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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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niam noch einige Wochen Zeit hatte. Alle Beschreibungen solcher Aufzüge, die
wir uns aus Jena und Göttingen kommen ließen, erschienen uns ungenügend.
Ein neuer Umstand half uus, obgleich er mich in Verlegenheit bringen konnte.
Meine Landsleute waren nämlich bei Vertheilnng der Aemter Übergängen
worden, theils weil ich möglichst vermieden hatte, mich damit zu befassen,
theils weil sie mich während dieser Zeit wenig besuchten und ich auch nicht
zu ihnen kam. Als ich nun einmal zu Graf Dunker ging und dort die meisten
Livlünder traf, machten sie mir gewaltige Vorwürfe, daß sie von mir ganz
vergessen worden und alle Ehrenämter schon vertheilt seien. "Wie so?" sagte
ich, "die wichtigsten sind ja noch aufbewahrt." Sie horchten auf, und nun
erzählte ich ihnen, daß Leipzig ursprünglich eine Ritterakademie gewesen (nicht
wahr), und daß es ans drei Nationen, der sächsischen, polnischen und mei߬
nischen bestehe; sie aber wären bestimmt, die Wappen dieser Nationen jeder
der drei Kolonnen des Zuges in schöner Kleidung und von Adjutanten be¬
gleitet voranzutragen. Als ich ihnen dies näher beschrieb und ihnen die Wahl
der Kleidung überließ, waren sie völlig versöhnt und versprachen ihre Theil¬
nahme. Jene Wappen wurden auf große weißseidene Fahnen mit grünen
Fransen gemalt, und die hohen Fahnen nahmen sich mit ihrer Malerei sehr
gut aus." Nun wurden zuerst Musterungen im schwarzen Bret gehalten, wobei
die Studenten sich wie Soldaten stellten und ihrem Führer die Anordnungen
der Kolonnen überließen. Rosen wählte die längsten und wohlgebildetsten
zu deu vordersten Gliedern. Außerdem aber kamen vier und baten, in die
vorderste Reihe versetzt zu werden, weil sie sich vorgenommen, sich gleichmüßig
in Blau und Gold zu kleiden. Auf freiem Felde wurden dann Proben an¬
gestellt, damit die Kolonnen sich nach einem Marsch durch unsere Straßen
gleichzeitig auf dem Markte in einem Halbkreise aufstellen konnten. Alles
ging militärisch und mit einem solchen Esprit de Corps zu, daß Rosen ohne
Widerspruch kommandiren konnte. "Da unsre Widersacher", erzählt dieser
ferner, "uns in der Hauptsache nun nicht mehr schaden konnten, nahmen sie
ihre Zuflucht zur Satire. So hatte ein junger Doktor Gefler unter unsern
Landsleuten verlauten lassen, die vorzutragenden Fahnen würden sich ebenso
lächerlich ciusnehmen als die Fähnlein der Schlossergesellen, welche jährlich
einmal mit solchen in der Stadt herumzogen und selbige in die Luft würfen
und wieder auffingen, dabei eine kleine Musik machten und so auch ihren Auf¬
zug hielten. Meine Landsleute, durch den witzigen Gefler aufgereizt, stellte"
mich auf dem Fechtboden darüber zur Rede. "Wer hat Euch so etwas sagen
und diese Begleichung wagen dürfen?" sagte ich laut. "Ist der Mann hier?"
Und siehe da, es mußte sich treffen, daß er wirklich zugegen war, da er gern
focht. In meiner Hitze nahm ich die ersten besten Rappiere, prüsentirte sie


niam noch einige Wochen Zeit hatte. Alle Beschreibungen solcher Aufzüge, die
wir uns aus Jena und Göttingen kommen ließen, erschienen uns ungenügend.
Ein neuer Umstand half uus, obgleich er mich in Verlegenheit bringen konnte.
Meine Landsleute waren nämlich bei Vertheilnng der Aemter Übergängen
worden, theils weil ich möglichst vermieden hatte, mich damit zu befassen,
theils weil sie mich während dieser Zeit wenig besuchten und ich auch nicht
zu ihnen kam. Als ich nun einmal zu Graf Dunker ging und dort die meisten
Livlünder traf, machten sie mir gewaltige Vorwürfe, daß sie von mir ganz
vergessen worden und alle Ehrenämter schon vertheilt seien. „Wie so?" sagte
ich, „die wichtigsten sind ja noch aufbewahrt." Sie horchten auf, und nun
erzählte ich ihnen, daß Leipzig ursprünglich eine Ritterakademie gewesen (nicht
wahr), und daß es ans drei Nationen, der sächsischen, polnischen und mei߬
nischen bestehe; sie aber wären bestimmt, die Wappen dieser Nationen jeder
der drei Kolonnen des Zuges in schöner Kleidung und von Adjutanten be¬
gleitet voranzutragen. Als ich ihnen dies näher beschrieb und ihnen die Wahl
der Kleidung überließ, waren sie völlig versöhnt und versprachen ihre Theil¬
nahme. Jene Wappen wurden auf große weißseidene Fahnen mit grünen
Fransen gemalt, und die hohen Fahnen nahmen sich mit ihrer Malerei sehr
gut aus." Nun wurden zuerst Musterungen im schwarzen Bret gehalten, wobei
die Studenten sich wie Soldaten stellten und ihrem Führer die Anordnungen
der Kolonnen überließen. Rosen wählte die längsten und wohlgebildetsten
zu deu vordersten Gliedern. Außerdem aber kamen vier und baten, in die
vorderste Reihe versetzt zu werden, weil sie sich vorgenommen, sich gleichmüßig
in Blau und Gold zu kleiden. Auf freiem Felde wurden dann Proben an¬
gestellt, damit die Kolonnen sich nach einem Marsch durch unsere Straßen
gleichzeitig auf dem Markte in einem Halbkreise aufstellen konnten. Alles
ging militärisch und mit einem solchen Esprit de Corps zu, daß Rosen ohne
Widerspruch kommandiren konnte. „Da unsre Widersacher", erzählt dieser
ferner, „uns in der Hauptsache nun nicht mehr schaden konnten, nahmen sie
ihre Zuflucht zur Satire. So hatte ein junger Doktor Gefler unter unsern
Landsleuten verlauten lassen, die vorzutragenden Fahnen würden sich ebenso
lächerlich ciusnehmen als die Fähnlein der Schlossergesellen, welche jährlich
einmal mit solchen in der Stadt herumzogen und selbige in die Luft würfen
und wieder auffingen, dabei eine kleine Musik machten und so auch ihren Auf¬
zug hielten. Meine Landsleute, durch den witzigen Gefler aufgereizt, stellte«
mich auf dem Fechtboden darüber zur Rede. „Wer hat Euch so etwas sagen
und diese Begleichung wagen dürfen?" sagte ich laut. „Ist der Mann hier?"
Und siehe da, es mußte sich treffen, daß er wirklich zugegen war, da er gern
focht. In meiner Hitze nahm ich die ersten besten Rappiere, prüsentirte sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/320>, abgerufen am 28.09.2024.