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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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keine derartige Selbsthilfe gestatten, weil sie am Fundamente der bestehenden
Gewalten rüttelt; in den Vereinigten Staaten hat das Volk selbst die Gesetze
auferlegt, welche jedem den freiesten Spielraum geben, dnrch die Gesetzgebung
seine Lage zu bessern und seinen Beschwerden abzuhelfen. Im Interesse der
Gesammtheit, im Interesse des arbeitenden Volkes selbst -- denn den Müßig¬
gängern braucht nicht geholfen zu werden -- müssen die Gesetze, die es sich
selbst gegeben hat, aufrecht erhalten werden. Jede Gewaltthat gegen Personen und
Eigenthum muß ebenso wie die gegen Glaubens- und Gewissensfreiheit und
gegen politische Bürgerrechte gerichtete unterdrückt werden. Wer das nicht
glaubt und nicht weiß oder dagegen handelt, muß durch Schaden klug und
einsichtsvoll gemacht werden. In der That, auch die freieste Verfassung und
Regierung eines Landes muß den sozialen Krieg mit aller ihrer Macht zu
bändigen suchen. Dies ist denn auch in den Vereinigten Staaten geschehen.
Wiederholt aber ist, nicht nur in europäischen Blättern, sondern auch in
amerikanischen Zeitungen, die Frage angeregt worden, ob die Munizipal-, die
Staats- und Buudeseinrichtungen der nordamerikanischen Union nicht einer
Revision zu unterziehen sind, da sich vielfach herausgestellt hat, daß die Be¬
hörden der einzelnen Städte, der einzelnen Staaten, ja selbst der Union nicht
überall im Stande waren, mit wünschenswerther Schnelligkeit und Kraft den
Aufruhr zu stillen. Namentlich ist ans eine Reorganisation des amerikanischen
Milizwesens hingewiesen worden.

Es würde zu weit führen, diese wichtigen Revisions- und Reorganisa¬
tionsfragen hier augenblicklich weiter zu verfolgen, doch ist es sehr wahrschein¬
lich, daß der im Herbste d. I. zusammentretende Kongreß diese und ähnliche
Fragen in ernste Berathung ziehen wird. Die in den ersten Tagen des August
d. I. versammelt gewesene Konvention der republikanischen Partei im Staate
Ohio hat bereits die Strikebewegung diskutirt und empfohlen, daß alle Eisen¬
bahnen durch den Kongreß (d. h. die Bnudesgesetzgebung) regulirt und statuta¬
rische Schiedsgerichte für Arbeitsstreitigkeiten eingesetzt werden möchten. Ebenso
ist sür rathsam erachtet worden, daß der Kongreß der Vereinigten Staaten die
Regulationen in Geltung bringen möchte, welche die Sicherheit des reisenden
Publikums, gebührende Revenuen für angelegtes Kapital und geziemende Löhne
für die Arbeiter zu gewährleisten und schlechte Wirthschaft und schwindelhafte
Bereicherung der Eisenbahnverwaltungen auf Kosten der Aktionäre zu verhin¬
dern geeignet wären. Präsident Hades und seine Minister hielten, so lange
die Unruhen dauerten, tägliche Kcibinetssitzungen ab und thaten, was in ihrer
Macht stand, zur Unterdrückung derselben. Es war eine Zeit lang die Absicht
des Präsidenten, den Kongreß, der eigentlich erst am 15. Oktober d. I. zusam¬
mentritt, schon im September zu versammeln, doch gab er diesen Plan wieder


keine derartige Selbsthilfe gestatten, weil sie am Fundamente der bestehenden
Gewalten rüttelt; in den Vereinigten Staaten hat das Volk selbst die Gesetze
auferlegt, welche jedem den freiesten Spielraum geben, dnrch die Gesetzgebung
seine Lage zu bessern und seinen Beschwerden abzuhelfen. Im Interesse der
Gesammtheit, im Interesse des arbeitenden Volkes selbst — denn den Müßig¬
gängern braucht nicht geholfen zu werden — müssen die Gesetze, die es sich
selbst gegeben hat, aufrecht erhalten werden. Jede Gewaltthat gegen Personen und
Eigenthum muß ebenso wie die gegen Glaubens- und Gewissensfreiheit und
gegen politische Bürgerrechte gerichtete unterdrückt werden. Wer das nicht
glaubt und nicht weiß oder dagegen handelt, muß durch Schaden klug und
einsichtsvoll gemacht werden. In der That, auch die freieste Verfassung und
Regierung eines Landes muß den sozialen Krieg mit aller ihrer Macht zu
bändigen suchen. Dies ist denn auch in den Vereinigten Staaten geschehen.
Wiederholt aber ist, nicht nur in europäischen Blättern, sondern auch in
amerikanischen Zeitungen, die Frage angeregt worden, ob die Munizipal-, die
Staats- und Buudeseinrichtungen der nordamerikanischen Union nicht einer
Revision zu unterziehen sind, da sich vielfach herausgestellt hat, daß die Be¬
hörden der einzelnen Städte, der einzelnen Staaten, ja selbst der Union nicht
überall im Stande waren, mit wünschenswerther Schnelligkeit und Kraft den
Aufruhr zu stillen. Namentlich ist ans eine Reorganisation des amerikanischen
Milizwesens hingewiesen worden.

Es würde zu weit führen, diese wichtigen Revisions- und Reorganisa¬
tionsfragen hier augenblicklich weiter zu verfolgen, doch ist es sehr wahrschein¬
lich, daß der im Herbste d. I. zusammentretende Kongreß diese und ähnliche
Fragen in ernste Berathung ziehen wird. Die in den ersten Tagen des August
d. I. versammelt gewesene Konvention der republikanischen Partei im Staate
Ohio hat bereits die Strikebewegung diskutirt und empfohlen, daß alle Eisen¬
bahnen durch den Kongreß (d. h. die Bnudesgesetzgebung) regulirt und statuta¬
rische Schiedsgerichte für Arbeitsstreitigkeiten eingesetzt werden möchten. Ebenso
ist sür rathsam erachtet worden, daß der Kongreß der Vereinigten Staaten die
Regulationen in Geltung bringen möchte, welche die Sicherheit des reisenden
Publikums, gebührende Revenuen für angelegtes Kapital und geziemende Löhne
für die Arbeiter zu gewährleisten und schlechte Wirthschaft und schwindelhafte
Bereicherung der Eisenbahnverwaltungen auf Kosten der Aktionäre zu verhin¬
dern geeignet wären. Präsident Hades und seine Minister hielten, so lange
die Unruhen dauerten, tägliche Kcibinetssitzungen ab und thaten, was in ihrer
Macht stand, zur Unterdrückung derselben. Es war eine Zeit lang die Absicht
des Präsidenten, den Kongreß, der eigentlich erst am 15. Oktober d. I. zusam¬
mentritt, schon im September zu versammeln, doch gab er diesen Plan wieder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/485>, abgerufen am 28.09.2024.