Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.Gemeinschaften, welche bisher diese Anerkennung nicht erlangen konnten, wurde Auf dem Gebiete der Volksschule spielt sich allerwärts der Kulturkampf in Gemeinschaften, welche bisher diese Anerkennung nicht erlangen konnten, wurde Auf dem Gebiete der Volksschule spielt sich allerwärts der Kulturkampf in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139455"/> <p xml:id="ID_466" prev="#ID_465"> Gemeinschaften, welche bisher diese Anerkennung nicht erlangen konnten, wurde<lb/> die staatliche Anerkennung zu Theil. Die in Baden geweihten Neupriester,<lb/> welche ohne Ablegung des Staatsexamens über ihre allgemeine wissenschaftliche<lb/> Vorbildung in Baden zur öffentlichen Ausübung kirchlicher Funktionen nicht<lb/> zugelassen werden, pflegten nach Württemberg auszuwandern und fanden im<lb/> dortigen Kirchendienst Verwendung. Es wurde beifällig aufgenommen, daß die<lb/> badische Regierung deshalb bei dem Nachbarstaate vorstellig geworden ist. Man<lb/> freute sich über den Erfolg der Bemühung, welcher dahin zu Tage tritt, daß<lb/> die in Baden nicht anstellnngssähigen Priester anch in Württemberg keine Ver¬<lb/> wendung mehr finde«. Aehnlich wie hier Württemberg ans Anregung Badens,<lb/> hat sodann die badische Regierung, soweit bekannt aus eigenem Antrieb, gegen¬<lb/> über den norddeutschen Priesteramtskanditaten gehandelt, welche in das Priester¬<lb/> seminar zu Se. Peter bei Freiburg einzutreten pflegten. In ihrer Heimath<lb/> stand diesen jungen Herren kein Seminar mehr offen, weil die Kirchenbehörde<lb/> den in Bezug auf solche Anstalten in Preußen bestehenden staatlichen Gesetzen<lb/> den Gehorsam weigert und in Folge dessen die Seminare geschlossen sind. In<lb/> dem gewaltigen Kampf des modernen Staates gegen die römische Priester¬<lb/> kirche sind die deutschen Einzelstaaten solidarisch verbunden. Zufolge dieser<lb/> Solidarität kann kein Staat dulden oder gar begünstigen, daß die Gesetze des<lb/> anderen Staates von der Kirche und ihrer Priesterschaft mißachtet werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_467" next="#ID_468"> Auf dem Gebiete der Volksschule spielt sich allerwärts der Kulturkampf in<lb/> besonders heißen Scharmützeln ab. In Baden wurde der Fehler gemacht, daß<lb/> man bei Jnangriffuahme der in Folge des veränderten Verhältnisses zwischen<lb/> Staat und Kirche nöthig gewordenen Neuordnung des Volksschulwesens allzu<lb/> leise vorging, zagend, zögernd. Speziell hat man sich lange Jahre in wahrhaft<lb/> mädchenhafter Schüchternheit gesträubt, dem Gedanken der konfessionell gemisch¬<lb/> ten Volksschule, der doch allein dem paritätischen Staat, der paritätischen Ge¬<lb/> meinde entspricht, in die Gesetzgebung einzuführen. Es war das eine Schwäche,<lb/> die sofort bei dem ersten Anlauf zu der Neuordnung unseres Schulwesens im<lb/> Jahre 1864 hätte überwunden werden sollen. Je länger man zögerte, desto<lb/> schwieriger wurde die Lage. Die Kirche hatte deu Staat und seine Leiter in<lb/> schwachen Stunden gesehen, das machte sie kühn. Endlich, nach mühevollem<lb/> Streben, gelang es, die konfessionell gemischte Volksschule durch das Gesetz<lb/> vom 18. September 1876 zu begründen. Im abgelaufenen Jahre 1877 vollzog<lb/> sich die Umwandlung der konfessionellen Schulen in konfessionell gemischte.<lb/> Soweit hierüber etwas in die Oeffentlichkeit gedrungen ist, kann der Regierung<lb/> das Zeugniß nicht versagt werden, daß sie der Anmaßung der Kirche und dem<lb/> turbulenter Unverstand versetzter Massen gegenüber Festigkeit und Energie an<lb/> den Tag gelegt hat. Insbesondere ist sie der klaren Bestimmung des Gesetzes</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0162]
Gemeinschaften, welche bisher diese Anerkennung nicht erlangen konnten, wurde
die staatliche Anerkennung zu Theil. Die in Baden geweihten Neupriester,
welche ohne Ablegung des Staatsexamens über ihre allgemeine wissenschaftliche
Vorbildung in Baden zur öffentlichen Ausübung kirchlicher Funktionen nicht
zugelassen werden, pflegten nach Württemberg auszuwandern und fanden im
dortigen Kirchendienst Verwendung. Es wurde beifällig aufgenommen, daß die
badische Regierung deshalb bei dem Nachbarstaate vorstellig geworden ist. Man
freute sich über den Erfolg der Bemühung, welcher dahin zu Tage tritt, daß
die in Baden nicht anstellnngssähigen Priester anch in Württemberg keine Ver¬
wendung mehr finde«. Aehnlich wie hier Württemberg ans Anregung Badens,
hat sodann die badische Regierung, soweit bekannt aus eigenem Antrieb, gegen¬
über den norddeutschen Priesteramtskanditaten gehandelt, welche in das Priester¬
seminar zu Se. Peter bei Freiburg einzutreten pflegten. In ihrer Heimath
stand diesen jungen Herren kein Seminar mehr offen, weil die Kirchenbehörde
den in Bezug auf solche Anstalten in Preußen bestehenden staatlichen Gesetzen
den Gehorsam weigert und in Folge dessen die Seminare geschlossen sind. In
dem gewaltigen Kampf des modernen Staates gegen die römische Priester¬
kirche sind die deutschen Einzelstaaten solidarisch verbunden. Zufolge dieser
Solidarität kann kein Staat dulden oder gar begünstigen, daß die Gesetze des
anderen Staates von der Kirche und ihrer Priesterschaft mißachtet werden.
Auf dem Gebiete der Volksschule spielt sich allerwärts der Kulturkampf in
besonders heißen Scharmützeln ab. In Baden wurde der Fehler gemacht, daß
man bei Jnangriffuahme der in Folge des veränderten Verhältnisses zwischen
Staat und Kirche nöthig gewordenen Neuordnung des Volksschulwesens allzu
leise vorging, zagend, zögernd. Speziell hat man sich lange Jahre in wahrhaft
mädchenhafter Schüchternheit gesträubt, dem Gedanken der konfessionell gemisch¬
ten Volksschule, der doch allein dem paritätischen Staat, der paritätischen Ge¬
meinde entspricht, in die Gesetzgebung einzuführen. Es war das eine Schwäche,
die sofort bei dem ersten Anlauf zu der Neuordnung unseres Schulwesens im
Jahre 1864 hätte überwunden werden sollen. Je länger man zögerte, desto
schwieriger wurde die Lage. Die Kirche hatte deu Staat und seine Leiter in
schwachen Stunden gesehen, das machte sie kühn. Endlich, nach mühevollem
Streben, gelang es, die konfessionell gemischte Volksschule durch das Gesetz
vom 18. September 1876 zu begründen. Im abgelaufenen Jahre 1877 vollzog
sich die Umwandlung der konfessionellen Schulen in konfessionell gemischte.
Soweit hierüber etwas in die Oeffentlichkeit gedrungen ist, kann der Regierung
das Zeugniß nicht versagt werden, daß sie der Anmaßung der Kirche und dem
turbulenter Unverstand versetzter Massen gegenüber Festigkeit und Energie an
den Tag gelegt hat. Insbesondere ist sie der klaren Bestimmung des Gesetzes
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