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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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stellmig, Sie gewähren uns einen Einblick in das intime Schaffen des Meisters,
in sein Verhältniß der Natur gegenüber, in seine eminente, technische Begabung.
Wir lernen in ihm einen virtuosen Zeichner kennen, der bei vollkommener Be-
herrschung des anatomischen Details der Natur mit der Naivetät eines alt¬
italienischen Künstlers gegenüberstand. Mit den einfachsten Mitteln weiß er die
zartesten Formen des Körpers nachzubilden und diesen Formen zugleich, bei
der strengsten naturalistischen Durchbildung im Einzelnen, eine Noblesse zu
verleihen, die weitab von der gemeinen Modellwahrheit liegt. Zum Gegenstand
eines besonders liebevollen Studiums macht er die Hand. Er wird nicht müde,
männliche und weibliche Hände in den verschiedensten Situationen mit einer
wunderbaren plastischen Kraft und mit beispielloser Sicherheit wiederzugeben
Für Künstler eröffnet sich in diesen Aktzeichnungeu eine reiche Quelle des
Studiums.

Die letzte Zeit seiner Münchener Thätigkeit, die mit dem Jahre 1846 ihr
Ende nahm, fällt die Ausschmückung der Kaisersäle in der Münchener Residenz
mit Fresken aus der Geschichte Karls des Großen, Friedrich Barbarossas und
Rudolfs von Habsburg aus. Aber in diesem Werke war der Meister noch
weniger glücklich als in seinen Nibelnngenbildern. Trotz seines schon gerühmten
Kompositivnstalentes wußte er des wüsten Getümmels der Schlachtenbilder nicht
Herr zu werden. Nur in festliche" Repräsentativnsstttcken, wie in der Kaiser¬
krönung Karls und in der Zusammenkunft Barbarossas mit Papst Alexander III.
in Venedig, wo das bunte Treiben der Menge durch eine prächtige Architektur
wirkungsvoll gehoben wird, entfaltete er wieder seine volle Meisterschaft.

Im Jahre 1846 folgte Schmorr einen Rufe als Akademieprofessor und
Direktor der Gemäldegalerie nach Dresden. Diese umfangreiche und vielseitige
Thätigkeit nahm ihn fortan dermaßen in Anspruch, daß er keine Muße mehr
zu größeren Schöpfungen fand. Der Illustration der Bibel, die im Jahre
1862 ihren Abschluß fand, war der Rest seiner künstlerischen Wirksamkeit ge¬
widmet. In diesen Bibelbildern entfaltet sich der Künstlergeist Schmorrs viel¬
leicht am reinsten und feinsten. Im Gegensatze Zu Cornelius, mit dem er um
religiöser Meinungsverschiedenheiten willen bisweilen in Streit gerieth, stellte
sich Schmorr auf den spezifisch protestantischen Standpunkt und schälte aus der
heiligen Geschichte den rein menschlichen Kern heraus. Während er ans der
einen Seite die Würde des religiösen Stoffs zu wahren wußte, verstand er es
auf der anderen die lieblichsten Bilder eines idyllyschen Familienlebens mit
der keuschen Naivetät eines altdeutschen Meisters zu entwerfen.

Schmorr starb am 24. Mai 1872, nachdem er schon im Jahre zuvor
seiue Aemter niedergelegt hatte. Riegel, der dem verehrten Meister schöne
Worte der Erinnerung gewidmet hat, berichtet uach Schmorrs wiederholter
"


Grenzboten I. 1L7et. 1"

stellmig, Sie gewähren uns einen Einblick in das intime Schaffen des Meisters,
in sein Verhältniß der Natur gegenüber, in seine eminente, technische Begabung.
Wir lernen in ihm einen virtuosen Zeichner kennen, der bei vollkommener Be-
herrschung des anatomischen Details der Natur mit der Naivetät eines alt¬
italienischen Künstlers gegenüberstand. Mit den einfachsten Mitteln weiß er die
zartesten Formen des Körpers nachzubilden und diesen Formen zugleich, bei
der strengsten naturalistischen Durchbildung im Einzelnen, eine Noblesse zu
verleihen, die weitab von der gemeinen Modellwahrheit liegt. Zum Gegenstand
eines besonders liebevollen Studiums macht er die Hand. Er wird nicht müde,
männliche und weibliche Hände in den verschiedensten Situationen mit einer
wunderbaren plastischen Kraft und mit beispielloser Sicherheit wiederzugeben
Für Künstler eröffnet sich in diesen Aktzeichnungeu eine reiche Quelle des
Studiums.

Die letzte Zeit seiner Münchener Thätigkeit, die mit dem Jahre 1846 ihr
Ende nahm, fällt die Ausschmückung der Kaisersäle in der Münchener Residenz
mit Fresken aus der Geschichte Karls des Großen, Friedrich Barbarossas und
Rudolfs von Habsburg aus. Aber in diesem Werke war der Meister noch
weniger glücklich als in seinen Nibelnngenbildern. Trotz seines schon gerühmten
Kompositivnstalentes wußte er des wüsten Getümmels der Schlachtenbilder nicht
Herr zu werden. Nur in festliche» Repräsentativnsstttcken, wie in der Kaiser¬
krönung Karls und in der Zusammenkunft Barbarossas mit Papst Alexander III.
in Venedig, wo das bunte Treiben der Menge durch eine prächtige Architektur
wirkungsvoll gehoben wird, entfaltete er wieder seine volle Meisterschaft.

Im Jahre 1846 folgte Schmorr einen Rufe als Akademieprofessor und
Direktor der Gemäldegalerie nach Dresden. Diese umfangreiche und vielseitige
Thätigkeit nahm ihn fortan dermaßen in Anspruch, daß er keine Muße mehr
zu größeren Schöpfungen fand. Der Illustration der Bibel, die im Jahre
1862 ihren Abschluß fand, war der Rest seiner künstlerischen Wirksamkeit ge¬
widmet. In diesen Bibelbildern entfaltet sich der Künstlergeist Schmorrs viel¬
leicht am reinsten und feinsten. Im Gegensatze Zu Cornelius, mit dem er um
religiöser Meinungsverschiedenheiten willen bisweilen in Streit gerieth, stellte
sich Schmorr auf den spezifisch protestantischen Standpunkt und schälte aus der
heiligen Geschichte den rein menschlichen Kern heraus. Während er ans der
einen Seite die Würde des religiösen Stoffs zu wahren wußte, verstand er es
auf der anderen die lieblichsten Bilder eines idyllyschen Familienlebens mit
der keuschen Naivetät eines altdeutschen Meisters zu entwerfen.

Schmorr starb am 24. Mai 1872, nachdem er schon im Jahre zuvor
seiue Aemter niedergelegt hatte. Riegel, der dem verehrten Meister schöne
Worte der Erinnerung gewidmet hat, berichtet uach Schmorrs wiederholter
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[0153] stellmig, Sie gewähren uns einen Einblick in das intime Schaffen des Meisters, in sein Verhältniß der Natur gegenüber, in seine eminente, technische Begabung. Wir lernen in ihm einen virtuosen Zeichner kennen, der bei vollkommener Be- herrschung des anatomischen Details der Natur mit der Naivetät eines alt¬ italienischen Künstlers gegenüberstand. Mit den einfachsten Mitteln weiß er die zartesten Formen des Körpers nachzubilden und diesen Formen zugleich, bei der strengsten naturalistischen Durchbildung im Einzelnen, eine Noblesse zu verleihen, die weitab von der gemeinen Modellwahrheit liegt. Zum Gegenstand eines besonders liebevollen Studiums macht er die Hand. Er wird nicht müde, männliche und weibliche Hände in den verschiedensten Situationen mit einer wunderbaren plastischen Kraft und mit beispielloser Sicherheit wiederzugeben Für Künstler eröffnet sich in diesen Aktzeichnungeu eine reiche Quelle des Studiums. Die letzte Zeit seiner Münchener Thätigkeit, die mit dem Jahre 1846 ihr Ende nahm, fällt die Ausschmückung der Kaisersäle in der Münchener Residenz mit Fresken aus der Geschichte Karls des Großen, Friedrich Barbarossas und Rudolfs von Habsburg aus. Aber in diesem Werke war der Meister noch weniger glücklich als in seinen Nibelnngenbildern. Trotz seines schon gerühmten Kompositivnstalentes wußte er des wüsten Getümmels der Schlachtenbilder nicht Herr zu werden. Nur in festliche» Repräsentativnsstttcken, wie in der Kaiser¬ krönung Karls und in der Zusammenkunft Barbarossas mit Papst Alexander III. in Venedig, wo das bunte Treiben der Menge durch eine prächtige Architektur wirkungsvoll gehoben wird, entfaltete er wieder seine volle Meisterschaft. Im Jahre 1846 folgte Schmorr einen Rufe als Akademieprofessor und Direktor der Gemäldegalerie nach Dresden. Diese umfangreiche und vielseitige Thätigkeit nahm ihn fortan dermaßen in Anspruch, daß er keine Muße mehr zu größeren Schöpfungen fand. Der Illustration der Bibel, die im Jahre 1862 ihren Abschluß fand, war der Rest seiner künstlerischen Wirksamkeit ge¬ widmet. In diesen Bibelbildern entfaltet sich der Künstlergeist Schmorrs viel¬ leicht am reinsten und feinsten. Im Gegensatze Zu Cornelius, mit dem er um religiöser Meinungsverschiedenheiten willen bisweilen in Streit gerieth, stellte sich Schmorr auf den spezifisch protestantischen Standpunkt und schälte aus der heiligen Geschichte den rein menschlichen Kern heraus. Während er ans der einen Seite die Würde des religiösen Stoffs zu wahren wußte, verstand er es auf der anderen die lieblichsten Bilder eines idyllyschen Familienlebens mit der keuschen Naivetät eines altdeutschen Meisters zu entwerfen. Schmorr starb am 24. Mai 1872, nachdem er schon im Jahre zuvor seiue Aemter niedergelegt hatte. Riegel, der dem verehrten Meister schöne Worte der Erinnerung gewidmet hat, berichtet uach Schmorrs wiederholter " Grenzboten I. 1L7et. 1»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/153>, abgerufen am 27.09.2024.