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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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ziemlich weit gehen, ehe man sich dazu bequemte, sie zu verfolgen. So lange
sie sich nicht ungebärdig vordrängten, wurden sie im stillen geduldet. In einigen
schwäbischen Klöstern hieß es sogar, Neresheim sei ein Freistätte für Atheismus
und Ketzerei geworden. Vom ?. Magnus Fars, den wir schon als Physiker
kennen gelernt haben, wird berichtet, er habe die Philosophie nach Kant gelehrt,
und später soll er als Professor der Theologie sogar in seinem Religions¬
unterrichte denselben Philosophen zu Grunde gelegt haben. Einige seiner Sätze
wurden freilich einmal bei einer Schnlprüfung, besonders von den älteren
Herren, für gewaltig anstößig befunden, und es kam darüber zu einem
hitzigen Disput.

Er behauptete unter anderem, "die Vernunft sei die alleinige Schiedsrichterin
aller Moralität und aller praktischen Dogmen, d. i. derjenigen, welche mit den
Prinzipien der Sittlichkeit verbunden sind und auf sie einen Einfluß haben,"
und weiter, "es sei kein Gottes würdiger Begriff, wenn man glaube, Gott laße
dem Menschen die Uebel und Strafen der Sünde deßwegen nach, weil er das
Blut seines Sohnes am Kreuze habe vergießen sehen; wir würden unsere Seligkeit
wirken können, wenn Christus auch nicht gestorben wäre". nack selber ist mit
den Lehrmeinungen des philosophischen Consraters nicht einverstanden, obgleich
sein Freund Werkmeister, damals Hofprediger zu Stuttgart, dieselben als
harmlos ansah und aufs dringendste vor Verfolgung warnte. Auch die
theologische Fakultät zu Dillingen erklärte die Thesen des ?. Magnus für
unverfänglich, "er solle aber", wird in dem betreffenden Gutachten -- vom
Januar 1792 -- noch beigefügt, "Klugheit und Bescheidenheit lernen, und sich
nicht zu viel Rechnung auf die gegenwärtigen Zeitumstände machen". Es
geschah ihm denn auch nicht viel. Nur wurde ihm die Professur der Theologie
abgenommen, und er mußte seinen Ideen durch allerlei gezwungene Auslegungen
die böse Spitze abbrechen. Als er bald darauf wegen der nämlichen Angelegen¬
heit mit dem bischöflichen Ordinariat in Conflikt gerieth, so verwendete sich
der Abt sogar für ihn und suchte zu bewirken, daß eine geistliche Strafe, die
ihm auferlegt wordeu war, wieder zurückgenommen wurde.

Es läßt sich nicht verkennen, daß mit dem vorwiegenden Einfluß der
liberalen Partei ein besserer Geist in das Kloster gekommen war. Auch in
dem persönlichen Verkehr der frommen Väter mit einander machte sich statt
des ewigen Herumschnüffelns nach Fehlern, statt der endlosen Zänkereien um
Kleinigkeiten ein humanerer, würdigerer Ton geltend. An Unzufriedenen hat
es freilich wol nie ganz gefehlt, obschon unser Gewährsmann später nur noch
selten davon redet. Einmal meldet er, der I>. Gregor sei mißvergnügt "aus
wahrhaftig unbekannten oder gewiß unzulänglichen Ursachen." Möglich, daß die
Gründe, welche der?. Gregor für sein Mißvergnügen hatte, doch vielleicht


ziemlich weit gehen, ehe man sich dazu bequemte, sie zu verfolgen. So lange
sie sich nicht ungebärdig vordrängten, wurden sie im stillen geduldet. In einigen
schwäbischen Klöstern hieß es sogar, Neresheim sei ein Freistätte für Atheismus
und Ketzerei geworden. Vom ?. Magnus Fars, den wir schon als Physiker
kennen gelernt haben, wird berichtet, er habe die Philosophie nach Kant gelehrt,
und später soll er als Professor der Theologie sogar in seinem Religions¬
unterrichte denselben Philosophen zu Grunde gelegt haben. Einige seiner Sätze
wurden freilich einmal bei einer Schnlprüfung, besonders von den älteren
Herren, für gewaltig anstößig befunden, und es kam darüber zu einem
hitzigen Disput.

Er behauptete unter anderem, „die Vernunft sei die alleinige Schiedsrichterin
aller Moralität und aller praktischen Dogmen, d. i. derjenigen, welche mit den
Prinzipien der Sittlichkeit verbunden sind und auf sie einen Einfluß haben,"
und weiter, „es sei kein Gottes würdiger Begriff, wenn man glaube, Gott laße
dem Menschen die Uebel und Strafen der Sünde deßwegen nach, weil er das
Blut seines Sohnes am Kreuze habe vergießen sehen; wir würden unsere Seligkeit
wirken können, wenn Christus auch nicht gestorben wäre". nack selber ist mit
den Lehrmeinungen des philosophischen Consraters nicht einverstanden, obgleich
sein Freund Werkmeister, damals Hofprediger zu Stuttgart, dieselben als
harmlos ansah und aufs dringendste vor Verfolgung warnte. Auch die
theologische Fakultät zu Dillingen erklärte die Thesen des ?. Magnus für
unverfänglich, „er solle aber", wird in dem betreffenden Gutachten — vom
Januar 1792 — noch beigefügt, „Klugheit und Bescheidenheit lernen, und sich
nicht zu viel Rechnung auf die gegenwärtigen Zeitumstände machen". Es
geschah ihm denn auch nicht viel. Nur wurde ihm die Professur der Theologie
abgenommen, und er mußte seinen Ideen durch allerlei gezwungene Auslegungen
die böse Spitze abbrechen. Als er bald darauf wegen der nämlichen Angelegen¬
heit mit dem bischöflichen Ordinariat in Conflikt gerieth, so verwendete sich
der Abt sogar für ihn und suchte zu bewirken, daß eine geistliche Strafe, die
ihm auferlegt wordeu war, wieder zurückgenommen wurde.

Es läßt sich nicht verkennen, daß mit dem vorwiegenden Einfluß der
liberalen Partei ein besserer Geist in das Kloster gekommen war. Auch in
dem persönlichen Verkehr der frommen Väter mit einander machte sich statt
des ewigen Herumschnüffelns nach Fehlern, statt der endlosen Zänkereien um
Kleinigkeiten ein humanerer, würdigerer Ton geltend. An Unzufriedenen hat
es freilich wol nie ganz gefehlt, obschon unser Gewährsmann später nur noch
selten davon redet. Einmal meldet er, der I>. Gregor sei mißvergnügt „aus
wahrhaftig unbekannten oder gewiß unzulänglichen Ursachen." Möglich, daß die
Gründe, welche der?. Gregor für sein Mißvergnügen hatte, doch vielleicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/468>, abgerufen am 29.09.2024.