Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

famosen Herzogin von Kingston, von der nur ih" vielleicht in einer der näch¬
sten Nummern noch Einiges erzählen lassen wollen.




Der Satiriker Wien's.

Während in der deutschen Kaiserstadt die politische Satire fast seit einem
Menschenalter zünftig gestaltet ist und um gewisse Witzblätter gewisse schrift¬
stellerische Kreise konzentrirt hat, welche die Satire so zu sagen zum Lebens¬
berufe erwählt haben, ruht in Wien das Amt, die Thorheiten der Zeitgenossen
mit der Feder hinzurichten, seit mehr als zehn Jahren in der Hand eines
einzigen Mannes. Im Jahre 1865 erschienen zum ersten Male in einer der
größten Zeitungen Wiens "Wiener Spaziergänge" von D(amici) Sy(itz)er.
Heute drängt dieser Schriftsteller durch sein kurzes Sonntagsfeuilletou, das
uoch immer nnter dem harmlosen Titel der "Wiener Spaziergänge" in der
"Neuen Freien Presse" erscheint, alle anderen Koukurrenzarbeiten auf seinem
Gebiete, mögen diese nun das Gewand des Feuilletons oder dasjenige periodi¬
scher Witzblätter tragen, weit in den Hintergrund. Daniel spitzer besitzt das
Monopol, die Lacher auf seiner Seite zu haben, in einem Maße, wie es selten
einem Sterblichen beschieden war. Unter unseren Zeitgenossen hatte Henri
Rochefort in seinen besten Tagen, ehe fein Radikalismus ins Schrankenlose
ging, die Gunst des Publikums in gleichem Maße in der Gewalt. Heinrich
Heine, den Manche mit spitzer vergleichen, hat für seine politischen Offen¬
barungen immer nur eine kleine Gemeinde in Deutschland gefunden, auch als
noch nicht bekannt war, daß er für die gegen sein Vaterland gerichtete poli¬
tische Satire von Louis Philipp mit einer festen Jcihrespensivn bezahlt wurde.
In Deutschland besitzt keiner der Zeitgenossen in gleichem Maße wie spitzer
für Oesterreich ein Monopol auf die Berechtigung und Befähigung, das Zwerch¬
fell seiner Landsleute in wohlthätige Schwingungen zu versetzen. Auch der
von Kritik und Reklame am häufigsten genannte Berliner Kritiker im satirischen
Genre dringt mit seinen Arbeiten immer nur in die höchsten Schichten des
lesenden Publikums. spitzer's Sonntagsfeuilleton dagegen muß in Wien
wenige Stunden nach seinem Erscheinen ganz Wien gelesen haben, und am
nämlichen Tage noch der größte Theil derer, die in der ganzen Monarchie
auf Bildung und Interesse für öffentliche Dinge Anspruch machen,

Der Grund dieser ungewöhnlichen Erfolge beruht sicherlich nicht in jener


famosen Herzogin von Kingston, von der nur ih» vielleicht in einer der näch¬
sten Nummern noch Einiges erzählen lassen wollen.




Der Satiriker Wien's.

Während in der deutschen Kaiserstadt die politische Satire fast seit einem
Menschenalter zünftig gestaltet ist und um gewisse Witzblätter gewisse schrift¬
stellerische Kreise konzentrirt hat, welche die Satire so zu sagen zum Lebens¬
berufe erwählt haben, ruht in Wien das Amt, die Thorheiten der Zeitgenossen
mit der Feder hinzurichten, seit mehr als zehn Jahren in der Hand eines
einzigen Mannes. Im Jahre 1865 erschienen zum ersten Male in einer der
größten Zeitungen Wiens „Wiener Spaziergänge" von D(amici) Sy(itz)er.
Heute drängt dieser Schriftsteller durch sein kurzes Sonntagsfeuilletou, das
uoch immer nnter dem harmlosen Titel der „Wiener Spaziergänge" in der
„Neuen Freien Presse" erscheint, alle anderen Koukurrenzarbeiten auf seinem
Gebiete, mögen diese nun das Gewand des Feuilletons oder dasjenige periodi¬
scher Witzblätter tragen, weit in den Hintergrund. Daniel spitzer besitzt das
Monopol, die Lacher auf seiner Seite zu haben, in einem Maße, wie es selten
einem Sterblichen beschieden war. Unter unseren Zeitgenossen hatte Henri
Rochefort in seinen besten Tagen, ehe fein Radikalismus ins Schrankenlose
ging, die Gunst des Publikums in gleichem Maße in der Gewalt. Heinrich
Heine, den Manche mit spitzer vergleichen, hat für seine politischen Offen¬
barungen immer nur eine kleine Gemeinde in Deutschland gefunden, auch als
noch nicht bekannt war, daß er für die gegen sein Vaterland gerichtete poli¬
tische Satire von Louis Philipp mit einer festen Jcihrespensivn bezahlt wurde.
In Deutschland besitzt keiner der Zeitgenossen in gleichem Maße wie spitzer
für Oesterreich ein Monopol auf die Berechtigung und Befähigung, das Zwerch¬
fell seiner Landsleute in wohlthätige Schwingungen zu versetzen. Auch der
von Kritik und Reklame am häufigsten genannte Berliner Kritiker im satirischen
Genre dringt mit seinen Arbeiten immer nur in die höchsten Schichten des
lesenden Publikums. spitzer's Sonntagsfeuilleton dagegen muß in Wien
wenige Stunden nach seinem Erscheinen ganz Wien gelesen haben, und am
nämlichen Tage noch der größte Theil derer, die in der ganzen Monarchie
auf Bildung und Interesse für öffentliche Dinge Anspruch machen,

Der Grund dieser ungewöhnlichen Erfolge beruht sicherlich nicht in jener


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138553"/>
          <p xml:id="ID_999" prev="#ID_998"> famosen Herzogin von Kingston, von der nur ih» vielleicht in einer der näch¬<lb/>
sten Nummern noch Einiges erzählen lassen wollen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Satiriker Wien's.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1000"> Während in der deutschen Kaiserstadt die politische Satire fast seit einem<lb/>
Menschenalter zünftig gestaltet ist und um gewisse Witzblätter gewisse schrift¬<lb/>
stellerische Kreise konzentrirt hat, welche die Satire so zu sagen zum Lebens¬<lb/>
berufe erwählt haben, ruht in Wien das Amt, die Thorheiten der Zeitgenossen<lb/>
mit der Feder hinzurichten, seit mehr als zehn Jahren in der Hand eines<lb/>
einzigen Mannes. Im Jahre 1865 erschienen zum ersten Male in einer der<lb/>
größten Zeitungen Wiens &#x201E;Wiener Spaziergänge" von D(amici) Sy(itz)er.<lb/>
Heute drängt dieser Schriftsteller durch sein kurzes Sonntagsfeuilletou, das<lb/>
uoch immer nnter dem harmlosen Titel der &#x201E;Wiener Spaziergänge" in der<lb/>
&#x201E;Neuen Freien Presse" erscheint, alle anderen Koukurrenzarbeiten auf seinem<lb/>
Gebiete, mögen diese nun das Gewand des Feuilletons oder dasjenige periodi¬<lb/>
scher Witzblätter tragen, weit in den Hintergrund. Daniel spitzer besitzt das<lb/>
Monopol, die Lacher auf seiner Seite zu haben, in einem Maße, wie es selten<lb/>
einem Sterblichen beschieden war. Unter unseren Zeitgenossen hatte Henri<lb/>
Rochefort in seinen besten Tagen, ehe fein Radikalismus ins Schrankenlose<lb/>
ging, die Gunst des Publikums in gleichem Maße in der Gewalt. Heinrich<lb/>
Heine, den Manche mit spitzer vergleichen, hat für seine politischen Offen¬<lb/>
barungen immer nur eine kleine Gemeinde in Deutschland gefunden, auch als<lb/>
noch nicht bekannt war, daß er für die gegen sein Vaterland gerichtete poli¬<lb/>
tische Satire von Louis Philipp mit einer festen Jcihrespensivn bezahlt wurde.<lb/>
In Deutschland besitzt keiner der Zeitgenossen in gleichem Maße wie spitzer<lb/>
für Oesterreich ein Monopol auf die Berechtigung und Befähigung, das Zwerch¬<lb/>
fell seiner Landsleute in wohlthätige Schwingungen zu versetzen. Auch der<lb/>
von Kritik und Reklame am häufigsten genannte Berliner Kritiker im satirischen<lb/>
Genre dringt mit seinen Arbeiten immer nur in die höchsten Schichten des<lb/>
lesenden Publikums. spitzer's Sonntagsfeuilleton dagegen muß in Wien<lb/>
wenige Stunden nach seinem Erscheinen ganz Wien gelesen haben, und am<lb/>
nämlichen Tage noch der größte Theil derer, die in der ganzen Monarchie<lb/>
auf Bildung und Interesse für öffentliche Dinge Anspruch machen,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1001" next="#ID_1002"> Der Grund dieser ungewöhnlichen Erfolge beruht sicherlich nicht in jener</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0322] famosen Herzogin von Kingston, von der nur ih» vielleicht in einer der näch¬ sten Nummern noch Einiges erzählen lassen wollen. Der Satiriker Wien's. Während in der deutschen Kaiserstadt die politische Satire fast seit einem Menschenalter zünftig gestaltet ist und um gewisse Witzblätter gewisse schrift¬ stellerische Kreise konzentrirt hat, welche die Satire so zu sagen zum Lebens¬ berufe erwählt haben, ruht in Wien das Amt, die Thorheiten der Zeitgenossen mit der Feder hinzurichten, seit mehr als zehn Jahren in der Hand eines einzigen Mannes. Im Jahre 1865 erschienen zum ersten Male in einer der größten Zeitungen Wiens „Wiener Spaziergänge" von D(amici) Sy(itz)er. Heute drängt dieser Schriftsteller durch sein kurzes Sonntagsfeuilletou, das uoch immer nnter dem harmlosen Titel der „Wiener Spaziergänge" in der „Neuen Freien Presse" erscheint, alle anderen Koukurrenzarbeiten auf seinem Gebiete, mögen diese nun das Gewand des Feuilletons oder dasjenige periodi¬ scher Witzblätter tragen, weit in den Hintergrund. Daniel spitzer besitzt das Monopol, die Lacher auf seiner Seite zu haben, in einem Maße, wie es selten einem Sterblichen beschieden war. Unter unseren Zeitgenossen hatte Henri Rochefort in seinen besten Tagen, ehe fein Radikalismus ins Schrankenlose ging, die Gunst des Publikums in gleichem Maße in der Gewalt. Heinrich Heine, den Manche mit spitzer vergleichen, hat für seine politischen Offen¬ barungen immer nur eine kleine Gemeinde in Deutschland gefunden, auch als noch nicht bekannt war, daß er für die gegen sein Vaterland gerichtete poli¬ tische Satire von Louis Philipp mit einer festen Jcihrespensivn bezahlt wurde. In Deutschland besitzt keiner der Zeitgenossen in gleichem Maße wie spitzer für Oesterreich ein Monopol auf die Berechtigung und Befähigung, das Zwerch¬ fell seiner Landsleute in wohlthätige Schwingungen zu versetzen. Auch der von Kritik und Reklame am häufigsten genannte Berliner Kritiker im satirischen Genre dringt mit seinen Arbeiten immer nur in die höchsten Schichten des lesenden Publikums. spitzer's Sonntagsfeuilleton dagegen muß in Wien wenige Stunden nach seinem Erscheinen ganz Wien gelesen haben, und am nämlichen Tage noch der größte Theil derer, die in der ganzen Monarchie auf Bildung und Interesse für öffentliche Dinge Anspruch machen, Der Grund dieser ungewöhnlichen Erfolge beruht sicherlich nicht in jener

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/322
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/322>, abgerufen am 28.09.2024.