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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Gestalt seinen Anfang. Brand, Raub und Mord waren an der Tagesordnung.
Sämmtliche Eisenbahnstationsgebäude wurden eingeäschert, die theuren und
prächtigen Passagier- und Schlafwagen den Flammen übergeben, eine große
Anzahl von Lokomotiven wurde vernichtet, reichbeladene Fracht- und Güter¬
wagen wurden erbrochen und geplündert, mit Oel und Kohlen beladene Karren
in Brand gesteckt. Halberwachsene Knaben, Weiber und Kinder betheiligten
sich an dem Werke der Zerstörung und der Plünderung. Der zur Rettung
herbeigeeilten Feuerwehr erlaubten die Tumultuanten nicht, das Feuer zu löschen,
vielmehr zündeten sie das noch nicht zerstörte Eigenthum der Eisenbahn-Com¬
pagnien an. Bloß das Privateigenthum wurde geschont.. Endlich, gegen
Abend des 22. und am Morgen des 23. Juli ermannte sich der bessere Theil
der Pittsbnrger Bürgerschaft, da das durch den Gouverneur Hartranft vom
Präsidenten Hayes erbetene Bundesmilitär nicht zeitig genug oder doch nur
in zu geringen Massen erschien. Es bildeten sich Vigilanzcomitecs, und da viele
sinkende Eisenbahnarbeiter, die mit den plündernden und raubenden Mobele¬
menten nichts zu thun haben wollten, sich mit den organisirten und bewaffneten
Bürgern zur Herstellung der Ordnung verbanden gelang es, die schlimmsten
Unruhestifter zu verhaften. Am 30. August war in Pittsburg die Ruhe wieder
hergestellt; die meisten Eisenbahnarbeiter nahmen die Arbeit wieder auf, und
unter dem Schutze einiger Miliztruppen und weniger Univussoldateu konnte
der regelmäßige Eisenbahnverkehr wieder eröffnet werden. Der in Pittsburg
angerichtete Schaden wird auf mehr als 5 Millionen Dollars geschätzt.

Nächst Pittsburg war es die "Gartenstadt" Chicago, wo der gesetzlose Mob
seine Orgien feierte. Hier kam es wiederholt zu blutigen Straßenkümpfen, und leider
muß constatirt werden, daß sich nicht wenige Deutsche unter den Tumultuanten
befanden. Aber schou am 29. Juli konnte der Mayor Heath öffentlich bekannt
machen, daß die Striker wieder zur Arbeit zurückkehrten, die schlimmsten Tumul-
tuanten besiegt seien und das Eigenthum geschützt wäre. General Sheridan, der
am 29. Juli dort anlangte, telegrnphirte an die Bundesregierung zu Washington.'
"Ich sehe die Unruhen hier noch nicht als ganz und gar beendigt an, doch scheint
mir die eigentliche Gescchr vorüber zu sein." Und diese Anschaung bestätigte sich.
Drei Tage hindurch dauerten hier die Pöbelausschreitnngen; und wenn man
New-Aork wegen der schlimmen Elemente, die es in seiner Bevölkerung birgt,
als das tonangebende Paris der neuen Welt bezeichnet hat, so verdient Chicago
gewiß aus demselben Grnnde den Namen des nordamerikanischen Marseille.
Chicago ist bekauntlich in jüngster Zeit häufig durch schwere Unglücksfälle
heimgesucht worden; jetzt hat es nun wiederum harte Schläge erlitten, so daß
es Mühe haben wird, sich zu seiner früheren Blüthe emporzuschwingen.

Auch in Se. Louis im Staate Missouri, wo das deutsche Element so


Gestalt seinen Anfang. Brand, Raub und Mord waren an der Tagesordnung.
Sämmtliche Eisenbahnstationsgebäude wurden eingeäschert, die theuren und
prächtigen Passagier- und Schlafwagen den Flammen übergeben, eine große
Anzahl von Lokomotiven wurde vernichtet, reichbeladene Fracht- und Güter¬
wagen wurden erbrochen und geplündert, mit Oel und Kohlen beladene Karren
in Brand gesteckt. Halberwachsene Knaben, Weiber und Kinder betheiligten
sich an dem Werke der Zerstörung und der Plünderung. Der zur Rettung
herbeigeeilten Feuerwehr erlaubten die Tumultuanten nicht, das Feuer zu löschen,
vielmehr zündeten sie das noch nicht zerstörte Eigenthum der Eisenbahn-Com¬
pagnien an. Bloß das Privateigenthum wurde geschont.. Endlich, gegen
Abend des 22. und am Morgen des 23. Juli ermannte sich der bessere Theil
der Pittsbnrger Bürgerschaft, da das durch den Gouverneur Hartranft vom
Präsidenten Hayes erbetene Bundesmilitär nicht zeitig genug oder doch nur
in zu geringen Massen erschien. Es bildeten sich Vigilanzcomitecs, und da viele
sinkende Eisenbahnarbeiter, die mit den plündernden und raubenden Mobele¬
menten nichts zu thun haben wollten, sich mit den organisirten und bewaffneten
Bürgern zur Herstellung der Ordnung verbanden gelang es, die schlimmsten
Unruhestifter zu verhaften. Am 30. August war in Pittsburg die Ruhe wieder
hergestellt; die meisten Eisenbahnarbeiter nahmen die Arbeit wieder auf, und
unter dem Schutze einiger Miliztruppen und weniger Univussoldateu konnte
der regelmäßige Eisenbahnverkehr wieder eröffnet werden. Der in Pittsburg
angerichtete Schaden wird auf mehr als 5 Millionen Dollars geschätzt.

Nächst Pittsburg war es die „Gartenstadt" Chicago, wo der gesetzlose Mob
seine Orgien feierte. Hier kam es wiederholt zu blutigen Straßenkümpfen, und leider
muß constatirt werden, daß sich nicht wenige Deutsche unter den Tumultuanten
befanden. Aber schou am 29. Juli konnte der Mayor Heath öffentlich bekannt
machen, daß die Striker wieder zur Arbeit zurückkehrten, die schlimmsten Tumul-
tuanten besiegt seien und das Eigenthum geschützt wäre. General Sheridan, der
am 29. Juli dort anlangte, telegrnphirte an die Bundesregierung zu Washington.'
„Ich sehe die Unruhen hier noch nicht als ganz und gar beendigt an, doch scheint
mir die eigentliche Gescchr vorüber zu sein." Und diese Anschaung bestätigte sich.
Drei Tage hindurch dauerten hier die Pöbelausschreitnngen; und wenn man
New-Aork wegen der schlimmen Elemente, die es in seiner Bevölkerung birgt,
als das tonangebende Paris der neuen Welt bezeichnet hat, so verdient Chicago
gewiß aus demselben Grnnde den Namen des nordamerikanischen Marseille.
Chicago ist bekauntlich in jüngster Zeit häufig durch schwere Unglücksfälle
heimgesucht worden; jetzt hat es nun wiederum harte Schläge erlitten, so daß
es Mühe haben wird, sich zu seiner früheren Blüthe emporzuschwingen.

Auch in Se. Louis im Staate Missouri, wo das deutsche Element so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/480>, abgerufen am 29.09.2024.