Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Benedikt Maria es meisterhaft verstand, seinen Untergebenen das Kloster zu
einer wahren Hölle zu machen.

Während seiner Regierung gewannen nun freisinnigere Anschauungen,
obschon er selbst mit Entschiedenheit dagegen Front machte, mehr und
mehr Boden, besonders unter deu jüngeren Mitgliedern des Kapitels. Es
bildete sich sogar eine Art von Opposition. Die Haupttriebfeder der
Bewegung war der I'. Benedikt Maria Werkmeister ans Füßen. Er
stand um die Zeit, wo unsere Tagebücher beginnen, im 33. Lebensjahre und
war mit dem Verfasser derselben eng befreundet. Vou seinen Predigten klagte
der Prälat, daß sie anstatt "aus der Schrift, dem Kerne des Christenthums
und Aseesi mehrentheils nur aus der Naturlehre und Philosophie nach Art
eines russeau und voitglr und andern Naturalisten herausgezogen wären." Im
Mai 1784 gelang es ihm dnrch seine Bekanntschaft mit dem Herzog Karl
Engen von Würtemberg, sich der Tyrannei seines geistlichen Oberen zu ent¬
ziehen. Er wurde Hofkciplan und später Hofprediger in Stuttgart und erregte
dort und anderswo durch feine liberalen Grundsätze mancherlei Aergerniß --
unter anderm führte er eine deutsche Liturgie ein --, doch scheint er sich die
Gunst des Herzogs und seiner Gemahlin, der Gräfin Franziska von Hohen-
heim, durch alle Fährlichkeiten hindurch bewahrt zu haben. Er starb, hoch¬
geachtet, als katholischer Oberkirchenrath zu Stuttgart am 16. Juli 1823. Mit
Neresheim aber blieb er fortwährend in Zusammenhang; und als nach dem
Tode Karl Engen's 1793 in Stuttgart zeitweise eine strengere Richtung die
Oberhand gewann, so fand er, da unterdessen der despotische Prälat ebenfalls
gestorben war, in der alten Heimat eine offene Zufluchtsstätte, bis sich die
Lage der Dinge in Würtemberg wieder gebessert hatte. Sonst mögen von den
liberal gesinnten Kapitulareu etwa noch namentlich angeführt werden die ??.
Placidus Calligari, Beda Pracher und Ulrich Vögele. Der letztere war 1777
Prior, fiel aber bald in Ungnade und wurde in demselben Jahre seiner Stelle
entsetzt. Unter dein nächsten Abte bekleidete er dann noch mehrere Male das
Privrat und auch das Subprivrat. Er hielt sich viel auswärts auf, unter
andern: längere Zeit in Freising als Lehrer an dem dortigen Lhcenm. Unter
seinen Konfratres galt er als ein Mann von Geschmack; wie erzählt wird,
,,möblirte er sich sein Subprivratszimmer sehr gnstös, solid und niedlich aus,
kostete 200 si." Der jüngste in der ganzen Gruppe und zugleich das jüngste
Mitglied des ganzen Konventes im Jahre 1777 war Karl nack selbst. Nach
dem Weggange Werkmeisters scheint er als der hauptsächlichste Revolutionär
betrachtet worden zu sein.

Die Tendenzen dieser Männer waren keineswegs antirömisch oder gar
antikatholisch; sie neigten sich vor dein Papste, sie erfüllten die Gebote


Grenzboten III. 1877. 24

Benedikt Maria es meisterhaft verstand, seinen Untergebenen das Kloster zu
einer wahren Hölle zu machen.

Während seiner Regierung gewannen nun freisinnigere Anschauungen,
obschon er selbst mit Entschiedenheit dagegen Front machte, mehr und
mehr Boden, besonders unter deu jüngeren Mitgliedern des Kapitels. Es
bildete sich sogar eine Art von Opposition. Die Haupttriebfeder der
Bewegung war der I'. Benedikt Maria Werkmeister ans Füßen. Er
stand um die Zeit, wo unsere Tagebücher beginnen, im 33. Lebensjahre und
war mit dem Verfasser derselben eng befreundet. Vou seinen Predigten klagte
der Prälat, daß sie anstatt „aus der Schrift, dem Kerne des Christenthums
und Aseesi mehrentheils nur aus der Naturlehre und Philosophie nach Art
eines russeau und voitglr und andern Naturalisten herausgezogen wären." Im
Mai 1784 gelang es ihm dnrch seine Bekanntschaft mit dem Herzog Karl
Engen von Würtemberg, sich der Tyrannei seines geistlichen Oberen zu ent¬
ziehen. Er wurde Hofkciplan und später Hofprediger in Stuttgart und erregte
dort und anderswo durch feine liberalen Grundsätze mancherlei Aergerniß —
unter anderm führte er eine deutsche Liturgie ein —, doch scheint er sich die
Gunst des Herzogs und seiner Gemahlin, der Gräfin Franziska von Hohen-
heim, durch alle Fährlichkeiten hindurch bewahrt zu haben. Er starb, hoch¬
geachtet, als katholischer Oberkirchenrath zu Stuttgart am 16. Juli 1823. Mit
Neresheim aber blieb er fortwährend in Zusammenhang; und als nach dem
Tode Karl Engen's 1793 in Stuttgart zeitweise eine strengere Richtung die
Oberhand gewann, so fand er, da unterdessen der despotische Prälat ebenfalls
gestorben war, in der alten Heimat eine offene Zufluchtsstätte, bis sich die
Lage der Dinge in Würtemberg wieder gebessert hatte. Sonst mögen von den
liberal gesinnten Kapitulareu etwa noch namentlich angeführt werden die ??.
Placidus Calligari, Beda Pracher und Ulrich Vögele. Der letztere war 1777
Prior, fiel aber bald in Ungnade und wurde in demselben Jahre seiner Stelle
entsetzt. Unter dein nächsten Abte bekleidete er dann noch mehrere Male das
Privrat und auch das Subprivrat. Er hielt sich viel auswärts auf, unter
andern: längere Zeit in Freising als Lehrer an dem dortigen Lhcenm. Unter
seinen Konfratres galt er als ein Mann von Geschmack; wie erzählt wird,
,,möblirte er sich sein Subprivratszimmer sehr gnstös, solid und niedlich aus,
kostete 200 si." Der jüngste in der ganzen Gruppe und zugleich das jüngste
Mitglied des ganzen Konventes im Jahre 1777 war Karl nack selbst. Nach
dem Weggange Werkmeisters scheint er als der hauptsächlichste Revolutionär
betrachtet worden zu sein.

Die Tendenzen dieser Männer waren keineswegs antirömisch oder gar
antikatholisch; sie neigten sich vor dein Papste, sie erfüllten die Gebote


Grenzboten III. 1877. 24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138664"/>
          <p xml:id="ID_1320" prev="#ID_1319"> Benedikt Maria es meisterhaft verstand, seinen Untergebenen das Kloster zu<lb/>
einer wahren Hölle zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1321"> Während seiner Regierung gewannen nun freisinnigere Anschauungen,<lb/>
obschon er selbst mit Entschiedenheit dagegen Front machte, mehr und<lb/>
mehr Boden, besonders unter deu jüngeren Mitgliedern des Kapitels. Es<lb/>
bildete sich sogar eine Art von Opposition. Die Haupttriebfeder der<lb/>
Bewegung war der I'. Benedikt Maria Werkmeister ans Füßen. Er<lb/>
stand um die Zeit, wo unsere Tagebücher beginnen, im 33. Lebensjahre und<lb/>
war mit dem Verfasser derselben eng befreundet. Vou seinen Predigten klagte<lb/>
der Prälat, daß sie anstatt &#x201E;aus der Schrift, dem Kerne des Christenthums<lb/>
und Aseesi mehrentheils nur aus der Naturlehre und Philosophie nach Art<lb/>
eines russeau und voitglr und andern Naturalisten herausgezogen wären." Im<lb/>
Mai 1784 gelang es ihm dnrch seine Bekanntschaft mit dem Herzog Karl<lb/>
Engen von Würtemberg, sich der Tyrannei seines geistlichen Oberen zu ent¬<lb/>
ziehen. Er wurde Hofkciplan und später Hofprediger in Stuttgart und erregte<lb/>
dort und anderswo durch feine liberalen Grundsätze mancherlei Aergerniß &#x2014;<lb/>
unter anderm führte er eine deutsche Liturgie ein &#x2014;, doch scheint er sich die<lb/>
Gunst des Herzogs und seiner Gemahlin, der Gräfin Franziska von Hohen-<lb/>
heim, durch alle Fährlichkeiten hindurch bewahrt zu haben. Er starb, hoch¬<lb/>
geachtet, als katholischer Oberkirchenrath zu Stuttgart am 16. Juli 1823. Mit<lb/>
Neresheim aber blieb er fortwährend in Zusammenhang; und als nach dem<lb/>
Tode Karl Engen's 1793 in Stuttgart zeitweise eine strengere Richtung die<lb/>
Oberhand gewann, so fand er, da unterdessen der despotische Prälat ebenfalls<lb/>
gestorben war, in der alten Heimat eine offene Zufluchtsstätte, bis sich die<lb/>
Lage der Dinge in Würtemberg wieder gebessert hatte. Sonst mögen von den<lb/>
liberal gesinnten Kapitulareu etwa noch namentlich angeführt werden die ??.<lb/>
Placidus Calligari, Beda Pracher und Ulrich Vögele. Der letztere war 1777<lb/>
Prior, fiel aber bald in Ungnade und wurde in demselben Jahre seiner Stelle<lb/>
entsetzt. Unter dein nächsten Abte bekleidete er dann noch mehrere Male das<lb/>
Privrat und auch das Subprivrat. Er hielt sich viel auswärts auf, unter<lb/>
andern: längere Zeit in Freising als Lehrer an dem dortigen Lhcenm. Unter<lb/>
seinen Konfratres galt er als ein Mann von Geschmack; wie erzählt wird,<lb/>
,,möblirte er sich sein Subprivratszimmer sehr gnstös, solid und niedlich aus,<lb/>
kostete 200 si." Der jüngste in der ganzen Gruppe und zugleich das jüngste<lb/>
Mitglied des ganzen Konventes im Jahre 1777 war Karl nack selbst. Nach<lb/>
dem Weggange Werkmeisters scheint er als der hauptsächlichste Revolutionär<lb/>
betrachtet worden zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1322" next="#ID_1323"> Die Tendenzen dieser Männer waren keineswegs antirömisch oder gar<lb/>
antikatholisch; sie neigten sich vor dein Papste, sie erfüllten die Gebote</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1877. 24</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] Benedikt Maria es meisterhaft verstand, seinen Untergebenen das Kloster zu einer wahren Hölle zu machen. Während seiner Regierung gewannen nun freisinnigere Anschauungen, obschon er selbst mit Entschiedenheit dagegen Front machte, mehr und mehr Boden, besonders unter deu jüngeren Mitgliedern des Kapitels. Es bildete sich sogar eine Art von Opposition. Die Haupttriebfeder der Bewegung war der I'. Benedikt Maria Werkmeister ans Füßen. Er stand um die Zeit, wo unsere Tagebücher beginnen, im 33. Lebensjahre und war mit dem Verfasser derselben eng befreundet. Vou seinen Predigten klagte der Prälat, daß sie anstatt „aus der Schrift, dem Kerne des Christenthums und Aseesi mehrentheils nur aus der Naturlehre und Philosophie nach Art eines russeau und voitglr und andern Naturalisten herausgezogen wären." Im Mai 1784 gelang es ihm dnrch seine Bekanntschaft mit dem Herzog Karl Engen von Würtemberg, sich der Tyrannei seines geistlichen Oberen zu ent¬ ziehen. Er wurde Hofkciplan und später Hofprediger in Stuttgart und erregte dort und anderswo durch feine liberalen Grundsätze mancherlei Aergerniß — unter anderm führte er eine deutsche Liturgie ein —, doch scheint er sich die Gunst des Herzogs und seiner Gemahlin, der Gräfin Franziska von Hohen- heim, durch alle Fährlichkeiten hindurch bewahrt zu haben. Er starb, hoch¬ geachtet, als katholischer Oberkirchenrath zu Stuttgart am 16. Juli 1823. Mit Neresheim aber blieb er fortwährend in Zusammenhang; und als nach dem Tode Karl Engen's 1793 in Stuttgart zeitweise eine strengere Richtung die Oberhand gewann, so fand er, da unterdessen der despotische Prälat ebenfalls gestorben war, in der alten Heimat eine offene Zufluchtsstätte, bis sich die Lage der Dinge in Würtemberg wieder gebessert hatte. Sonst mögen von den liberal gesinnten Kapitulareu etwa noch namentlich angeführt werden die ??. Placidus Calligari, Beda Pracher und Ulrich Vögele. Der letztere war 1777 Prior, fiel aber bald in Ungnade und wurde in demselben Jahre seiner Stelle entsetzt. Unter dein nächsten Abte bekleidete er dann noch mehrere Male das Privrat und auch das Subprivrat. Er hielt sich viel auswärts auf, unter andern: längere Zeit in Freising als Lehrer an dem dortigen Lhcenm. Unter seinen Konfratres galt er als ein Mann von Geschmack; wie erzählt wird, ,,möblirte er sich sein Subprivratszimmer sehr gnstös, solid und niedlich aus, kostete 200 si." Der jüngste in der ganzen Gruppe und zugleich das jüngste Mitglied des ganzen Konventes im Jahre 1777 war Karl nack selbst. Nach dem Weggange Werkmeisters scheint er als der hauptsächlichste Revolutionär betrachtet worden zu sein. Die Tendenzen dieser Männer waren keineswegs antirömisch oder gar antikatholisch; sie neigten sich vor dein Papste, sie erfüllten die Gebote Grenzboten III. 1877. 24

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/433>, abgerufen am 29.09.2024.