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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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die Reize dieser neuen Bahn bekannt sind, Tausende durch sie ihren Einzug in
die innere Schweiz halten werden, auch wenn diese Linie längst den Reiz der
Neuheit verloren hat.

An dem blutgetränkten Schlachtfelde von Se. Jacob vorüber sührt die
Bahn, die Birs entlang, deu Reisenden den blauen Höhen des Jura entgegen,
durch immer engere Thäler. Auch die Birs, die bei Basel als seichtes fabrik-
treibendes Gewässer erscheint, nimmt immer mehr den Charakter eines reißenden,
bei ruhigerem Laufe smaragdgrünen Gebirgswassers an. Nach kurzer Fahrt
eilt der Zug durch einen Tunnel uuter dem alten gnterhaltenen trotzigen Schloß
Augenstein hindurch und überschreitet die Grenze des Kantons Bern. Hoch
oben auf dem Kamm des Gebirges ragt die Ruine Pfeffinger, bald darauf
erscheint zur Rechten Schloß Zwingen, bis zur großen französischen Revolution
der Sitz der Landvögte der Fürstbischöfe von Basel, denen einst das ganze
Münsterthal Unterthan war, und deren letzter in unsern Tagen, seiner weltlichen
Herrschaft längst entkleidet, im unrühmlichen Kampfe mit deu Kulturbedürfnissen
und Gesetzen der Gegenwart jämmerlich unterlag, belastet obendrein durch die
Peinliche Anklage der Veruntreuung anvertrauter Stiftungen, eine Anklage, die
in den jüngsten Tagen durch Richterspruch in allen Theilen begründet gefunden
worden ist. Liv tra-uhn Zloria aurai.

Das irdische Erbe des Krummstabes der Fürstbischöfe von Basel an Länder¬
besitz hat der Canton Bern angetreten und damit seineu Antheil am Kultur¬
kämpfe übernommen und die uoch schwierigere Aufgabe, eine durch die Sprache
und das Glaubensbekenntniß geschiedene Bevölkerung unter einen Hut zu bringen.
In Aller Erinnerung leben hier noch die Kämpfe, welche sich in der jüngsten
Vergangenheit zwischen dem fanatisirt katholischen Berner Jura und den
staatlichen Gewalten abgespielt haben. Bis zum Appell an den Bund, welcher
die Verbannung der rennenden römischen Pfaffen ans dem Canton nach damaliger
herrischer Gesetzgebung für formell unzulässig erklärte, trieb es der jähe Trotz
des gläubigen Gebirgsvolkes. Da war das Regieren freilich leichter in den
alten Tagen des Berner Patrieiates, wo man den Verschwörern gegen die sog.
Republik, den Samuel Heuzi und Major Davel, das Haupt vor die Füße legte
oder die Urheber staatsgefährlicher Unternehmungen "auf IM Jahr" verbannte,
weil man sie lebenslänglich nicht ausweisen durfte. Anders wird heute zu
Bern regiert. Dafür aber ist auch heute schon, trotz der heftigen kirchlichen
Fehden, der französisch-katholische Jura mit Bern verwachsen, während das
Waadtland und der Aargau sich von der unnatürlichen Bevormundung und
Vergewaltigung der Berner Oligarchen zu befreien wußten. Das fröhliche
kantonale Turnfest, das eben seinen lauten Jubel und seine luftigen tannen¬
beschatteten und mit zahllosen Fähnchen bewimpelten "Festhütten" vor uns


die Reize dieser neuen Bahn bekannt sind, Tausende durch sie ihren Einzug in
die innere Schweiz halten werden, auch wenn diese Linie längst den Reiz der
Neuheit verloren hat.

An dem blutgetränkten Schlachtfelde von Se. Jacob vorüber sührt die
Bahn, die Birs entlang, deu Reisenden den blauen Höhen des Jura entgegen,
durch immer engere Thäler. Auch die Birs, die bei Basel als seichtes fabrik-
treibendes Gewässer erscheint, nimmt immer mehr den Charakter eines reißenden,
bei ruhigerem Laufe smaragdgrünen Gebirgswassers an. Nach kurzer Fahrt
eilt der Zug durch einen Tunnel uuter dem alten gnterhaltenen trotzigen Schloß
Augenstein hindurch und überschreitet die Grenze des Kantons Bern. Hoch
oben auf dem Kamm des Gebirges ragt die Ruine Pfeffinger, bald darauf
erscheint zur Rechten Schloß Zwingen, bis zur großen französischen Revolution
der Sitz der Landvögte der Fürstbischöfe von Basel, denen einst das ganze
Münsterthal Unterthan war, und deren letzter in unsern Tagen, seiner weltlichen
Herrschaft längst entkleidet, im unrühmlichen Kampfe mit deu Kulturbedürfnissen
und Gesetzen der Gegenwart jämmerlich unterlag, belastet obendrein durch die
Peinliche Anklage der Veruntreuung anvertrauter Stiftungen, eine Anklage, die
in den jüngsten Tagen durch Richterspruch in allen Theilen begründet gefunden
worden ist. Liv tra-uhn Zloria aurai.

Das irdische Erbe des Krummstabes der Fürstbischöfe von Basel an Länder¬
besitz hat der Canton Bern angetreten und damit seineu Antheil am Kultur¬
kämpfe übernommen und die uoch schwierigere Aufgabe, eine durch die Sprache
und das Glaubensbekenntniß geschiedene Bevölkerung unter einen Hut zu bringen.
In Aller Erinnerung leben hier noch die Kämpfe, welche sich in der jüngsten
Vergangenheit zwischen dem fanatisirt katholischen Berner Jura und den
staatlichen Gewalten abgespielt haben. Bis zum Appell an den Bund, welcher
die Verbannung der rennenden römischen Pfaffen ans dem Canton nach damaliger
herrischer Gesetzgebung für formell unzulässig erklärte, trieb es der jähe Trotz
des gläubigen Gebirgsvolkes. Da war das Regieren freilich leichter in den
alten Tagen des Berner Patrieiates, wo man den Verschwörern gegen die sog.
Republik, den Samuel Heuzi und Major Davel, das Haupt vor die Füße legte
oder die Urheber staatsgefährlicher Unternehmungen „auf IM Jahr" verbannte,
weil man sie lebenslänglich nicht ausweisen durfte. Anders wird heute zu
Bern regiert. Dafür aber ist auch heute schon, trotz der heftigen kirchlichen
Fehden, der französisch-katholische Jura mit Bern verwachsen, während das
Waadtland und der Aargau sich von der unnatürlichen Bevormundung und
Vergewaltigung der Berner Oligarchen zu befreien wußten. Das fröhliche
kantonale Turnfest, das eben seinen lauten Jubel und seine luftigen tannen¬
beschatteten und mit zahllosen Fähnchen bewimpelten „Festhütten" vor uns


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[0435] die Reize dieser neuen Bahn bekannt sind, Tausende durch sie ihren Einzug in die innere Schweiz halten werden, auch wenn diese Linie längst den Reiz der Neuheit verloren hat. An dem blutgetränkten Schlachtfelde von Se. Jacob vorüber sührt die Bahn, die Birs entlang, deu Reisenden den blauen Höhen des Jura entgegen, durch immer engere Thäler. Auch die Birs, die bei Basel als seichtes fabrik- treibendes Gewässer erscheint, nimmt immer mehr den Charakter eines reißenden, bei ruhigerem Laufe smaragdgrünen Gebirgswassers an. Nach kurzer Fahrt eilt der Zug durch einen Tunnel uuter dem alten gnterhaltenen trotzigen Schloß Augenstein hindurch und überschreitet die Grenze des Kantons Bern. Hoch oben auf dem Kamm des Gebirges ragt die Ruine Pfeffinger, bald darauf erscheint zur Rechten Schloß Zwingen, bis zur großen französischen Revolution der Sitz der Landvögte der Fürstbischöfe von Basel, denen einst das ganze Münsterthal Unterthan war, und deren letzter in unsern Tagen, seiner weltlichen Herrschaft längst entkleidet, im unrühmlichen Kampfe mit deu Kulturbedürfnissen und Gesetzen der Gegenwart jämmerlich unterlag, belastet obendrein durch die Peinliche Anklage der Veruntreuung anvertrauter Stiftungen, eine Anklage, die in den jüngsten Tagen durch Richterspruch in allen Theilen begründet gefunden worden ist. Liv tra-uhn Zloria aurai. Das irdische Erbe des Krummstabes der Fürstbischöfe von Basel an Länder¬ besitz hat der Canton Bern angetreten und damit seineu Antheil am Kultur¬ kämpfe übernommen und die uoch schwierigere Aufgabe, eine durch die Sprache und das Glaubensbekenntniß geschiedene Bevölkerung unter einen Hut zu bringen. In Aller Erinnerung leben hier noch die Kämpfe, welche sich in der jüngsten Vergangenheit zwischen dem fanatisirt katholischen Berner Jura und den staatlichen Gewalten abgespielt haben. Bis zum Appell an den Bund, welcher die Verbannung der rennenden römischen Pfaffen ans dem Canton nach damaliger herrischer Gesetzgebung für formell unzulässig erklärte, trieb es der jähe Trotz des gläubigen Gebirgsvolkes. Da war das Regieren freilich leichter in den alten Tagen des Berner Patrieiates, wo man den Verschwörern gegen die sog. Republik, den Samuel Heuzi und Major Davel, das Haupt vor die Füße legte oder die Urheber staatsgefährlicher Unternehmungen „auf IM Jahr" verbannte, weil man sie lebenslänglich nicht ausweisen durfte. Anders wird heute zu Bern regiert. Dafür aber ist auch heute schon, trotz der heftigen kirchlichen Fehden, der französisch-katholische Jura mit Bern verwachsen, während das Waadtland und der Aargau sich von der unnatürlichen Bevormundung und Vergewaltigung der Berner Oligarchen zu befreien wußten. Das fröhliche kantonale Turnfest, das eben seinen lauten Jubel und seine luftigen tannen¬ beschatteten und mit zahllosen Fähnchen bewimpelten „Festhütten" vor uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/435>, abgerufen am 29.09.2024.