte auf jenem Kongresse über die Kommnnalsteuerreform und wußte
selbst in diese trockene und verwickelte Materie allerlei sozialistische Gedanken¬
späne zu verweben, die gemeiniglich in der Form ebenso provocirend, als im
Inhalte viel- und eben deshalb nichtssagend waren. Wenn er beispielsweise
die Ausdehnung des kommunistischen, des gemeinwirthschaftlichen Systems,
speziell der bezügliche« Thätigkeiten des Staats und der Gemeinde, extensiv
und intensiv als die Signatur unserer Zeit bezeichnet, so lassen sich unter
diese weitbauschige Redewendung ebensogut sehr gefährliche, wie sehr unschul¬
dige Gedankenreihen subsumiren. Wagner erfuhr wegen dieser Orakelsprüche
heftige Angriffe von Karl Braun, dem Präsidenten des volkswirthschaftlichen
Kongresses; darauf mußte er gefaßt fein, und er legte sich in seinen Repliken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/183>, abgerufen am 20.10.2024.